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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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einziges Moment, wie das, daß der erwähnte Seesieg des Philadelphia über
Antigonus nie stattgefunden hat, daß Demetrius vom Philadelphus beim
Regierungsantritt abgesetzt und vom Hofe entfernt ist, genügt vollkommen, die
Unechlheit zu begründen, und solche Momente hat Hodvs außerordentliche Ge¬
lehrsamkeit in größter Fülle herbeigebracht.

Das Buch stellt sich uns durchaus als ein Product jüdischer Eitelkeit dar.
Die Juden wurden, auch wo sie nicht gedrückt waren, von den gebildeten
Griechen doch über die Achsel angesehen. In dem Bewußtsein des Besitzes
geistiger Schätze, von denen die Griechen nichts ahnten, fühlten sie sich durch eine
solche Mißachtung gedemüthigt. Die Gebildeteren unter ihnen hatten auch eine
Ahnung von dem Grund derselben; es war die Fremdartigkeit ihrer Gesetze
in Form und Inhalt, welche es einem Griechen von Geschmack unmöglich
machte, an ihnen Gefallen zu finden. So suchten denn einige auch griechisch
geschulte Juden die Schätze ihrer väterlichen Ueberlieferung den Griechen in
Prosa und Versen mundgerecht zu machen. Ein Dramatiker Ezechiel schrieb
etwa um 150 vor Chr. Geb. ein Drama über den Auszug aus Aegypten in
sehr gewandter Sprache, und die Archäologie des Josephus umfaßt den ganzen
Inhalt der historischen Bücher des Alten Testaments in einer dem griechischen
Zeitgeschmack angemessenen Bearbeitung, bei der überall die Absicht durchblickt,
die Juden in einem möglichst vortheilhaften Lichte zu zeigen. Der Verfasser
des Aristeasbuches ging mit noch weniger Skrupeln zu Werke. Sahen die
Griechen den Pentateuch schon wegen seiner vulgären und hcbraisirenden Sprache
mit Verachtung an, so sollten sie nun hören, wie die größten Gelehrten des
berühmten Ptolemciers ihn hochgehalten; lachten sie über die jüdischen Speise-
gesetze, so erfuhren sie hier, wie ein hochgestellter Staatsmann sich von der
Weisheit derselben überzeugt hatte; waren ihnen die ganzen jüdischen Ritual-
und andere Gesetze zuwider, so sahen sie jetzt, daß die größten Staatsmänner
und Philosophen sie bewundert hatten. Und endlich wie hoch hatte der große
König die Juden gehalten, wie hatte er die Gesandten geehrt, den hohen
Priester wie seines Gleichen behandelt, die innigste Freude an ihrem heiligen
Gesetz gehabt und ihre Heiligthümer reich beschenkt: wie verkehrt mußte es er¬
scheinen, wenn man jetzt die Juden social so niedrig stellte! Allerlei Einwänden,
welche man gegen das jüdische Gesetz machen konnte, ward in dem Buche von
vornherein vorgebeugt, freilich nicht immer sehr glücklich, wie die oben gegebene
Andeutung über den Grund der Unbekanntschaft der ältern Griechen mit
jenem zeigt.

Die Liebe zu großen Zahlen und zu prächtigen, übertreibender Schilde¬
rungen finden wir auch in diesem Buche wieder. Die Entwicklung desselben
ist nicht fließend; Schilderungen, Briefe. Unterredungen halten den Gang der
Erzählung aus und machen uns das Buch oft geradezu langweilig. Vielleicht war


einziges Moment, wie das, daß der erwähnte Seesieg des Philadelphia über
Antigonus nie stattgefunden hat, daß Demetrius vom Philadelphus beim
Regierungsantritt abgesetzt und vom Hofe entfernt ist, genügt vollkommen, die
Unechlheit zu begründen, und solche Momente hat Hodvs außerordentliche Ge¬
lehrsamkeit in größter Fülle herbeigebracht.

