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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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zugslinie u. s. w. mitten in das Herz des Feindes. Er verfuhr ähnlich wie
Blücher im Jahre 1814, als Napoleon sich ihm auf die Rückzugslinie warf.
Blücher ließ den Feind operiren. rückte nach Paris, und Napoleons Macht zerfloß
wie Schnee an der Sonne. Sie war, wie die der Couföderirten, durchaus
morsch, und es bedürfte nur des einfachen Zufassens, um dies an das Tages¬
licht zu bringen. Alte Truppentheile, welche Sherman entgegengeworfen wurden,
entbehrten der innern Kraft und zerschellten vor dem geringsten Widerstand.
Obgleich Davis und Lee die Bedeutung des Zuges von Sherman erkannten
und ihm alle disponibel" Corps entgegenwarfen, hatte er seit Atlanta kein
ernsthaftes Gefecht mehr zu bestehen. -- Nach den verschiedenen näheren Berichten,
die jetzt über diesen Zug bekannt geworden sind, wählte er für sich aus seiner
Armee die besten Truppen aus, darunter keine farbigen Regimenter,
organisirte eine zweckentsprechende Verpflegung und übte eine unnachsichtliche
Disciplin. Feind und Freund erkennen zumal dieses letztere, und beide werden
nicht müde, die Zauber dieser kriegerischen Zucht zu erörtern. Er hat es ver¬
standen in seiner Armee einen Generalstab, eine Verwaltung und Disciplin
zu schaffen und damit wurde er Herr seiner Kräfte. Diese Kräfte aber ver¬
wandte er in der entscheidenden Richtung und mit unausgesetzter Energie.
Während Grant die Kräfte im Großen sammelte und befestigte und den ihm
speciell übergebenen Theil mit Ausdauer, wenn auch nicht mit hervorragendem
Geschick gebrauchte, verstand es Sherman, das ihm anvertraute Instrument zu
schärfen und durch alle Umhüllungen hindurch in das Herz des Gegners zu
stoßen. Und militärisch gefaßt, beide führten zum Siege, weil sie der Armee den
Charakter des Volksheercs nahmen und so viel als nöthig Berufssoldaten schufen.

Der Krieg ist zu Ende, die ungeheuren Folgen desselben lassen sich nur
ahnen. Dieser Krieg hat der Unionsregierung gegenüber den einzelnen Staaten
eine Gewalt gegeben, welche man früher für unmöglich hielt; er hat ein großes
Heer geschaffen; er hat die Männer der Wcststaaten zu Leitern des Staats
und des Heeres gemacht; er hat unendliche Capitalien zerstört in Eisenbahnen,
Ortschaften, Materialien, Beständen und Menschen; er hat eine Schuldenlast
von 2 Milliarden geschaffen, welche 120 Millionen jährlicher Zinsen fordern;
n hatte bis zum ersten Januar dieses Jahres bereits den Staat mit der Ver¬
sorgung von 66,000 Invaliden und dergl. belastet; er hat 4 Millionen For-
o>ge aus der Sklaverei befreit und ihnen die Rechte des Menschen, aber noch
wenig von ihrem Besitz gegeben; und endlich hat er allen hervorragenden Per¬
sönlichkeiten ein weites Feld sich geltend zu machen eröffnet. Die Stillung
des äußeren Kampfes gibt diesen Kräften die Arena frei; die innere Krisis der
nunmehr wieder vereinigten nordamerikanische" Freistaaten beginnt; hoffen wir,
daß die gesunden Kräfte die Oberhand behalten und die Freiheit auch serner
dort eine Stätte habe.


zugslinie u. s. w. mitten in das Herz des Feindes. Er verfuhr ähnlich wie
Blücher im Jahre 1814, als Napoleon sich ihm auf die Rückzugslinie warf.
Blücher ließ den Feind operiren. rückte nach Paris, und Napoleons Macht zerfloß
wie Schnee an der Sonne. Sie war, wie die der Couföderirten, durchaus
morsch, und es bedürfte nur des einfachen Zufassens, um dies an das Tages¬
licht zu bringen. Alte Truppentheile, welche Sherman entgegengeworfen wurden,
entbehrten der innern Kraft und zerschellten vor dem geringsten Widerstand.
Obgleich Davis und Lee die Bedeutung des Zuges von Sherman erkannten
und ihm alle disponibel» Corps entgegenwarfen, hatte er seit Atlanta kein
ernsthaftes Gefecht mehr zu bestehen. — Nach den verschiedenen näheren Berichten,
die jetzt über diesen Zug bekannt geworden sind, wählte er für sich aus seiner
Armee die besten Truppen aus, darunter keine farbigen Regimenter,
organisirte eine zweckentsprechende Verpflegung und übte eine unnachsichtliche
Disciplin. Feind und Freund erkennen zumal dieses letztere, und beide werden
nicht müde, die Zauber dieser kriegerischen Zucht zu erörtern. Er hat es ver¬
standen in seiner Armee einen Generalstab, eine Verwaltung und Disciplin
zu schaffen und damit wurde er Herr seiner Kräfte. Diese Kräfte aber ver¬
wandte er in der entscheidenden Richtung und mit unausgesetzter Energie.
Während Grant die Kräfte im Großen sammelte und befestigte und den ihm
speciell übergebenen Theil mit Ausdauer, wenn auch nicht mit hervorragendem
Geschick gebrauchte, verstand es Sherman, das ihm anvertraute Instrument zu
schärfen und durch alle Umhüllungen hindurch in das Herz des Gegners zu
stoßen. Und militärisch gefaßt, beide führten zum Siege, weil sie der Armee den
Charakter des Volksheercs nahmen und so viel als nöthig Berufssoldaten schufen.

Der Krieg ist zu Ende, die ungeheuren Folgen desselben lassen sich nur
ahnen. Dieser Krieg hat der Unionsregierung gegenüber den einzelnen Staaten
eine Gewalt gegeben, welche man früher für unmöglich hielt; er hat ein großes
Heer geschaffen; er hat die Männer der Wcststaaten zu Leitern des Staats
und des Heeres gemacht; er hat unendliche Capitalien zerstört in Eisenbahnen,
Ortschaften, Materialien, Beständen und Menschen; er hat eine Schuldenlast
von 2 Milliarden geschaffen, welche 120 Millionen jährlicher Zinsen fordern;
n hatte bis zum ersten Januar dieses Jahres bereits den Staat mit der Ver¬
sorgung von 66,000 Invaliden und dergl. belastet; er hat 4 Millionen For-
o>ge aus der Sklaverei befreit und ihnen die Rechte des Menschen, aber noch
wenig von ihrem Besitz gegeben; und endlich hat er allen hervorragenden Per¬
sönlichkeiten ein weites Feld sich geltend zu machen eröffnet. Die Stillung
des äußeren Kampfes gibt diesen Kräften die Arena frei; die innere Krisis der
nunmehr wieder vereinigten nordamerikanische» Freistaaten beginnt; hoffen wir,
daß die gesunden Kräfte die Oberhand behalten und die Freiheit auch serner
dort eine Stätte habe.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/379>, abgerufen am 29.06.2024.