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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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werden, die Truppenzahl in Erwägung zu ziehen. Obwohl das Ministerium
diesen Antrag mit außerordentlichem Geschick vertheidigt, werden doch alle, die
für Ermächtigung sprechen, zur Ruhe geschrien. Bei der Fragestellung ertönt
ein lautes Nein. Bon einer Abstimmung sieht die Minderheit, um ihre Schwäche
nicht zu offenbaren, ab. Das Gesetz über die Armeereduction selbst macht schnell
alle Stadien durch und wird mit 221 gegen 164 Stimmen angenommen.

Im Oberhaus wurde es nun zwar nicht günstig angesehen'; wenn man
aber dem König nicht die Gelder zum Unterhalt der Truppen gab -- und das
konnte nur das Unterhaus -- so half die Verwerfung nichts; es ging daher
auch hier ohne Abstimmung durch.

Wilhelm hatte unterdeß seine Selbstbeherrschung wiedergewonnen. Sein
Veto konnte er in dieser Frage nicht einlegen, ohne die Auflösung der ganzen
Armee zu veranlassen, er beschloß nachzugeben; vorher aber eine zugleich ernste
und freundliche Ermahnung an sein Volk zu richten. Er erscheint deshalb,
ohne in seinem Aeußern seine Erregung zu verrathen, im Oberhaus, läßt
das Unterhaus entbieten und sagt, er sei gekommen, um ihnen kund zu thun,
daß er das Gesetz gleich nach seiner Vollendung bestätigen werde; doch wolle
er noch einmal ihnen vorstellen, daß sie ihn, ihren Befreier, unfreundlich behandelt
hätten. Indeß sei es seine feste Ueberzeugung, daß dem Staat nichts so ge¬
fährlich sei, als wenn man ihn mit Mißtrauen oeirachte, sei dasselbe auch noch
so ungegründet. Allein aus diesem Grunde werde er das Gesetz bestätigen;
damit ihn aber niemand für die Folgen verantwortlich mache, sei es seine Pflicht,
ihnen zu sagen, daß in der That die Nation zu ausgesetzt bleiben würde.

Im Allgemeinen gefiel diese Rede, und das Unterhaus beschloß eine Dank¬
adresse, worin es ihm versicherte, daß die Nation immer zu ihm stehen
werde.

Da traten auf einmal Ereignisse ein, welche die ganze Lage der Dinge änderten.
Der Erbprinz von Bayern starb. Bald 'konnte der ganze Kontinent unter
Waffen sein. Die öffentliche Meinung erhielt einen Umschwung, und die Re¬
gierung durfte hoffen, jetzt eine Vermehrung der Heeresmacht durchzusetzen.
Da aber zeigte Wilhelm, daß er auch Mensch sei. Anstatt eine Vermehrung
der englischen Truppen zu fordern, strengte er seinen Einfluß an, um sür die
holländische Garde die Erlaubniß zu erwirken, auf der Insel zu bleiben.

Die Sache kam zuerst vor das Oberhaus. Eine Resolution, freudig jeden
Plan zu unterstützen, die Dienste der holländischen Brigade dem Lande zu er¬
halten, wird mit S4 gegen 38 Stimmen durchgebracht. Die Minorität protestirt
gegen die ganze Abstimmung. Im Unterhaus macht der Vorgang böses Blut.
Es wird als unparlamentarisch bezeichnet, diese Woche ein Gesetz zu bestätigen,
und die nächste eine Resolution, welche es verurtheilt. Wilhelm geht jedoch
bis zum Aeußersten. Er sendet an das Unterhaus eine allem Gebrauch zu-


werden, die Truppenzahl in Erwägung zu ziehen. Obwohl das Ministerium
diesen Antrag mit außerordentlichem Geschick vertheidigt, werden doch alle, die
für Ermächtigung sprechen, zur Ruhe geschrien. Bei der Fragestellung ertönt
ein lautes Nein. Bon einer Abstimmung sieht die Minderheit, um ihre Schwäche
nicht zu offenbaren, ab. Das Gesetz über die Armeereduction selbst macht schnell
alle Stadien durch und wird mit 221 gegen 164 Stimmen angenommen.

Im Oberhaus wurde es nun zwar nicht günstig angesehen'; wenn man
aber dem König nicht die Gelder zum Unterhalt der Truppen gab — und das
konnte nur das Unterhaus — so half die Verwerfung nichts; es ging daher
auch hier ohne Abstimmung durch.

Wilhelm hatte unterdeß seine Selbstbeherrschung wiedergewonnen. Sein
Veto konnte er in dieser Frage nicht einlegen, ohne die Auflösung der ganzen
Armee zu veranlassen, er beschloß nachzugeben; vorher aber eine zugleich ernste
und freundliche Ermahnung an sein Volk zu richten. Er erscheint deshalb,
ohne in seinem Aeußern seine Erregung zu verrathen, im Oberhaus, läßt
das Unterhaus entbieten und sagt, er sei gekommen, um ihnen kund zu thun,
daß er das Gesetz gleich nach seiner Vollendung bestätigen werde; doch wolle
er noch einmal ihnen vorstellen, daß sie ihn, ihren Befreier, unfreundlich behandelt
hätten. Indeß sei es seine feste Ueberzeugung, daß dem Staat nichts so ge¬
fährlich sei, als wenn man ihn mit Mißtrauen oeirachte, sei dasselbe auch noch
so ungegründet. Allein aus diesem Grunde werde er das Gesetz bestätigen;
damit ihn aber niemand für die Folgen verantwortlich mache, sei es seine Pflicht,
ihnen zu sagen, daß in der That die Nation zu ausgesetzt bleiben würde.

