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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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vor den Kopf schießen oder niederstoßen konnte. Solches fand jedoch nur in
Kriegszeiten, wie beim Zurückweichen in der Bataille, namentlich aber bei der
Bagage, Anwendung. Ein Gleiches widerfuhr den Bauern und Knechten bei
der Vorspann, wenn sie bei einem Gefecht oder Annäherung des Feindes ent¬
weichen wollten. Auch die Marketender und sogar Marketenderinnen waren die¬
sem Martialgesetz unterworfen, wenn sie Unordnung anrichteten, namentlich die
Verwirrung zum Stehlen benutzen wollten.

Die Strafen im Allgemeinen waren aber folgende: Versündigen wider
Gott durch Schwören und Fluchen, Versäumnis) des Gottesdienstes, üppiger
und ärgerlicher Lebenswandel mit dem Stockhaus, Pfahl oder Spießruthen.
"Abgötterei, verbotene Teufelskünste und Zauberei", Gotteslästerung mit dem
Tode. Unzucht. Ehebruch und Bigamie ebenfalls mit dem Tode, Sodomie mit
dem Feuer. Auf Brandstiftung, wenn das Feuer wirklich ausgebrochen, war
Hinrichtung mit dem Schwert, dann Verbrennen des Körpers gesetzt. Auch
der bloße Vorsatz der Brandstiftung wurde mit dem Tode geahndet. Fälschungen
von Pässen, Zeugnissen, Briefen und Siegeln wurden mit Spießruthen bestraft;
waren solche aber für einen Deserteur gefertigt worden, so wurde der Thäter
gleich dem Deserteur gehangen. Wer einen Deserteur oder andern zum Tode
Verurtheilten verbarg, mußte dreißigmal Spießruthen lausen.

Auf Spiel mit Karten und Würfeln standen ebenfalls Spießruthen. Wollte
sich einer dem Spießruthenlaufen widersetzen, was in der argen Verzweiflung
zuweilen vorkam, so sollte die Execution doch erst vollzogen, hernach der Thäter
wieder zu Arrest gebracht und ein neues Gericht über sein Vergehen nieder¬
gesetzt werden, "Wenn einer Gassen laufen soll" -- heißt es weiter -- "und
sich vorher an der Nase, Ohr oder Leib verletzt, oder ins Wasser sich zu ver¬
saufen bemüht, oder eine Infamie von sich angiebt, so soll derselbe dennoch
die erkannte Strafe ausstehen und hernach noch extra mit Festungsarbeit be¬
straft werden; findet sich aber, daß er eine solche Infamie, die zum fernern
Dienst untücktig macht, fälschlich angiebt, so soll er ebenso, als wenn sie
wirtlich wahr wäre, bestraft, durch den Schinder zum Schelm gemacht und
aus Lebenszeit zur Festungsarbeit condemnirt werden."

Ganz besonders wurde das "Verbrechen der Verderbung und Dieberei an
den öffentlichen Loteinen" in der Residenz bestraft. Nach einen Edict von 1732
wurde der ertappte Thäler mit sechsunddreißigmaligem Gassenlaufen durch
200 Man" in drei Tagen und zu drei Jahren in die Karre nach Spandau
veiuitbeilt. Es mußte viel Unfug an den Laternen vorausgegangen sein, wenn
man sick veranlaßt sah, eine so enorme Strafe zu dictiren. Ferner war bei
".mrsindliche, Leibesstrafe" verbot.": das Anheften gedruckter oder geschriebener
Zettel an die Lalerncnpsäble, sowie das Oeffnen der Laternen, um Tabaks¬
pfeifen, Fackeln oder Llan daran anzuzünden.


vor den Kopf schießen oder niederstoßen konnte. Solches fand jedoch nur in
Kriegszeiten, wie beim Zurückweichen in der Bataille, namentlich aber bei der
Bagage, Anwendung. Ein Gleiches widerfuhr den Bauern und Knechten bei
der Vorspann, wenn sie bei einem Gefecht oder Annäherung des Feindes ent¬
weichen wollten. Auch die Marketender und sogar Marketenderinnen waren die¬
sem Martialgesetz unterworfen, wenn sie Unordnung anrichteten, namentlich die
Verwirrung zum Stehlen benutzen wollten.

Die Strafen im Allgemeinen waren aber folgende: Versündigen wider
Gott durch Schwören und Fluchen, Versäumnis) des Gottesdienstes, üppiger
und ärgerlicher Lebenswandel mit dem Stockhaus, Pfahl oder Spießruthen.
„Abgötterei, verbotene Teufelskünste und Zauberei", Gotteslästerung mit dem
Tode. Unzucht. Ehebruch und Bigamie ebenfalls mit dem Tode, Sodomie mit
dem Feuer. Auf Brandstiftung, wenn das Feuer wirklich ausgebrochen, war
Hinrichtung mit dem Schwert, dann Verbrennen des Körpers gesetzt. Auch
der bloße Vorsatz der Brandstiftung wurde mit dem Tode geahndet. Fälschungen
von Pässen, Zeugnissen, Briefen und Siegeln wurden mit Spießruthen bestraft;
waren solche aber für einen Deserteur gefertigt worden, so wurde der Thäter
gleich dem Deserteur gehangen. Wer einen Deserteur oder andern zum Tode
Verurtheilten verbarg, mußte dreißigmal Spießruthen lausen.

Auf Spiel mit Karten und Würfeln standen ebenfalls Spießruthen. Wollte
sich einer dem Spießruthenlaufen widersetzen, was in der argen Verzweiflung
zuweilen vorkam, so sollte die Execution doch erst vollzogen, hernach der Thäter
wieder zu Arrest gebracht und ein neues Gericht über sein Vergehen nieder¬
gesetzt werden, „Wenn einer Gassen laufen soll" — heißt es weiter — „und
sich vorher an der Nase, Ohr oder Leib verletzt, oder ins Wasser sich zu ver¬
saufen bemüht, oder eine Infamie von sich angiebt, so soll derselbe dennoch
die erkannte Strafe ausstehen und hernach noch extra mit Festungsarbeit be¬
straft werden; findet sich aber, daß er eine solche Infamie, die zum fernern
Dienst untücktig macht, fälschlich angiebt, so soll er ebenso, als wenn sie
wirtlich wahr wäre, bestraft, durch den Schinder zum Schelm gemacht und
aus Lebenszeit zur Festungsarbeit condemnirt werden."

Ganz besonders wurde das „Verbrechen der Verderbung und Dieberei an
den öffentlichen Loteinen" in der Residenz bestraft. Nach einen Edict von 1732
wurde der ertappte Thäler mit sechsunddreißigmaligem Gassenlaufen durch
200 Man» in drei Tagen und zu drei Jahren in die Karre nach Spandau
veiuitbeilt. Es mußte viel Unfug an den Laternen vorausgegangen sein, wenn
man sick veranlaßt sah, eine so enorme Strafe zu dictiren. Ferner war bei
„.mrsindliche, Leibesstrafe" verbot.»: das Anheften gedruckter oder geschriebener
Zettel an die Lalerncnpsäble, sowie das Oeffnen der Laternen, um Tabaks¬
pfeifen, Fackeln oder Llan daran anzuzünden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/362>, abgerufen am 29.06.2024.