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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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und an ihr hängt die "höhere" Studentenehre. Ja, Herr Stirching. in dem
Ehrgefühle des Studenten soll, wie Sie oben gesagt haben, die sittliche Kraft
und der Adel der Gesinnung wurzeln, die er als Mann zu bethätigen hat.
Dies ist aber nicht möglich, so lange ihm die Anwendung aller Energie des
Ehrgefühls auf eine Sache aufgenöthigt wird, welche er am Tage, wo er die
Universität verläßt, als Narrensposse von sich werfen muß. Wehe, wenn er
dann noch kein anderes Ehrgefühl hat! Wehe, wenn er nicht zuvor schon
beides besser hat auseinanderhalten lernen, als Sie, Herr Prorector, die
wahre und falsche Freiheit auseinanderhalten.

Denn triumphirend hält uns nun ferner die Prorectoratsrede entgegen,
daß auf den bayrischen Universitäten die Aufhebung des eximirten Gerichtsstandes
in der äußeren Ausgelassenheit des Studentenlebens nichts geändert habe. Wir
wissen nicht, wie dies dort zusammenhängt. Wir zweifeln nicht, daß auch die
gewöhnlichen Staatsbehörden angewiesen werden können, den Studenten gegen¬
über bei mehr als nur polizeilichen Ausschreitungen mehr als sonst ein Auge
zuzudrücken. Wir zweifeln aber stark, ob sich das die Justiz in allen Ländern
gefallen lassen würde, und sicher würde sie sich überall schämen, so ohnmächtig
zu erscheinen wie eine akademische Behörde, welche sich dabei beruhigt, daß
man ein Duell nicht abfassen kann, weil die Universitätspolizei vor dem Haus-
rechte der Localeigenthümer Halt machen muß, eine Requisition der Staats-
execution aber der corporativen Autonomie zu viel vergeben würde. Doch
nun fährt Herr Stirching fort, uns zu belehren, daß in dem äußeren Stu-
dentenleben die akademische Freiheit nicht beschlossen, sondern daß es nur
die anmuthige Blüthe sei, welche aus einem edleren Boden hervor
sprießt. Diese "anmuthige Blüthe" der Rede des neuen Prorectors vom
Katheder der Aula ist ein würdiges Seitenstück zu den "altehrwürdigen
Traditionen" aus der eines ehemaligen an die fackeltragenden Corpsburschen, von
welcher in unserem früheren Artikel berichtet worden ist. Beide Herren Magnisici
sind gewiß Männer, denen es nicht in den Sinn kommt, absichtlich etwas
Unsittliches begünstigen zu wollen, die aber zu schwach sind, sich von dem un¬
sinnigen Vorurtheile loszumachen, ein frisches Jugendleben müsse sich nun ein¬
mal in alten verrotteten Formen äußern. Wir beneiden den Herrn in Erlangen,
wenn er sich der Illusion hingeben kann, daß wirklich nur ein im Grunde
edler Geist diesen Schaum aufwirft. In der That soll dort trotz der großen
Bierconsumtion die Haltung der jungen Burschen anständiger und namentlich
von dem schlimmsten Gifte der Unkeuschheit nicht angesteckt sein. Gehen Sie
aber einmal hinüber, edler Mann des zufriedenen Vertrauens, nach Würzburg,
oder nach Göttingen, Bonn und Heidelberg und stecken sie da die Nase in den
vollsten Duft der anmuthigen Blüthe, welche aus dem Sumpfe körperlicher
und moralischer Erschlaffung emporkeimt.


und an ihr hängt die „höhere" Studentenehre. Ja, Herr Stirching. in dem
Ehrgefühle des Studenten soll, wie Sie oben gesagt haben, die sittliche Kraft
und der Adel der Gesinnung wurzeln, die er als Mann zu bethätigen hat.
Dies ist aber nicht möglich, so lange ihm die Anwendung aller Energie des
Ehrgefühls auf eine Sache aufgenöthigt wird, welche er am Tage, wo er die
Universität verläßt, als Narrensposse von sich werfen muß. Wehe, wenn er
dann noch kein anderes Ehrgefühl hat! Wehe, wenn er nicht zuvor schon
beides besser hat auseinanderhalten lernen, als Sie, Herr Prorector, die
wahre und falsche Freiheit auseinanderhalten.

Denn triumphirend hält uns nun ferner die Prorectoratsrede entgegen,
daß auf den bayrischen Universitäten die Aufhebung des eximirten Gerichtsstandes
in der äußeren Ausgelassenheit des Studentenlebens nichts geändert habe. Wir
wissen nicht, wie dies dort zusammenhängt. Wir zweifeln nicht, daß auch die
gewöhnlichen Staatsbehörden angewiesen werden können, den Studenten gegen¬
über bei mehr als nur polizeilichen Ausschreitungen mehr als sonst ein Auge
zuzudrücken. Wir zweifeln aber stark, ob sich das die Justiz in allen Ländern
gefallen lassen würde, und sicher würde sie sich überall schämen, so ohnmächtig
zu erscheinen wie eine akademische Behörde, welche sich dabei beruhigt, daß
man ein Duell nicht abfassen kann, weil die Universitätspolizei vor dem Haus-
rechte der Localeigenthümer Halt machen muß, eine Requisition der Staats-
execution aber der corporativen Autonomie zu viel vergeben würde. Doch
nun fährt Herr Stirching fort, uns zu belehren, daß in dem äußeren Stu-
dentenleben die akademische Freiheit nicht beschlossen, sondern daß es nur
die anmuthige Blüthe sei, welche aus einem edleren Boden hervor
sprießt. Diese „anmuthige Blüthe" der Rede des neuen Prorectors vom
Katheder der Aula ist ein würdiges Seitenstück zu den „altehrwürdigen
Traditionen" aus der eines ehemaligen an die fackeltragenden Corpsburschen, von
welcher in unserem früheren Artikel berichtet worden ist. Beide Herren Magnisici
sind gewiß Männer, denen es nicht in den Sinn kommt, absichtlich etwas
Unsittliches begünstigen zu wollen, die aber zu schwach sind, sich von dem un¬
sinnigen Vorurtheile loszumachen, ein frisches Jugendleben müsse sich nun ein¬
mal in alten verrotteten Formen äußern. Wir beneiden den Herrn in Erlangen,
wenn er sich der Illusion hingeben kann, daß wirklich nur ein im Grunde
edler Geist diesen Schaum aufwirft. In der That soll dort trotz der großen
Bierconsumtion die Haltung der jungen Burschen anständiger und namentlich
von dem schlimmsten Gifte der Unkeuschheit nicht angesteckt sein. Gehen Sie
aber einmal hinüber, edler Mann des zufriedenen Vertrauens, nach Würzburg,
oder nach Göttingen, Bonn und Heidelberg und stecken sie da die Nase in den
vollsten Duft der anmuthigen Blüthe, welche aus dem Sumpfe körperlicher
und moralischer Erschlaffung emporkeimt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/162>, abgerufen am 26.06.2024.