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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Archaismus entlehnten, aus dem Staube hervorgezogenen Worte und Wendungen,
dort neue, wunderliche Bildungen individuellster Art. dort wieder provinzielle
Eigenthümlichkeiten mit all dem üppig wuchernden Schwulst, der die Latinität
der Söhne Afrikas schlingpflanzenartig zu umranken Pflegt. Hat man mit Recht
von Fronto gesagt, daß sich in ihm nicht die Gluth. nur der Sand Afrikas
finde, -- bei Apulejus sind beide neben- und durcheinander vorhanden. In
ihm stellt sich die barockste Species unseres Rococo dem Blicke dar.

Dieser Buntheit entsprechen nun auch die Studien und die Schriften des
Apulejus: in beiden Sprachen schrieb er, wie Hadrian, gelegentlich auch in
beiden dasselbe, und in beiderlei Rede; außer seiner eigentlichen Berufswissen-
schaft, der Rhetorik, hat er nicht nur über Philosophie. Arithmetik. Musik, nicht
nur wahrscheinlich auch über die andern freien Künste Arbeiten geliefert, sondern
ebenso über Naturwissenschaft und ihre praktischen Ausläufer, Ackerbau und
Medicin. Nicht minder bewegt dieser wissenschaftliche Encyklopädist sich aus
fast allen Gebieten der schönen Literatur: er verfaßt Prunkreden und Romane;
seine Gedichte ertönen ebenso sehr zum Preise der Götter und der Schönheit,
wie troj; Hoff und Daubitz! als Reclame bei einer auf Verlangen erfolgenden
Sendung von -- Zahnpulver.

Wie jenen wissenschaftlichen, nebst jener Apologie verhältnißmäßig reiner
geschriebenen Werken neben eigener Forschung griechische Vorbilder zu Grunde
lagen, so erscheint auch sein Hauptroman, die Geschichte eines durch seine
Neugier nach übernatürlichen Geheimnissen in einen Esel verzauberten Jünglings,
einer griechischen Quelle und zwar wohl direct im Wesentlichen der be¬
kannten entsprechenden Erzählung des Lucian entnommen, zu dem Apulejus
sich besonders hingezogen fühlen mußte. Jedenfalls nicht daher entlehnt und
Wohl in seinen Grundzügen der Ueberlieferung durch Volksmund entnommen,
ist das eingcflochtene, reizende Märchen von Amor und Psyche; die Darstellung
des lösenden, reinigenden und befreienden Einflusses der Mysterien am Schlüsse
läßt den in fast alle griechischen Geheimdienste eingeweihten Apulejus erkennen,
welcher selbst darin ein Palliativ gegen die herrschende Sittenverdervniß
erblickte.

Haben wir es bei manchen Wunderlichkeiten hier jedenfalls mit einem
Geiste zu thun, der zwar mannigfache fremde Elemente in sich aufnahm, sie
aber selbständig verarbeitete und seine eigenen Bahnen ging, zählt Apulejus
zu der angesehenen und beneideten Classe von Literaten, zu deren Borträgen
das Publicum strömte, denen die Bewunderung der Mitlebenden Standbilder
errichtete, so fehlt es auch nicht an jenen treufleißigen, bescheidenen Gelehrten
untergeordneten Ranges, die andächtig den Worten der Meister lauschend von
den Brosamen leben, die von ihren Tischen fallen.

Solch ein braver Jünger ist Aulus Gellius.


Archaismus entlehnten, aus dem Staube hervorgezogenen Worte und Wendungen,
dort neue, wunderliche Bildungen individuellster Art. dort wieder provinzielle
Eigenthümlichkeiten mit all dem üppig wuchernden Schwulst, der die Latinität
der Söhne Afrikas schlingpflanzenartig zu umranken Pflegt. Hat man mit Recht
von Fronto gesagt, daß sich in ihm nicht die Gluth. nur der Sand Afrikas
finde, — bei Apulejus sind beide neben- und durcheinander vorhanden. In
ihm stellt sich die barockste Species unseres Rococo dem Blicke dar.

Dieser Buntheit entsprechen nun auch die Studien und die Schriften des
Apulejus: in beiden Sprachen schrieb er, wie Hadrian, gelegentlich auch in
beiden dasselbe, und in beiderlei Rede; außer seiner eigentlichen Berufswissen-
schaft, der Rhetorik, hat er nicht nur über Philosophie. Arithmetik. Musik, nicht
nur wahrscheinlich auch über die andern freien Künste Arbeiten geliefert, sondern
ebenso über Naturwissenschaft und ihre praktischen Ausläufer, Ackerbau und
Medicin. Nicht minder bewegt dieser wissenschaftliche Encyklopädist sich aus
fast allen Gebieten der schönen Literatur: er verfaßt Prunkreden und Romane;
seine Gedichte ertönen ebenso sehr zum Preise der Götter und der Schönheit,
wie troj; Hoff und Daubitz! als Reclame bei einer auf Verlangen erfolgenden
Sendung von — Zahnpulver.

