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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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so sehr auch Rom in der Verehrung der Italiener obenansteht. "Die Steine
seiner Mauern" -- so sprach Dante -- "verdienen Ehrfurcht und der Boden,
Worauf es gegründet ward, ist würdiger als die Menschen sagen." Die Wahr¬
heit dieses Wortes wird noch heute von jedem empfunden, dem Steine nicht
blos Kalk und Marmor und dem die sieben Hügel nicht blos Erde sind. Und
dennoch ist Rom nicht in gleicher Weise das Italien Italiens wie einstmals
Athen das Hellas in Hellas war. Zweimal ist Rom die Hauptstadt der Welt
gewesen, aber im Alterthume war das römische Imperium, im Miitelalter des
Papstthum mit ihren eigenthümlichen Interessen das Bedingende und Be¬
stimmende seiner Hoheit; das national-italienische Wesen dagegen verdankt
seine Weltstellung Florenz und den Florentinern.

Damit soll die Bedeutung der piemontesischen Geschichte nicht gekränkt
werden, welche der Erneuerung Italiens in unserm Zeitalter Anstoß und Namen
gegeben hat. Feiert man aber die erstaunlichen, freilich auch nicht unbedenklichen
Leistungen Piemonts mit dem großen Worte des risoigimeiito der Auf¬
erstehung Italiens, dann muß man nicht vergessen, daß wie jenes Wort so
auch dieses Ereigniß zur Voraussetzung die Existenz eines lebendig Begrabnen
hat, das Dank dem Machtspruch kühner Geister sich wieder auf sich selbst be¬
sinnen konnte. Dies Leben selber aber erzeugt und genährt zu haben, ist
das unsterbliche Verdienst der florentinischen Geschichte, deren edles Antlitz aus
den Denkmälern der Cultur hervorleuchtet, welche wir als die der Wieder¬
geburt, der Renaissance bezeichnen.

Niemals ist einer Geschichtsepoche ein schönerer Name mit besserem Rechte
gegeben worden. Die Bedeutung dieser Cultur ist mit nichte" auf Italien be¬
schränkt und noch viel weniger ist ihr Genüge gethan, wenn man sie, wie es
"se geschieht, blos auf die Künste beziehen oder von dem wissenschaftlichen
Import von jenseits der Adria herleiten will. Ihre Erzeugnisse sind der Kanon
der modernen Bildung der Menschheit geworden, und sie umfaßt die religiösen,
sittlichen und ästhetischen Ideale, wenn auch das Verhältniß dieser Factoren
unter einander abweicht von demjenigen, welches in der Geschichte der deutschen
Geistesentwicklung hervortritt. In der Natur beider Völker scheint der Unter¬
schied begründet zu sein, daß der Schwerpunkt bei allen Wendungen der Geistes¬
geschichte unter den Germanen im sittlich-religiösen Bewußtsein liegt, während
das innere Leben der Romanen und vornehmlich der Italiener sich überwiegend
An Ästhetischen bewegt. Die Geschichtsbetrachtung begnügt sich oft bei diesen
Allgemeinheiten, und wenn man sie auf die bekanntesten Erscheinungen und
"uf die spätere Zeit der Renaissance-Epoche einschränkt, so mag man sie gelten
lassen; für die Anfänge jedoch protestirt die Geschichte gegen diese Charakte-
Usirung, die wie alle Scheidung nach Kategorien so selten Stich hält bei der
Schätzung historischer Dinge.


so sehr auch Rom in der Verehrung der Italiener obenansteht. „Die Steine
seiner Mauern" — so sprach Dante — „verdienen Ehrfurcht und der Boden,
Worauf es gegründet ward, ist würdiger als die Menschen sagen." Die Wahr¬
heit dieses Wortes wird noch heute von jedem empfunden, dem Steine nicht
blos Kalk und Marmor und dem die sieben Hügel nicht blos Erde sind. Und
dennoch ist Rom nicht in gleicher Weise das Italien Italiens wie einstmals
Athen das Hellas in Hellas war. Zweimal ist Rom die Hauptstadt der Welt
gewesen, aber im Alterthume war das römische Imperium, im Miitelalter des
Papstthum mit ihren eigenthümlichen Interessen das Bedingende und Be¬
stimmende seiner Hoheit; das national-italienische Wesen dagegen verdankt
seine Weltstellung Florenz und den Florentinern.

Damit soll die Bedeutung der piemontesischen Geschichte nicht gekränkt
werden, welche der Erneuerung Italiens in unserm Zeitalter Anstoß und Namen
gegeben hat. Feiert man aber die erstaunlichen, freilich auch nicht unbedenklichen
Leistungen Piemonts mit dem großen Worte des risoigimeiito der Auf¬
erstehung Italiens, dann muß man nicht vergessen, daß wie jenes Wort so
auch dieses Ereigniß zur Voraussetzung die Existenz eines lebendig Begrabnen
hat, das Dank dem Machtspruch kühner Geister sich wieder auf sich selbst be¬
sinnen konnte. Dies Leben selber aber erzeugt und genährt zu haben, ist
das unsterbliche Verdienst der florentinischen Geschichte, deren edles Antlitz aus
den Denkmälern der Cultur hervorleuchtet, welche wir als die der Wieder¬
geburt, der Renaissance bezeichnen.

