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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Dictate nachzuschreiben, und wie- überflüssig also mindestens, die kommende
Generation zu diesem Zwecke Jahre lang den traditionellen Gemeinheiten des
akademischen Lebens anheimzugeben.

Soweit scheint es also, daß wir mit Herrn Stintzing in gar keiner Mei¬
nungsverschiedenheit sind. Er verwirft, was wir verwerfen, und was er ver¬
theidigt, vertheidigen wir auch und wollen nur etwa noch mehr davon. Es
bliebe also nur die Differenz des Sprachgebrauches, welches von beiden akade¬
mische Freiheit genannt werden soll, und in diesem Punkte würden wir uns,
wenn die Begriffe übrigens hinreichend auseinandergehalten würden, sehr gern
der authentischen Jntnpretation des Herrn Prorectors fügen. Denn wer wollte
nicht ein so schönes Wort lieber für eine schätzbare als für eine verwerfliche
Sache brauchen. So einfach ist es aber doch nicht. Denn, wie gesagt, wir
mußten um diese einfache Sonderung der Begriffe aus Herrn Stintzings Rede
auszuheben und unsere Uebereinstimmung mit ihm über beide zu constatiren,
Einiges überschlagen, worin sich die zur Verständigung dienende Sonderung in
freierem Redeschwung vermischt zeigt. Hier finden wir nun doch noch den
Grund, weshalb er gegen uns auftritt.

Nachdem nämlich, wie schon angeführt. Herr Stintzing uns in der Aner¬
kennung einer bedenklichen Verwirrung der Rechtsbegriffe durch besondere
Rechtspflege beigetreten ist und also indirect der Unterordnung unter die ge¬
meinen Gesetze das Wort geredet hat, lenkt er ein, indem er fortfährt,
es würde aber schlimm um die Hochschule stehen, wenn sie nicht höhere
Anforderungen an Sitte und Ehre ihrer Mitglieder stellen könnte als
die der criminellen und polizeilichen Unsträflichkeit. "Höhere" hört! Noch
immer sind wir einverstanden, erlauben uns aber, dasselbe von jedem gebil¬
deten Deutschen zu behaupten. Auch unsere Ehre ist nicht im Strafcodcx be¬
schlossen, wenn wir auch keine Studenten mehr sind. Die besondere Anwen¬
dung folgt aber auf dem Fuße. Aus der anderen Seite meint nämlich Herr
Stintzing, daß es der akademische Organismus wohl ertragen könne, wenn auch
die Schranken der gemeinen polizeilichen Ordnung einmal überschritten werden.
Das ist also, wie bei vielen Philosophen und Theologen das "Höhere", was
nicht nur über das Niedrige hinausgeht, sondern ihm auch widerspricht. Hieße
nun dies in praxi nichts, als daß, wie der Zusatz "in übersprudelnder Lust
und Kraft" nahe legt, eine vor übersprudelnden Bechern sitzende Gesellschaft
einmal bei Nacht ein Lied singt, so wäre das in unserem Vaterlande auch
nichts ausschließlich studentisches. Wir wissen ja aber besser, um was es sich
handelt, wenn es auch Herr Stintzing in keinem Worte seiner Rede andeutet.
Die Überschreitung gemeiner Ordnung, um deren Duldung oder Beseitigung
es sich allein handelt, und welche nicht nur so einmal im Uebersprudcln, sondern
ganz ruhig systematisch betneben wird, ist, wie jedes Kind weiß, die Paukerei,


Dictate nachzuschreiben, und wie- überflüssig also mindestens, die kommende
Generation zu diesem Zwecke Jahre lang den traditionellen Gemeinheiten des
akademischen Lebens anheimzugeben.

Soweit scheint es also, daß wir mit Herrn Stintzing in gar keiner Mei¬
nungsverschiedenheit sind. Er verwirft, was wir verwerfen, und was er ver¬
theidigt, vertheidigen wir auch und wollen nur etwa noch mehr davon. Es
bliebe also nur die Differenz des Sprachgebrauches, welches von beiden akade¬
mische Freiheit genannt werden soll, und in diesem Punkte würden wir uns,
wenn die Begriffe übrigens hinreichend auseinandergehalten würden, sehr gern
der authentischen Jntnpretation des Herrn Prorectors fügen. Denn wer wollte
nicht ein so schönes Wort lieber für eine schätzbare als für eine verwerfliche
Sache brauchen. So einfach ist es aber doch nicht. Denn, wie gesagt, wir
mußten um diese einfache Sonderung der Begriffe aus Herrn Stintzings Rede
auszuheben und unsere Uebereinstimmung mit ihm über beide zu constatiren,
Einiges überschlagen, worin sich die zur Verständigung dienende Sonderung in
freierem Redeschwung vermischt zeigt. Hier finden wir nun doch noch den
Grund, weshalb er gegen uns auftritt.