Im Allgemeinen gefiel diese Rede, und das Unterhaus beschloß eine Dank¬
adresse, worin es ihm versicherte, daß die Nation immer zu ihm stehen
werde.

Da traten auf einmal Ereignisse ein, welche die ganze Lage der Dinge änderten.
Der Erbprinz von Bayern starb. Bald 'konnte der ganze Kontinent unter
Waffen sein. Die öffentliche Meinung erhielt einen Umschwung, und die Re¬
gierung durfte hoffen, jetzt eine Vermehrung der Heeresmacht durchzusetzen.
Da aber zeigte Wilhelm, daß er auch Mensch sei. Anstatt eine Vermehrung
der englischen Truppen zu fordern, strengte er seinen Einfluß an, um sür die
holländische Garde die Erlaubniß zu erwirken, auf der Insel zu bleiben.

Die Sache kam zuerst vor das Oberhaus. Eine Resolution, freudig jeden
Plan zu unterstützen, die Dienste der holländischen Brigade dem Lande zu er¬
halten, wird mit S4 gegen 38 Stimmen durchgebracht. Die Minorität protestirt
gegen die ganze Abstimmung. Im Unterhaus macht der Vorgang böses Blut.
Es wird als unparlamentarisch bezeichnet, diese Woche ein Gesetz zu bestätigen,
und die nächste eine Resolution, welche es verurtheilt. Wilhelm geht jedoch
bis zum Aeußersten. Er sendet an das Unterhaus eine allem Gebrauch zu-


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[0316] werden, die Truppenzahl in Erwägung zu ziehen. Obwohl das Ministerium diesen Antrag mit außerordentlichem Geschick vertheidigt, werden doch alle, die für Ermächtigung sprechen, zur Ruhe geschrien. Bei der Fragestellung ertönt ein lautes Nein. Bon einer Abstimmung sieht die Minderheit, um ihre Schwäche nicht zu offenbaren, ab. Das Gesetz über die Armeereduction selbst macht schnell alle Stadien durch und wird mit 221 gegen 164 Stimmen angenommen. Im Oberhaus wurde es nun zwar nicht günstig angesehen'; wenn man aber dem König nicht die Gelder zum Unterhalt der Truppen gab — und das konnte nur das Unterhaus — so half die Verwerfung nichts; es ging daher auch hier ohne Abstimmung durch. Wilhelm hatte unterdeß seine Selbstbeherrschung wiedergewonnen. Sein Veto konnte er in dieser Frage nicht einlegen, ohne die Auflösung der ganzen Armee zu veranlassen, er beschloß nachzugeben; vorher aber eine zugleich ernste und freundliche Ermahnung an sein Volk zu richten. Er erscheint deshalb, ohne in seinem Aeußern seine Erregung zu verrathen, im Oberhaus, läßt das Unterhaus entbieten und sagt, er sei gekommen, um ihnen kund zu thun, daß er das Gesetz gleich nach seiner Vollendung bestätigen werde; doch wolle er noch einmal ihnen vorstellen, daß sie ihn, ihren Befreier, unfreundlich behandelt hätten. Indeß sei es seine feste Ueberzeugung, daß dem Staat nichts so ge¬ fährlich sei, als wenn man ihn mit Mißtrauen oeirachte, sei dasselbe auch noch so ungegründet. Allein aus diesem Grunde werde er das Gesetz bestätigen; damit ihn aber niemand für die Folgen verantwortlich mache, sei es seine Pflicht, ihnen zu sagen, daß in der That die Nation zu ausgesetzt bleiben würde. Im Allgemeinen gefiel diese Rede, und das Unterhaus beschloß eine Dank¬ adresse, worin es ihm versicherte, daß die Nation immer zu ihm stehen werde. Da traten auf einmal Ereignisse ein, welche die ganze Lage der Dinge änderten. Der Erbprinz von Bayern starb. Bald 'konnte der ganze Kontinent unter Waffen sein. Die öffentliche Meinung erhielt einen Umschwung, und die Re¬ gierung durfte hoffen, jetzt eine Vermehrung der Heeresmacht durchzusetzen. Da aber zeigte Wilhelm, daß er auch Mensch sei. Anstatt eine Vermehrung der englischen Truppen zu fordern, strengte er seinen Einfluß an, um sür die holländische Garde die Erlaubniß zu erwirken, auf der Insel zu bleiben. Die Sache kam zuerst vor das Oberhaus. Eine Resolution, freudig jeden Plan zu unterstützen, die Dienste der holländischen Brigade dem Lande zu er¬ halten, wird mit S4 gegen 38 Stimmen durchgebracht. Die Minorität protestirt gegen die ganze Abstimmung. Im Unterhaus macht der Vorgang böses Blut. Es wird als unparlamentarisch bezeichnet, diese Woche ein Gesetz zu bestätigen, und die nächste eine Resolution, welche es verurtheilt. Wilhelm geht jedoch bis zum Aeußersten. Er sendet an das Unterhaus eine allem Gebrauch zu-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/316>, abgerufen am 29.06.2024.