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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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als einer Tagereise sei überdies der Catatumbo erreicht, und könne diese letzte
Strecke leicht durch die Mannschaft der ganzen, nachfolgenden Karavane aus¬
geführt werden. Jedoch meine Begierde, das Ziel unsres Weges vor Augen
zu sehen, war größer, als daß diese Warnung mich zurückgeschreckt hätte. Der
Embarquiano gab meinem Drängen nach, und wir schritten schweigsam vor¬
wärts. Aber bald theilte sich auch den übrigen Peonen ein merkliches Unbehagen
mit, denn gegen Abend stießen wir auf eine große Feuerstelle. die freilich kalt
und bereits vom Regen abgeschwemmt war, aber in ihrer Aschenmenge und in
dem ringsumher zertretenen und abgeschnittenem Gebüsche auf ein großes und
wenig altes Lager vorübergezogener Indianer schließen ließ. Aller Muth war
jetzt dahin, und in der Furcht vor den giftigen Pfeilen der unchristlichen Brüder
weigerte sich jeder, ohne Verstärkung an Mannschaft weiter vorzugehen.

Das Nachtlager mußte indessen der eingetretenen Dunkelheit halber dennoch
auf der Mesa ausgeschlagen werden. Stumm und verdrießlich schütteten meine
Leute die Streu von Palmenblättern auf und breiteten ein kleines, niedriges
Dach über dieselbe aus, kein Feuer wirbelte seine lustigen Funken und Rauch¬
säulen auf, keine muntre Unterhaltung, keine improvisirten Canzonen verkürzten
die langen Abendstunden, und die ganze Mahlzeit war abgethan mit einem
Stücke pairela^) und dem doppelten Maße der buerms voolrgs. Die Thiere
wurden entfaltete und kurz neben uns angebunden; ein jeder wickelte sich
schweigend in seine Decke und ließ seiner von Angst aufgeregten Einbildungs¬
kraft freien Lauf. Die Tapfersten warfen einige flüchtige Scherze und launige
Einfälle hin, die aber nur ein schwaches Echo fanden. Andre seufzten ein langes
Ave Maria und murmelten mit ungewohnter Inbrunst das stundenlange Rosario
vor sich hin. Dunkel und dunkler wölbte sich der tiefblaue Himmel um die
nur vom Horizonte begrenzte Haideebene. Große Sternbilder erglänzten in
reinem, weißem, farblosem Lichte. Die Stille, die zwischen uns wenigen ver¬
lassenen Menschen in dieser Einöde herrschte, war peinlich und unheimlich. Es
rauschte hinter uns. "Ruhig, daß wir sie nicht aufmerksam auf uns machen!"
flüsterte mein Nachbar, aber es war nur ein nächtiger Raubvogel gewesen, der
mit weichen Schwingen über das Palmengestrüpp hin dem Walde zuschwebte.
"Ich höre sprechen, sie sinds!" flüsterte nach einer Stunde der andere Nachbar
neben mir. "Duell Euch; die Waffen zur Hand!" befahl ich mit gedämpfter
Stimme. Es geschah; aber gleich darauf verspottete uns unser tapfrer Embar¬
quiano mit einem lauten Gelächter, -- unweit von uns schnob'und grunzte
eine Manate wilder Schweine vorüber.

Durch diese glücklichen Enttäuschungen wurde man wesentlich ermuthigt, und



2) ?!MLlz, -- der braune, in hölzerne, viereckige Formen gegossene und darinnen ver¬
härtete Rohzucker.

als einer Tagereise sei überdies der Catatumbo erreicht, und könne diese letzte
Strecke leicht durch die Mannschaft der ganzen, nachfolgenden Karavane aus¬
geführt werden. Jedoch meine Begierde, das Ziel unsres Weges vor Augen
zu sehen, war größer, als daß diese Warnung mich zurückgeschreckt hätte. Der
Embarquiano gab meinem Drängen nach, und wir schritten schweigsam vor¬
wärts. Aber bald theilte sich auch den übrigen Peonen ein merkliches Unbehagen
mit, denn gegen Abend stießen wir auf eine große Feuerstelle. die freilich kalt
und bereits vom Regen abgeschwemmt war, aber in ihrer Aschenmenge und in
dem ringsumher zertretenen und abgeschnittenem Gebüsche auf ein großes und
wenig altes Lager vorübergezogener Indianer schließen ließ. Aller Muth war
jetzt dahin, und in der Furcht vor den giftigen Pfeilen der unchristlichen Brüder
weigerte sich jeder, ohne Verstärkung an Mannschaft weiter vorzugehen.