Nachdem nämlich, wie schon angeführt. Herr Stintzing uns in der Aner¬
kennung einer bedenklichen Verwirrung der Rechtsbegriffe durch besondere
Rechtspflege beigetreten ist und also indirect der Unterordnung unter die ge¬
meinen Gesetze das Wort geredet hat, lenkt er ein, indem er fortfährt,
es würde aber schlimm um die Hochschule stehen, wenn sie nicht höhere
Anforderungen an Sitte und Ehre ihrer Mitglieder stellen könnte als
die der criminellen und polizeilichen Unsträflichkeit. „Höhere" hört! Noch
immer sind wir einverstanden, erlauben uns aber, dasselbe von jedem gebil¬
deten Deutschen zu behaupten. Auch unsere Ehre ist nicht im Strafcodcx be¬
schlossen, wenn wir auch keine Studenten mehr sind. Die besondere Anwen¬
dung folgt aber auf dem Fuße. Aus der anderen Seite meint nämlich Herr
Stintzing, daß es der akademische Organismus wohl ertragen könne, wenn auch
die Schranken der gemeinen polizeilichen Ordnung einmal überschritten werden.
Das ist also, wie bei vielen Philosophen und Theologen das „Höhere", was
nicht nur über das Niedrige hinausgeht, sondern ihm auch widerspricht. Hieße
nun dies in praxi nichts, als daß, wie der Zusatz „in übersprudelnder Lust
und Kraft" nahe legt, eine vor übersprudelnden Bechern sitzende Gesellschaft
einmal bei Nacht ein Lied singt, so wäre das in unserem Vaterlande auch
nichts ausschließlich studentisches. Wir wissen ja aber besser, um was es sich
handelt, wenn es auch Herr Stintzing in keinem Worte seiner Rede andeutet.
Die Überschreitung gemeiner Ordnung, um deren Duldung oder Beseitigung
es sich allein handelt, und welche nicht nur so einmal im Uebersprudcln, sondern
ganz ruhig systematisch betneben wird, ist, wie jedes Kind weiß, die Paukerei,


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[0161] Dictate nachzuschreiben, und wie- überflüssig also mindestens, die kommende Generation zu diesem Zwecke Jahre lang den traditionellen Gemeinheiten des akademischen Lebens anheimzugeben. Soweit scheint es also, daß wir mit Herrn Stintzing in gar keiner Mei¬ nungsverschiedenheit sind. Er verwirft, was wir verwerfen, und was er ver¬ theidigt, vertheidigen wir auch und wollen nur etwa noch mehr davon. Es bliebe also nur die Differenz des Sprachgebrauches, welches von beiden akade¬ mische Freiheit genannt werden soll, und in diesem Punkte würden wir uns, wenn die Begriffe übrigens hinreichend auseinandergehalten würden, sehr gern der authentischen Jntnpretation des Herrn Prorectors fügen. Denn wer wollte nicht ein so schönes Wort lieber für eine schätzbare als für eine verwerfliche Sache brauchen. So einfach ist es aber doch nicht. Denn, wie gesagt, wir mußten um diese einfache Sonderung der Begriffe aus Herrn Stintzings Rede auszuheben und unsere Uebereinstimmung mit ihm über beide zu constatiren, Einiges überschlagen, worin sich die zur Verständigung dienende Sonderung in freierem Redeschwung vermischt zeigt. Hier finden wir nun doch noch den Grund, weshalb er gegen uns auftritt. Nachdem nämlich, wie schon angeführt. Herr Stintzing uns in der Aner¬ kennung einer bedenklichen Verwirrung der Rechtsbegriffe durch besondere Rechtspflege beigetreten ist und also indirect der Unterordnung unter die ge¬ meinen Gesetze das Wort geredet hat, lenkt er ein, indem er fortfährt, es würde aber schlimm um die Hochschule stehen, wenn sie nicht höhere Anforderungen an Sitte und Ehre ihrer Mitglieder stellen könnte als die der criminellen und polizeilichen Unsträflichkeit. „Höhere" hört! Noch immer sind wir einverstanden, erlauben uns aber, dasselbe von jedem gebil¬ deten Deutschen zu behaupten. Auch unsere Ehre ist nicht im Strafcodcx be¬ schlossen, wenn wir auch keine Studenten mehr sind. Die besondere Anwen¬ dung folgt aber auf dem Fuße. Aus der anderen Seite meint nämlich Herr Stintzing, daß es der akademische Organismus wohl ertragen könne, wenn auch die Schranken der gemeinen polizeilichen Ordnung einmal überschritten werden. Das ist also, wie bei vielen Philosophen und Theologen das „Höhere", was nicht nur über das Niedrige hinausgeht, sondern ihm auch widerspricht. Hieße nun dies in praxi nichts, als daß, wie der Zusatz „in übersprudelnder Lust und Kraft" nahe legt, eine vor übersprudelnden Bechern sitzende Gesellschaft einmal bei Nacht ein Lied singt, so wäre das in unserem Vaterlande auch nichts ausschließlich studentisches. Wir wissen ja aber besser, um was es sich handelt, wenn es auch Herr Stintzing in keinem Worte seiner Rede andeutet. Die Überschreitung gemeiner Ordnung, um deren Duldung oder Beseitigung es sich allein handelt, und welche nicht nur so einmal im Uebersprudcln, sondern ganz ruhig systematisch betneben wird, ist, wie jedes Kind weiß, die Paukerei,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/161>, abgerufen am 26.06.2024.