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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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des Demetrius sprechen sie über jeden, der die Uebersetzung durch Zusätze, Ver¬
kürzungen oder Versetzungen verändern wu'rde, den Fluch aus*).

Demetrius muß dem König noch erklären, wie es komme, daß kein grie¬
chischer Schriftsteller das Gesetz erwähne; es sei zu heilig, und Gott habe es
verhindert, daß es früher schlecht übersetzt wäre. Der König ist über den
Verlauf der Sache hoch erfreut und entläßt die Uebersetzer reich beschenkt.

Das Buch giebt sich durchaus als einen authentischen Bericht. Ueberall
werden Namen und Zahlen gegeben, auf bestimmte Ereignisse, die als allgemein
bekannt vorausgesetzt werden, wird angespielt und mehre Aktenstücke stehen
darin in extenso.

Dennoch würde das Buch, wenn es jetzt etwa zum ersten Male ans Licht
träte, sofort als unecht erkannt werden. Im Alterthum war es anders. Von
Philo bis nach der Reformation ist kein Zweifel an seiner Echtheit aufgekommen;
die ersten Gelehrten, welche Zweifel aussprachen, thaten es merkwürdigerweise
aus ganz unkritischen Gründen, weil sie nämlich gewisse Fabeln, welche das
spätere Alterthum noch zu dem hier Erzählten hinzugefügt hatte, darin ver¬
mißten und deshalb schlössen, das Buch könne nicht das von den Kirchenvätern
benutzte sein. Der Erste, welcher mit richtigen Gründen das Buch anfocht, war
der große Jos. Scaliger. Der gesunde Sinn des R. Simon fühlte leicht, daß
der Geist des Buches ein durchaus jüdischer sei. Die Gründe, die er gegen
dasselbe kurz vorbringt, sind solche, wie sie sich einem wissenschaftlich gebildeten,
kritischen Leser unserer Zeit sofort bei der ersten Lectüre aufdringen würden.
Endlich brachte Humphrey Hody das schwere Geschütz zahlreicher historischer
Argumente zusammen, und vernichtete mitleidslos alle Scheingründe, welche
für dasselbe sprachen. Seit dem Erscheinen seines großen Werkes ,,of LibU-
orum töxtidus vriZmalibuL", Oxford 1705, hat niemand mehr die Echtheit
des Aristeas aufrecht erhalten können. Nicht einmal die neuere "conservative
Kritik" hat ein solches Wagstück versucht; hoffen wir, daß sie auch in diesem
Punkte folgerecht fortschreite und das von den Kirchenvätern für echt gehaltene
Werk wieder der vernichtenden Hand der glaubenslosen Kritik entwinde. Es
wäre eine herrliche Aufgabe für einen jungen rostocker oder crlcmger Heißsporn,
ein Buch zu schreiben: of libri ^ristoas aut-Kontia oder Lpistolg, Aristeas,
a eritieastrorum perversitato vir>äieA<A.

Hody operirte wenig mit allgemeinen Gründen, sondern mit ganz bestimmten
historischen Daten. Er zeigt, wie die Chronologie des Buches durchaus fingirt
ist, wie es von groben Verstößen gegen die Geschichte wimmelt. Die so zu¬
versichtlich hingeworfenen historischen Beziehungen zerfallen in ihr Nichts. Ein



Leider hat dieser Fluch nicht verhindert, daß der Text des griechischen Pentateuchs
außerordentlich verderbt ist.
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des Demetrius sprechen sie über jeden, der die Uebersetzung durch Zusätze, Ver¬
kürzungen oder Versetzungen verändern wu'rde, den Fluch aus*).

Demetrius muß dem König noch erklären, wie es komme, daß kein grie¬
chischer Schriftsteller das Gesetz erwähne; es sei zu heilig, und Gott habe es
verhindert, daß es früher schlecht übersetzt wäre. Der König ist über den
Verlauf der Sache hoch erfreut und entläßt die Uebersetzer reich beschenkt.

Das Buch giebt sich durchaus als einen authentischen Bericht. Ueberall
werden Namen und Zahlen gegeben, auf bestimmte Ereignisse, die als allgemein
bekannt vorausgesetzt werden, wird angespielt und mehre Aktenstücke stehen
darin in extenso.