Das Nachtlager mußte indessen der eingetretenen Dunkelheit halber dennoch
auf der Mesa ausgeschlagen werden. Stumm und verdrießlich schütteten meine
Leute die Streu von Palmenblättern auf und breiteten ein kleines, niedriges
Dach über dieselbe aus, kein Feuer wirbelte seine lustigen Funken und Rauch¬
säulen auf, keine muntre Unterhaltung, keine improvisirten Canzonen verkürzten
die langen Abendstunden, und die ganze Mahlzeit war abgethan mit einem
Stücke pairela^) und dem doppelten Maße der buerms voolrgs. Die Thiere
wurden entfaltete und kurz neben uns angebunden; ein jeder wickelte sich
schweigend in seine Decke und ließ seiner von Angst aufgeregten Einbildungs¬
kraft freien Lauf. Die Tapfersten warfen einige flüchtige Scherze und launige
Einfälle hin, die aber nur ein schwaches Echo fanden. Andre seufzten ein langes
Ave Maria und murmelten mit ungewohnter Inbrunst das stundenlange Rosario
vor sich hin. Dunkel und dunkler wölbte sich der tiefblaue Himmel um die
nur vom Horizonte begrenzte Haideebene. Große Sternbilder erglänzten in
reinem, weißem, farblosem Lichte. Die Stille, die zwischen uns wenigen ver¬
lassenen Menschen in dieser Einöde herrschte, war peinlich und unheimlich. Es
rauschte hinter uns. „Ruhig, daß wir sie nicht aufmerksam auf uns machen!"
flüsterte mein Nachbar, aber es war nur ein nächtiger Raubvogel gewesen, der
mit weichen Schwingen über das Palmengestrüpp hin dem Walde zuschwebte.
„Ich höre sprechen, sie sinds!" flüsterte nach einer Stunde der andere Nachbar
neben mir. „Duell Euch; die Waffen zur Hand!" befahl ich mit gedämpfter
Stimme. Es geschah; aber gleich darauf verspottete uns unser tapfrer Embar¬
quiano mit einem lauten Gelächter, — unweit von uns schnob'und grunzte
eine Manate wilder Schweine vorüber.

Durch diese glücklichen Enttäuschungen wurde man wesentlich ermuthigt, und



2) ?!MLlz, — der braune, in hölzerne, viereckige Formen gegossene und darinnen ver¬
härtete Rohzucker.
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[0328] als einer Tagereise sei überdies der Catatumbo erreicht, und könne diese letzte Strecke leicht durch die Mannschaft der ganzen, nachfolgenden Karavane aus¬ geführt werden. Jedoch meine Begierde, das Ziel unsres Weges vor Augen zu sehen, war größer, als daß diese Warnung mich zurückgeschreckt hätte. Der Embarquiano gab meinem Drängen nach, und wir schritten schweigsam vor¬ wärts. Aber bald theilte sich auch den übrigen Peonen ein merkliches Unbehagen mit, denn gegen Abend stießen wir auf eine große Feuerstelle. die freilich kalt und bereits vom Regen abgeschwemmt war, aber in ihrer Aschenmenge und in dem ringsumher zertretenen und abgeschnittenem Gebüsche auf ein großes und wenig altes Lager vorübergezogener Indianer schließen ließ. Aller Muth war jetzt dahin, und in der Furcht vor den giftigen Pfeilen der unchristlichen Brüder weigerte sich jeder, ohne Verstärkung an Mannschaft weiter vorzugehen. Das Nachtlager mußte indessen der eingetretenen Dunkelheit halber dennoch auf der Mesa ausgeschlagen werden. Stumm und verdrießlich schütteten meine Leute die Streu von Palmenblättern auf und breiteten ein kleines, niedriges Dach über dieselbe aus, kein Feuer wirbelte seine lustigen Funken und Rauch¬ säulen auf, keine muntre Unterhaltung, keine improvisirten Canzonen verkürzten die langen Abendstunden, und die ganze Mahlzeit war abgethan mit einem Stücke pairela^) und dem doppelten Maße der buerms voolrgs. Die Thiere wurden entfaltete und kurz neben uns angebunden; ein jeder wickelte sich schweigend in seine Decke und ließ seiner von Angst aufgeregten Einbildungs¬ kraft freien Lauf. Die Tapfersten warfen einige flüchtige Scherze und launige Einfälle hin, die aber nur ein schwaches Echo fanden. Andre seufzten ein langes Ave Maria und murmelten mit ungewohnter Inbrunst das stundenlange Rosario vor sich hin. Dunkel und dunkler wölbte sich der tiefblaue Himmel um die nur vom Horizonte begrenzte Haideebene. Große Sternbilder erglänzten in reinem, weißem, farblosem Lichte. Die Stille, die zwischen uns wenigen ver¬ lassenen Menschen in dieser Einöde herrschte, war peinlich und unheimlich. Es rauschte hinter uns. „Ruhig, daß wir sie nicht aufmerksam auf uns machen!" flüsterte mein Nachbar, aber es war nur ein nächtiger Raubvogel gewesen, der mit weichen Schwingen über das Palmengestrüpp hin dem Walde zuschwebte. „Ich höre sprechen, sie sinds!" flüsterte nach einer Stunde der andere Nachbar neben mir. „Duell Euch; die Waffen zur Hand!" befahl ich mit gedämpfter Stimme. Es geschah; aber gleich darauf verspottete uns unser tapfrer Embar¬ quiano mit einem lauten Gelächter, — unweit von uns schnob'und grunzte eine Manate wilder Schweine vorüber. Durch diese glücklichen Enttäuschungen wurde man wesentlich ermuthigt, und 2) ?!MLlz, — der braune, in hölzerne, viereckige Formen gegossene und darinnen ver¬ härtete Rohzucker.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/328>, abgerufen am 26.06.2024.