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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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in fernen Provinzen suchen. Da oft Advocaten ihre Beredsamkeit an jeden
Zahlenden verkauften und jede, auch die ungerechteste Sache vertheidigten, wenn
sie nur einbrachte, so galten vielen die Gerichtsredner insgesammt für ein
"käufliches Geschlecht", und da dieselben bei ihren Plaidoyers nicht nur die
Gegenpartei, sondern auch einander selbst mit Schimpfreden zu bedienen pflegten,
so geschah es, daß die Gegner des Berufs die Beredsamkeit der Anwälte eine
"hündische" schalten.

Der ärztliche Beruf wurde bis in die späteste Zeit vielfach von Frei-
gelassnen und Sklaven ausgeübt. Die freien Aerzte waren zum größten Theil
Ausländer, Griechen und Orientalen, besonders Aegypter. Römer befaßten sich
mit der Medicin sehr selten, schon weil die Patienten zu Fremden mehr Zu¬
trauen hatten. Indeß gab es auch gesuchte römische Aerzte, namentlich unter
den Hofärzten der ersten Kaiserzeit. Vettius Valens, Leibmedicus des Kaisers
Claudius, gehörte sogar dem Ritterstand an, zu welchem College" von ihm
vielleicht öfter aufrückten, wie z. B. der Freigelassene Antonius Musa, der August
durch eine kühne Kaltwasserkur rettete, nachdem er schon aufgegeben worden
war. Da man im Alterthum weder von einer Prüfung noch von einer Ver¬
antwortlichkeit der Aerzte wußte, so drängten sich zur Ausübung der medicinischen
Kunst, die im Fall des Gelingens gute Honorare abwarf, auch viele Unberufene.
Schuster, Schmiede, Zimmerleute, Färber gaben ihr Handwerk auf und machten
den Pfuscher, und zu Galens Zeit gab es in Rom eine gute Anzahl solcher
Herren, die nicht einmal fertig lesen konnten. Der Zudrang steigerte sich, als
Thessalus, ein vom Weberlehrburschen plötzlich zum Arzt gewordener Grieche,
der unter Nero der gesuchteste Heilkünstler Roms war, die tröstliche Erklärung
abgab, daß ein halbes Jahr Studium zur Erwerbung der nöthigen medicinischen
Kenntnisse ausreiche.

Ziemlich häusig werden Specialärzte erwähnt. Es gab solche, die sich nur
mit der Pflege der Zähne beschäftigten, Gehör- und Augenärzte, Aerzte weib¬
lichen Geschlechts für Frauenkrankheiten, Aerzte für Brüche, Fisteln, und
Kehlkopfsleiden.

Die Einnahmen solcher Heilkünstler, die in der vornehmen Welt Roms
ihre Praxis hatten, waren sehr doch. Plinius erwähnt zweimal ein Honorar
von 200,000 Sesterzen (14,500 Thlr.), das für den Fall des Gelingens einer
Kur im Voraus festgesetzt wurde. Galen erhielt von dem Consularen Boethus
für die Herstellung seiner Gemahlin 400 Goldstücke, die in unserem Gelde einer
Summe von 2,900 Thlrn. entsprechen. Stertinius erwarb durch seine Stadt¬
praxis jährlich 600,000, Crinas aus Massilier hinterließ zehn Millionen Sesterzen.
nachdem er die Mauern seiner Vaterstadt und andere Mauern für eine kaum
geringere Summe hatte erbauen lassen.

Die ärztliche Charlatanerie wurde in allen Formen geübt. Die Heilkünstler


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in fernen Provinzen suchen. Da oft Advocaten ihre Beredsamkeit an jeden
Zahlenden verkauften und jede, auch die ungerechteste Sache vertheidigten, wenn
sie nur einbrachte, so galten vielen die Gerichtsredner insgesammt für ein
„käufliches Geschlecht", und da dieselben bei ihren Plaidoyers nicht nur die
Gegenpartei, sondern auch einander selbst mit Schimpfreden zu bedienen pflegten,
so geschah es, daß die Gegner des Berufs die Beredsamkeit der Anwälte eine
„hündische" schalten.

Der ärztliche Beruf wurde bis in die späteste Zeit vielfach von Frei-
gelassnen und Sklaven ausgeübt. Die freien Aerzte waren zum größten Theil
Ausländer, Griechen und Orientalen, besonders Aegypter. Römer befaßten sich
mit der Medicin sehr selten, schon weil die Patienten zu Fremden mehr Zu¬
trauen hatten. Indeß gab es auch gesuchte römische Aerzte, namentlich unter
den Hofärzten der ersten Kaiserzeit. Vettius Valens, Leibmedicus des Kaisers
Claudius, gehörte sogar dem Ritterstand an, zu welchem College» von ihm
vielleicht öfter aufrückten, wie z. B. der Freigelassene Antonius Musa, der August
durch eine kühne Kaltwasserkur rettete, nachdem er schon aufgegeben worden
war. Da man im Alterthum weder von einer Prüfung noch von einer Ver¬
antwortlichkeit der Aerzte wußte, so drängten sich zur Ausübung der medicinischen
Kunst, die im Fall des Gelingens gute Honorare abwarf, auch viele Unberufene.
Schuster, Schmiede, Zimmerleute, Färber gaben ihr Handwerk auf und machten
den Pfuscher, und zu Galens Zeit gab es in Rom eine gute Anzahl solcher
Herren, die nicht einmal fertig lesen konnten. Der Zudrang steigerte sich, als
Thessalus, ein vom Weberlehrburschen plötzlich zum Arzt gewordener Grieche,
der unter Nero der gesuchteste Heilkünstler Roms war, die tröstliche Erklärung
abgab, daß ein halbes Jahr Studium zur Erwerbung der nöthigen medicinischen
Kenntnisse ausreiche.