Niemals ist einer Geschichtsepoche ein schönerer Name mit besserem Rechte
gegeben worden. Die Bedeutung dieser Cultur ist mit nichte« auf Italien be¬
schränkt und noch viel weniger ist ihr Genüge gethan, wenn man sie, wie es
"se geschieht, blos auf die Künste beziehen oder von dem wissenschaftlichen
Import von jenseits der Adria herleiten will. Ihre Erzeugnisse sind der Kanon
der modernen Bildung der Menschheit geworden, und sie umfaßt die religiösen,
sittlichen und ästhetischen Ideale, wenn auch das Verhältniß dieser Factoren
unter einander abweicht von demjenigen, welches in der Geschichte der deutschen
Geistesentwicklung hervortritt. In der Natur beider Völker scheint der Unter¬
schied begründet zu sein, daß der Schwerpunkt bei allen Wendungen der Geistes¬
geschichte unter den Germanen im sittlich-religiösen Bewußtsein liegt, während
das innere Leben der Romanen und vornehmlich der Italiener sich überwiegend
An Ästhetischen bewegt. Die Geschichtsbetrachtung begnügt sich oft bei diesen
Allgemeinheiten, und wenn man sie auf die bekanntesten Erscheinungen und
"uf die spätere Zeit der Renaissance-Epoche einschränkt, so mag man sie gelten
lassen; für die Anfänge jedoch protestirt die Geschichte gegen diese Charakte-
Usirung, die wie alle Scheidung nach Kategorien so selten Stich hält bei der
Schätzung historischer Dinge.


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[0303] so sehr auch Rom in der Verehrung der Italiener obenansteht. „Die Steine seiner Mauern" — so sprach Dante — „verdienen Ehrfurcht und der Boden, Worauf es gegründet ward, ist würdiger als die Menschen sagen." Die Wahr¬ heit dieses Wortes wird noch heute von jedem empfunden, dem Steine nicht blos Kalk und Marmor und dem die sieben Hügel nicht blos Erde sind. Und dennoch ist Rom nicht in gleicher Weise das Italien Italiens wie einstmals Athen das Hellas in Hellas war. Zweimal ist Rom die Hauptstadt der Welt gewesen, aber im Alterthume war das römische Imperium, im Miitelalter des Papstthum mit ihren eigenthümlichen Interessen das Bedingende und Be¬ stimmende seiner Hoheit; das national-italienische Wesen dagegen verdankt seine Weltstellung Florenz und den Florentinern. Damit soll die Bedeutung der piemontesischen Geschichte nicht gekränkt werden, welche der Erneuerung Italiens in unserm Zeitalter Anstoß und Namen gegeben hat. Feiert man aber die erstaunlichen, freilich auch nicht unbedenklichen Leistungen Piemonts mit dem großen Worte des risoigimeiito der Auf¬ erstehung Italiens, dann muß man nicht vergessen, daß wie jenes Wort so auch dieses Ereigniß zur Voraussetzung die Existenz eines lebendig Begrabnen hat, das Dank dem Machtspruch kühner Geister sich wieder auf sich selbst be¬ sinnen konnte. Dies Leben selber aber erzeugt und genährt zu haben, ist das unsterbliche Verdienst der florentinischen Geschichte, deren edles Antlitz aus den Denkmälern der Cultur hervorleuchtet, welche wir als die der Wieder¬ geburt, der Renaissance bezeichnen. Niemals ist einer Geschichtsepoche ein schönerer Name mit besserem Rechte gegeben worden. Die Bedeutung dieser Cultur ist mit nichte« auf Italien be¬ schränkt und noch viel weniger ist ihr Genüge gethan, wenn man sie, wie es "se geschieht, blos auf die Künste beziehen oder von dem wissenschaftlichen Import von jenseits der Adria herleiten will. Ihre Erzeugnisse sind der Kanon der modernen Bildung der Menschheit geworden, und sie umfaßt die religiösen, sittlichen und ästhetischen Ideale, wenn auch das Verhältniß dieser Factoren unter einander abweicht von demjenigen, welches in der Geschichte der deutschen Geistesentwicklung hervortritt. In der Natur beider Völker scheint der Unter¬ schied begründet zu sein, daß der Schwerpunkt bei allen Wendungen der Geistes¬ geschichte unter den Germanen im sittlich-religiösen Bewußtsein liegt, während das innere Leben der Romanen und vornehmlich der Italiener sich überwiegend An Ästhetischen bewegt. Die Geschichtsbetrachtung begnügt sich oft bei diesen Allgemeinheiten, und wenn man sie auf die bekanntesten Erscheinungen und "uf die spätere Zeit der Renaissance-Epoche einschränkt, so mag man sie gelten lassen; für die Anfänge jedoch protestirt die Geschichte gegen diese Charakte- Usirung, die wie alle Scheidung nach Kategorien so selten Stich hält bei der Schätzung historischer Dinge.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/303>, abgerufen am 26.06.2024.