Das Buch stellt sich uns durchaus als ein Product jüdischer Eitelkeit dar.
Die Juden wurden, auch wo sie nicht gedrückt waren, von den gebildeten
Griechen doch über die Achsel angesehen. In dem Bewußtsein des Besitzes
geistiger Schätze, von denen die Griechen nichts ahnten, fühlten sie sich durch eine
solche Mißachtung gedemüthigt. Die Gebildeteren unter ihnen hatten auch eine
Ahnung von dem Grund derselben; es war die Fremdartigkeit ihrer Gesetze
in Form und Inhalt, welche es einem Griechen von Geschmack unmöglich
machte, an ihnen Gefallen zu finden. So suchten denn einige auch griechisch
geschulte Juden die Schätze ihrer väterlichen Ueberlieferung den Griechen in
Prosa und Versen mundgerecht zu machen. Ein Dramatiker Ezechiel schrieb
etwa um 150 vor Chr. Geb. ein Drama über den Auszug aus Aegypten in
sehr gewandter Sprache, und die Archäologie des Josephus umfaßt den ganzen
Inhalt der historischen Bücher des Alten Testaments in einer dem griechischen
Zeitgeschmack angemessenen Bearbeitung, bei der überall die Absicht durchblickt,
die Juden in einem möglichst vortheilhaften Lichte zu zeigen. Der Verfasser
des Aristeasbuches ging mit noch weniger Skrupeln zu Werke. Sahen die
Griechen den Pentateuch schon wegen seiner vulgären und hcbraisirenden Sprache
mit Verachtung an, so sollten sie nun hören, wie die größten Gelehrten des
berühmten Ptolemciers ihn hochgehalten; lachten sie über die jüdischen Speise-
gesetze, so erfuhren sie hier, wie ein hochgestellter Staatsmann sich von der
Weisheit derselben überzeugt hatte; waren ihnen die ganzen jüdischen Ritual-
und andere Gesetze zuwider, so sahen sie jetzt, daß die größten Staatsmänner
und Philosophen sie bewundert hatten. Und endlich wie hoch hatte der große
König die Juden gehalten, wie hatte er die Gesandten geehrt, den hohen
Priester wie seines Gleichen behandelt, die innigste Freude an ihrem heiligen
Gesetz gehabt und ihre Heiligthümer reich beschenkt: wie verkehrt mußte es er¬
scheinen, wenn man jetzt die Juden social so niedrig stellte! Allerlei Einwänden,
welche man gegen das jüdische Gesetz machen konnte, ward in dem Buche von
vornherein vorgebeugt, freilich nicht immer sehr glücklich, wie die oben gegebene
Andeutung über den Grund der Unbekanntschaft der ältern Griechen mit
jenem zeigt.

Die Liebe zu großen Zahlen und zu prächtigen, übertreibender Schilde¬
rungen finden wir auch in diesem Buche wieder. Die Entwicklung desselben
ist nicht fließend; Schilderungen, Briefe. Unterredungen halten den Gang der
Erzählung aus und machen uns das Buch oft geradezu langweilig. Vielleicht war


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[0144] einziges Moment, wie das, daß der erwähnte Seesieg des Philadelphia über Antigonus nie stattgefunden hat, daß Demetrius vom Philadelphus beim Regierungsantritt abgesetzt und vom Hofe entfernt ist, genügt vollkommen, die Unechlheit zu begründen, und solche Momente hat Hodvs außerordentliche Ge¬ lehrsamkeit in größter Fülle herbeigebracht. Das Buch stellt sich uns durchaus als ein Product jüdischer Eitelkeit dar. Die Juden wurden, auch wo sie nicht gedrückt waren, von den gebildeten Griechen doch über die Achsel angesehen. In dem Bewußtsein des Besitzes geistiger Schätze, von denen die Griechen nichts ahnten, fühlten sie sich durch eine solche Mißachtung gedemüthigt. Die Gebildeteren unter ihnen hatten auch eine Ahnung von dem Grund derselben; es war die Fremdartigkeit ihrer Gesetze in Form und Inhalt, welche es einem Griechen von Geschmack unmöglich machte, an ihnen Gefallen zu finden. So suchten denn einige auch griechisch geschulte Juden die Schätze ihrer väterlichen Ueberlieferung den Griechen in Prosa und Versen mundgerecht zu machen. Ein Dramatiker Ezechiel schrieb etwa um 150 vor Chr. Geb. ein Drama über den Auszug aus Aegypten in sehr gewandter Sprache, und die Archäologie des Josephus umfaßt den ganzen Inhalt der historischen Bücher des Alten Testaments in einer dem griechischen Zeitgeschmack angemessenen Bearbeitung, bei der überall die Absicht durchblickt, die Juden in einem möglichst vortheilhaften Lichte zu zeigen. Der Verfasser des Aristeasbuches ging mit noch weniger Skrupeln zu Werke. Sahen die Griechen den Pentateuch schon wegen seiner vulgären und hcbraisirenden Sprache mit Verachtung an, so sollten sie nun hören, wie die größten Gelehrten des berühmten Ptolemciers ihn hochgehalten; lachten sie über die jüdischen Speise- gesetze, so erfuhren sie hier, wie ein hochgestellter Staatsmann sich von der Weisheit derselben überzeugt hatte; waren ihnen die ganzen jüdischen Ritual- und andere Gesetze zuwider, so sahen sie jetzt, daß die größten Staatsmänner und Philosophen sie bewundert hatten. Und endlich wie hoch hatte der große König die Juden gehalten, wie hatte er die Gesandten geehrt, den hohen Priester wie seines Gleichen behandelt, die innigste Freude an ihrem heiligen Gesetz gehabt und ihre Heiligthümer reich beschenkt: wie verkehrt mußte es er¬ scheinen, wenn man jetzt die Juden social so niedrig stellte! Allerlei Einwänden, welche man gegen das jüdische Gesetz machen konnte, ward in dem Buche von vornherein vorgebeugt, freilich nicht immer sehr glücklich, wie die oben gegebene Andeutung über den Grund der Unbekanntschaft der ältern Griechen mit jenem zeigt. Die Liebe zu großen Zahlen und zu prächtigen, übertreibender Schilde¬ rungen finden wir auch in diesem Buche wieder. Die Entwicklung desselben ist nicht fließend; Schilderungen, Briefe. Unterredungen halten den Gang der Erzählung aus und machen uns das Buch oft geradezu langweilig. Vielleicht war

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/144>, abgerufen am 26.06.2024.