Dennoch würde das Buch, wenn es jetzt etwa zum ersten Male ans Licht
träte, sofort als unecht erkannt werden. Im Alterthum war es anders. Von
Philo bis nach der Reformation ist kein Zweifel an seiner Echtheit aufgekommen;
die ersten Gelehrten, welche Zweifel aussprachen, thaten es merkwürdigerweise
aus ganz unkritischen Gründen, weil sie nämlich gewisse Fabeln, welche das
spätere Alterthum noch zu dem hier Erzählten hinzugefügt hatte, darin ver¬
mißten und deshalb schlössen, das Buch könne nicht das von den Kirchenvätern
benutzte sein. Der Erste, welcher mit richtigen Gründen das Buch anfocht, war
der große Jos. Scaliger. Der gesunde Sinn des R. Simon fühlte leicht, daß
der Geist des Buches ein durchaus jüdischer sei. Die Gründe, die er gegen
dasselbe kurz vorbringt, sind solche, wie sie sich einem wissenschaftlich gebildeten,
kritischen Leser unserer Zeit sofort bei der ersten Lectüre aufdringen würden.
Endlich brachte Humphrey Hody das schwere Geschütz zahlreicher historischer
Argumente zusammen, und vernichtete mitleidslos alle Scheingründe, welche
für dasselbe sprachen. Seit dem Erscheinen seines großen Werkes ,,of LibU-
orum töxtidus vriZmalibuL", Oxford 1705, hat niemand mehr die Echtheit
des Aristeas aufrecht erhalten können. Nicht einmal die neuere „conservative
Kritik" hat ein solches Wagstück versucht; hoffen wir, daß sie auch in diesem
Punkte folgerecht fortschreite und das von den Kirchenvätern für echt gehaltene
Werk wieder der vernichtenden Hand der glaubenslosen Kritik entwinde. Es
wäre eine herrliche Aufgabe für einen jungen rostocker oder crlcmger Heißsporn,
ein Buch zu schreiben: of libri ^ristoas aut-Kontia oder Lpistolg, Aristeas,
a eritieastrorum perversitato vir>äieA<A.

Hody operirte wenig mit allgemeinen Gründen, sondern mit ganz bestimmten
historischen Daten. Er zeigt, wie die Chronologie des Buches durchaus fingirt
ist, wie es von groben Verstößen gegen die Geschichte wimmelt. Die so zu¬
versichtlich hingeworfenen historischen Beziehungen zerfallen in ihr Nichts. Ein



Leider hat dieser Fluch nicht verhindert, daß der Text des griechischen Pentateuchs
außerordentlich verderbt ist.
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[0143] des Demetrius sprechen sie über jeden, der die Uebersetzung durch Zusätze, Ver¬ kürzungen oder Versetzungen verändern wu'rde, den Fluch aus*). Demetrius muß dem König noch erklären, wie es komme, daß kein grie¬ chischer Schriftsteller das Gesetz erwähne; es sei zu heilig, und Gott habe es verhindert, daß es früher schlecht übersetzt wäre. Der König ist über den Verlauf der Sache hoch erfreut und entläßt die Uebersetzer reich beschenkt. Das Buch giebt sich durchaus als einen authentischen Bericht. Ueberall werden Namen und Zahlen gegeben, auf bestimmte Ereignisse, die als allgemein bekannt vorausgesetzt werden, wird angespielt und mehre Aktenstücke stehen darin in extenso. Dennoch würde das Buch, wenn es jetzt etwa zum ersten Male ans Licht träte, sofort als unecht erkannt werden. Im Alterthum war es anders. Von Philo bis nach der Reformation ist kein Zweifel an seiner Echtheit aufgekommen; die ersten Gelehrten, welche Zweifel aussprachen, thaten es merkwürdigerweise aus ganz unkritischen Gründen, weil sie nämlich gewisse Fabeln, welche das spätere Alterthum noch zu dem hier Erzählten hinzugefügt hatte, darin ver¬ mißten und deshalb schlössen, das Buch könne nicht das von den Kirchenvätern benutzte sein. Der Erste, welcher mit richtigen Gründen das Buch anfocht, war der große Jos. Scaliger. Der gesunde Sinn des R. Simon fühlte leicht, daß der Geist des Buches ein durchaus jüdischer sei. Die Gründe, die er gegen dasselbe kurz vorbringt, sind solche, wie sie sich einem wissenschaftlich gebildeten, kritischen Leser unserer Zeit sofort bei der ersten Lectüre aufdringen würden. Endlich brachte Humphrey Hody das schwere Geschütz zahlreicher historischer Argumente zusammen, und vernichtete mitleidslos alle Scheingründe, welche für dasselbe sprachen. Seit dem Erscheinen seines großen Werkes ,,of LibU- orum töxtidus vriZmalibuL", Oxford 1705, hat niemand mehr die Echtheit des Aristeas aufrecht erhalten können. Nicht einmal die neuere „conservative Kritik" hat ein solches Wagstück versucht; hoffen wir, daß sie auch in diesem Punkte folgerecht fortschreite und das von den Kirchenvätern für echt gehaltene Werk wieder der vernichtenden Hand der glaubenslosen Kritik entwinde. Es wäre eine herrliche Aufgabe für einen jungen rostocker oder crlcmger Heißsporn, ein Buch zu schreiben: of libri ^ristoas aut-Kontia oder Lpistolg, Aristeas, a eritieastrorum perversitato vir>äieA<A. Hody operirte wenig mit allgemeinen Gründen, sondern mit ganz bestimmten historischen Daten. Er zeigt, wie die Chronologie des Buches durchaus fingirt ist, wie es von groben Verstößen gegen die Geschichte wimmelt. Die so zu¬ versichtlich hingeworfenen historischen Beziehungen zerfallen in ihr Nichts. Ein Leider hat dieser Fluch nicht verhindert, daß der Text des griechischen Pentateuchs außerordentlich verderbt ist. 17*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/143>, abgerufen am 12.12.2024.