Wie jenen wissenschaftlichen, nebst jener Apologie verhältnißmäßig reiner
geschriebenen Werken neben eigener Forschung griechische Vorbilder zu Grunde
lagen, so erscheint auch sein Hauptroman, die Geschichte eines durch seine
Neugier nach übernatürlichen Geheimnissen in einen Esel verzauberten Jünglings,
einer griechischen Quelle und zwar wohl direct im Wesentlichen der be¬
kannten entsprechenden Erzählung des Lucian entnommen, zu dem Apulejus
sich besonders hingezogen fühlen mußte. Jedenfalls nicht daher entlehnt und
Wohl in seinen Grundzügen der Ueberlieferung durch Volksmund entnommen,
ist das eingcflochtene, reizende Märchen von Amor und Psyche; die Darstellung
des lösenden, reinigenden und befreienden Einflusses der Mysterien am Schlüsse
läßt den in fast alle griechischen Geheimdienste eingeweihten Apulejus erkennen,
welcher selbst darin ein Palliativ gegen die herrschende Sittenverdervniß
erblickte.

Haben wir es bei manchen Wunderlichkeiten hier jedenfalls mit einem
Geiste zu thun, der zwar mannigfache fremde Elemente in sich aufnahm, sie
aber selbständig verarbeitete und seine eigenen Bahnen ging, zählt Apulejus
zu der angesehenen und beneideten Classe von Literaten, zu deren Borträgen
das Publicum strömte, denen die Bewunderung der Mitlebenden Standbilder
errichtete, so fehlt es auch nicht an jenen treufleißigen, bescheidenen Gelehrten
untergeordneten Ranges, die andächtig den Worten der Meister lauschend von
den Brosamen leben, die von ihren Tischen fallen.

Solch ein braver Jünger ist Aulus Gellius.


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[0324] Archaismus entlehnten, aus dem Staube hervorgezogenen Worte und Wendungen, dort neue, wunderliche Bildungen individuellster Art. dort wieder provinzielle Eigenthümlichkeiten mit all dem üppig wuchernden Schwulst, der die Latinität der Söhne Afrikas schlingpflanzenartig zu umranken Pflegt. Hat man mit Recht von Fronto gesagt, daß sich in ihm nicht die Gluth. nur der Sand Afrikas finde, — bei Apulejus sind beide neben- und durcheinander vorhanden. In ihm stellt sich die barockste Species unseres Rococo dem Blicke dar. Dieser Buntheit entsprechen nun auch die Studien und die Schriften des Apulejus: in beiden Sprachen schrieb er, wie Hadrian, gelegentlich auch in beiden dasselbe, und in beiderlei Rede; außer seiner eigentlichen Berufswissen- schaft, der Rhetorik, hat er nicht nur über Philosophie. Arithmetik. Musik, nicht nur wahrscheinlich auch über die andern freien Künste Arbeiten geliefert, sondern ebenso über Naturwissenschaft und ihre praktischen Ausläufer, Ackerbau und Medicin. Nicht minder bewegt dieser wissenschaftliche Encyklopädist sich aus fast allen Gebieten der schönen Literatur: er verfaßt Prunkreden und Romane; seine Gedichte ertönen ebenso sehr zum Preise der Götter und der Schönheit, wie troj; Hoff und Daubitz! als Reclame bei einer auf Verlangen erfolgenden Sendung von — Zahnpulver. Wie jenen wissenschaftlichen, nebst jener Apologie verhältnißmäßig reiner geschriebenen Werken neben eigener Forschung griechische Vorbilder zu Grunde lagen, so erscheint auch sein Hauptroman, die Geschichte eines durch seine Neugier nach übernatürlichen Geheimnissen in einen Esel verzauberten Jünglings, einer griechischen Quelle und zwar wohl direct im Wesentlichen der be¬ kannten entsprechenden Erzählung des Lucian entnommen, zu dem Apulejus sich besonders hingezogen fühlen mußte. Jedenfalls nicht daher entlehnt und Wohl in seinen Grundzügen der Ueberlieferung durch Volksmund entnommen, ist das eingcflochtene, reizende Märchen von Amor und Psyche; die Darstellung des lösenden, reinigenden und befreienden Einflusses der Mysterien am Schlüsse läßt den in fast alle griechischen Geheimdienste eingeweihten Apulejus erkennen, welcher selbst darin ein Palliativ gegen die herrschende Sittenverdervniß erblickte. Haben wir es bei manchen Wunderlichkeiten hier jedenfalls mit einem Geiste zu thun, der zwar mannigfache fremde Elemente in sich aufnahm, sie aber selbständig verarbeitete und seine eigenen Bahnen ging, zählt Apulejus zu der angesehenen und beneideten Classe von Literaten, zu deren Borträgen das Publicum strömte, denen die Bewunderung der Mitlebenden Standbilder errichtete, so fehlt es auch nicht an jenen treufleißigen, bescheidenen Gelehrten untergeordneten Ranges, die andächtig den Worten der Meister lauschend von den Brosamen leben, die von ihren Tischen fallen. Solch ein braver Jünger ist Aulus Gellius.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/324>, abgerufen am 26.06.2024.