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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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der Lehrer des M. Aurel, der eine fast fürstliche Existenz führt und durch die
Pracht seiner athenischen Bauten manchen Fürsten verdunkelt.

M. Aurel selbst war gegen die Koryphäen dieser Richtung bis zur Ver¬
schwendung freigebig; innerlich stand er derselben fremd gegenüber. Von hohem
Adel der Seele, von tiefer und eindringender Auffassung der höchsten Probleme
des Lebens legen seine tagebuchartigen Aphorismen Zeugniß ab. Der Philosoph
auf dem Throne der Cäsaren hatte gerechten Anspruch auf die Bewunderung
des geistesverwandten Philosophen von Sanssouci. der im Bewußtsein dieser
geistigen Verwandtschaft es liebte, seine Gemächer mit den Marmorbildern des
Kroßen römischen Kaisers zu schmücken. Wie Friedrich französisch, so schreibt
M. Aurel griechisch; aber wenn jener auch an die besten stilistischen Muster
sich anlehnt, so stellt dieser es nickt nur als eine Forderung auf. seine Gedanken
nicht durch Redeschmnck aufzuputzen und weder vielgeschäftig noch wortreich zu
sein, sondern er treibt die Knappheit seines Ausdrucks bis zur Dunkelheit.
Tiefer eingreifende Förderung wendet er demgemäß nur den philosophischen
Studien zu.

Wenn es in dieser Zeit auch außer dem Kaiser ernste und würdige Vertreter
der Philosophie gab. Markt und Gassen waren von Afterweisen erfüllt. Unter
einem ehrwürdigen und ascetischen Aeußeren. mit grober Kutte, knotigem Stock,
obligatem Ranzen und lang herabwallenden Barte, die als nothwendiger Apparat
dieser Winkelphilosophen erscheinen, bargen sie meist dummdreiste und bettel¬
hafte Zudringlichkeit, kindischen Hochmuth, frivole Genußsucht, oft noch viel
tiefere Unsittlichkeit.

Niemand hat uns. wie diese verächtliche Menschenclasse, so die mannig¬
fachen Auswüchse dieser Epoche mit lebhafteren Farben geschildert, als Lucian.

Diesem in manchen Beziehungen geistig verwandt ist Apulejus. Von
Geburt Afrikaner, wie Fronto. hatte er sich durch einen Studienaufenthalt in
Athen und durch ausgedehnte Reisen gebildet; dann wirkte er eine Zeit lang
mit Anerkennung als Sachwalter in Rom. Später nach Afrika zurückgekehrt,
gewann er sich Ruhm und Ansehen als Lehrer der Beredsamkeit und durch
öffentliche Vorträge. Infolge der Lerheirathung mit einer viel älteren Wittwe
geneth er aber in unangenehme Verwickelungen mit der Familie ihres ersten
Mannes und schließlich auf die Anklagebank. Wir besitzen noch die Rede, in
^r er sich gegen die von jener Sippschaft wider ihn erhobene Anklage der Zauberei
vertheidigte. Dürfen wir diese Rechtfertigung als eine vollständige bezeichnen,
die ihren Zweck nicht verfehlt haben wird, so öffnet sie uns auch den näheren
Einblick in diese interessante und eigenartige Persönlichkeit. In wunderbarer
Weise vereinigen sich hier wissenschaftlicher Sinn mit phantastischer Wundersucht,
originelle, selbständig durchgebildete Anlagen mit Anlehnung an den Zeit-
geschmack; hier, der Moderichtung entsprechend, die aus den Rüstkammern des


der Lehrer des M. Aurel, der eine fast fürstliche Existenz führt und durch die
Pracht seiner athenischen Bauten manchen Fürsten verdunkelt.

M. Aurel selbst war gegen die Koryphäen dieser Richtung bis zur Ver¬
schwendung freigebig; innerlich stand er derselben fremd gegenüber. Von hohem
Adel der Seele, von tiefer und eindringender Auffassung der höchsten Probleme
des Lebens legen seine tagebuchartigen Aphorismen Zeugniß ab. Der Philosoph
auf dem Throne der Cäsaren hatte gerechten Anspruch auf die Bewunderung
des geistesverwandten Philosophen von Sanssouci. der im Bewußtsein dieser
geistigen Verwandtschaft es liebte, seine Gemächer mit den Marmorbildern des
Kroßen römischen Kaisers zu schmücken. Wie Friedrich französisch, so schreibt
M. Aurel griechisch; aber wenn jener auch an die besten stilistischen Muster
sich anlehnt, so stellt dieser es nickt nur als eine Forderung auf. seine Gedanken
nicht durch Redeschmnck aufzuputzen und weder vielgeschäftig noch wortreich zu
sein, sondern er treibt die Knappheit seines Ausdrucks bis zur Dunkelheit.
Tiefer eingreifende Förderung wendet er demgemäß nur den philosophischen
Studien zu.

Wenn es in dieser Zeit auch außer dem Kaiser ernste und würdige Vertreter
der Philosophie gab. Markt und Gassen waren von Afterweisen erfüllt. Unter
einem ehrwürdigen und ascetischen Aeußeren. mit grober Kutte, knotigem Stock,
obligatem Ranzen und lang herabwallenden Barte, die als nothwendiger Apparat
dieser Winkelphilosophen erscheinen, bargen sie meist dummdreiste und bettel¬
hafte Zudringlichkeit, kindischen Hochmuth, frivole Genußsucht, oft noch viel
tiefere Unsittlichkeit.

Niemand hat uns. wie diese verächtliche Menschenclasse, so die mannig¬
fachen Auswüchse dieser Epoche mit lebhafteren Farben geschildert, als Lucian.

Diesem in manchen Beziehungen geistig verwandt ist Apulejus. Von
Geburt Afrikaner, wie Fronto. hatte er sich durch einen Studienaufenthalt in
Athen und durch ausgedehnte Reisen gebildet; dann wirkte er eine Zeit lang
mit Anerkennung als Sachwalter in Rom. Später nach Afrika zurückgekehrt,
gewann er sich Ruhm und Ansehen als Lehrer der Beredsamkeit und durch
öffentliche Vorträge. Infolge der Lerheirathung mit einer viel älteren Wittwe
geneth er aber in unangenehme Verwickelungen mit der Familie ihres ersten
Mannes und schließlich auf die Anklagebank. Wir besitzen noch die Rede, in
^r er sich gegen die von jener Sippschaft wider ihn erhobene Anklage der Zauberei
vertheidigte. Dürfen wir diese Rechtfertigung als eine vollständige bezeichnen,
die ihren Zweck nicht verfehlt haben wird, so öffnet sie uns auch den näheren
Einblick in diese interessante und eigenartige Persönlichkeit. In wunderbarer
Weise vereinigen sich hier wissenschaftlicher Sinn mit phantastischer Wundersucht,
originelle, selbständig durchgebildete Anlagen mit Anlehnung an den Zeit-
geschmack; hier, der Moderichtung entsprechend, die aus den Rüstkammern des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/323>, abgerufen am 28.09.2024.