Ziemlich häusig werden Specialärzte erwähnt. Es gab solche, die sich nur
mit der Pflege der Zähne beschäftigten, Gehör- und Augenärzte, Aerzte weib¬
lichen Geschlechts für Frauenkrankheiten, Aerzte für Brüche, Fisteln, und
Kehlkopfsleiden.

Die Einnahmen solcher Heilkünstler, die in der vornehmen Welt Roms
ihre Praxis hatten, waren sehr doch. Plinius erwähnt zweimal ein Honorar
von 200,000 Sesterzen (14,500 Thlr.), das für den Fall des Gelingens einer
Kur im Voraus festgesetzt wurde. Galen erhielt von dem Consularen Boethus
für die Herstellung seiner Gemahlin 400 Goldstücke, die in unserem Gelde einer
Summe von 2,900 Thlrn. entsprechen. Stertinius erwarb durch seine Stadt¬
praxis jährlich 600,000, Crinas aus Massilier hinterließ zehn Millionen Sesterzen.
nachdem er die Mauern seiner Vaterstadt und andere Mauern für eine kaum
geringere Summe hatte erbauen lassen.

Die ärztliche Charlatanerie wurde in allen Formen geübt. Die Heilkünstler


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[0177] in fernen Provinzen suchen. Da oft Advocaten ihre Beredsamkeit an jeden Zahlenden verkauften und jede, auch die ungerechteste Sache vertheidigten, wenn sie nur einbrachte, so galten vielen die Gerichtsredner insgesammt für ein „käufliches Geschlecht", und da dieselben bei ihren Plaidoyers nicht nur die Gegenpartei, sondern auch einander selbst mit Schimpfreden zu bedienen pflegten, so geschah es, daß die Gegner des Berufs die Beredsamkeit der Anwälte eine „hündische" schalten. Der ärztliche Beruf wurde bis in die späteste Zeit vielfach von Frei- gelassnen und Sklaven ausgeübt. Die freien Aerzte waren zum größten Theil Ausländer, Griechen und Orientalen, besonders Aegypter. Römer befaßten sich mit der Medicin sehr selten, schon weil die Patienten zu Fremden mehr Zu¬ trauen hatten. Indeß gab es auch gesuchte römische Aerzte, namentlich unter den Hofärzten der ersten Kaiserzeit. Vettius Valens, Leibmedicus des Kaisers Claudius, gehörte sogar dem Ritterstand an, zu welchem College» von ihm vielleicht öfter aufrückten, wie z. B. der Freigelassene Antonius Musa, der August durch eine kühne Kaltwasserkur rettete, nachdem er schon aufgegeben worden war. Da man im Alterthum weder von einer Prüfung noch von einer Ver¬ antwortlichkeit der Aerzte wußte, so drängten sich zur Ausübung der medicinischen Kunst, die im Fall des Gelingens gute Honorare abwarf, auch viele Unberufene. Schuster, Schmiede, Zimmerleute, Färber gaben ihr Handwerk auf und machten den Pfuscher, und zu Galens Zeit gab es in Rom eine gute Anzahl solcher Herren, die nicht einmal fertig lesen konnten. Der Zudrang steigerte sich, als Thessalus, ein vom Weberlehrburschen plötzlich zum Arzt gewordener Grieche, der unter Nero der gesuchteste Heilkünstler Roms war, die tröstliche Erklärung abgab, daß ein halbes Jahr Studium zur Erwerbung der nöthigen medicinischen Kenntnisse ausreiche. Ziemlich häusig werden Specialärzte erwähnt. Es gab solche, die sich nur mit der Pflege der Zähne beschäftigten, Gehör- und Augenärzte, Aerzte weib¬ lichen Geschlechts für Frauenkrankheiten, Aerzte für Brüche, Fisteln, und Kehlkopfsleiden. Die Einnahmen solcher Heilkünstler, die in der vornehmen Welt Roms ihre Praxis hatten, waren sehr doch. Plinius erwähnt zweimal ein Honorar von 200,000 Sesterzen (14,500 Thlr.), das für den Fall des Gelingens einer Kur im Voraus festgesetzt wurde. Galen erhielt von dem Consularen Boethus für die Herstellung seiner Gemahlin 400 Goldstücke, die in unserem Gelde einer Summe von 2,900 Thlrn. entsprechen. Stertinius erwarb durch seine Stadt¬ praxis jährlich 600,000, Crinas aus Massilier hinterließ zehn Millionen Sesterzen. nachdem er die Mauern seiner Vaterstadt und andere Mauern für eine kaum geringere Summe hatte erbauen lassen. Die ärztliche Charlatanerie wurde in allen Formen geübt. Die Heilkünstler 21*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/177>, abgerufen am 26.06.2024.