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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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wirkungsvolle Anlage, mit der sich die alten Propyläen über die Stadt
erhoben und den herankommenden Festzug in sich nicht blos hinein- sondern
zugleich hinaufzogen. Die den Felsen ansteigende Treppe mit der dem mittleren
Hauptthor zuführende" Rampe für Reiter und Wagen erschien wie ein mächtiger
die Säulenhalle emporhebender Unterbau. Diese, festlich einladend dem Heran¬
nahenden sich öffnend, zeigte ihm doch zugleich ihre ernste Bestimmung, der
Eingang zu den Heiligthümern der Burg zu sein, indem ihm aus der inneren
Halle (wieder um einige Stufen erhöht und so den Festzug immer aufwärts
führend) die fünf ehernen Thore entgegenblinkten. Wie diese höchst wirksame
und stimmungsvolle Anordnung bei dem in die Ebene gesetzten Münchener
Thor wegfällt, so ist auch seine Säulenhalle selber eigentlich nur zum Schein
da, da den Fußgänger sein Weg durch den in der Mitte durchschnittenen hoben
Sockel führt und er daher, um sich zwischen den Gäulen selber zu bewegen,
eigens hinauf- und wieder hinabsteigen muß. Den Athenienser führten seine
Propyläen immer aufwärts, sie setzten in sich selber den Aufgang fort,
und während die Wagen auf der den Sockel durchschneidenden, geneigten Rampe
weiterzogen, bewegte sich das wandelnde Volt über die außer- und innerhalb
ansteigenden Stufen durch die Schiffe der Säulenhalle selbst der höchstgelegenen
Plattform der Burg zu. Wie anders der Münchener. Tapfer durchschreitet er
den Koth der Straße und geräth dann zwischen die mannshohen Wände des
durchschnittenen Sockels, um auf der anderen Seite seine todesvcrachtende
Wanderung über die dörfliche, idyllisch erweichte Gasse wieder aufzunehmen.

Darunter also, daß die Anlage der modernen Propyläen sowohl durch den
Mangel der Terrainbedingungen als den des Zwecks nothwendig eine andere
wurde, hat auch die Kunstform gelitten. Diese, in ihren Hauptzügen dem
classischen Muster nachgebildet, aber von den die Construction bestimmenden
Motiven losgelöst und durch die Veränderungen doch auch nicht hinreichend dem
modernen Boden und Bedürfniß angepaßt, hat durch diese Halbheit und Zu¬
fälligkeit den Ausdruck und die Wirkung des Vorbildes zum großen Theil ein¬
gebüßt. Auch fehlt dadurch, daß man wegen des Mangels an ausreichend
großen Steinen zu den Deckenträgern die inneren ionischen Säulenreihen ver¬
doppeln mußte, die schöne Einfachheit des Gegensatzes, den an dem Urbild die
dorische Säulenreihe mit der inneren ionischen bildete. Dazu kommt noch die
sicher unrichtige Stellung der Kapitale dieser ionischen Säulen zu den über sie
gelagerten Epistylen. Sie stehen mit ihren Vorderansichten parallel mit der
dorischen Front, also im rechten Winkel zu der Längenrichtung ihrer Architrave;
da doch immer die Lage des Kapitals sich nach diesem bestimmt, mit ihm in
derselben Richtung liegen muß und die Säulen nicht hintereinander, sondern
nebeneinander das Epistyl zu tragen haben. Dieses Gesetz liegt so noth¬
wendig im Wesen der classischen Architektur, daß sich mit Sicherheit annehmen


wirkungsvolle Anlage, mit der sich die alten Propyläen über die Stadt
erhoben und den herankommenden Festzug in sich nicht blos hinein- sondern
zugleich hinaufzogen. Die den Felsen ansteigende Treppe mit der dem mittleren
Hauptthor zuführende» Rampe für Reiter und Wagen erschien wie ein mächtiger
die Säulenhalle emporhebender Unterbau. Diese, festlich einladend dem Heran¬
nahenden sich öffnend, zeigte ihm doch zugleich ihre ernste Bestimmung, der
Eingang zu den Heiligthümern der Burg zu sein, indem ihm aus der inneren
Halle (wieder um einige Stufen erhöht und so den Festzug immer aufwärts
führend) die fünf ehernen Thore entgegenblinkten. Wie diese höchst wirksame
und stimmungsvolle Anordnung bei dem in die Ebene gesetzten Münchener
Thor wegfällt, so ist auch seine Säulenhalle selber eigentlich nur zum Schein
da, da den Fußgänger sein Weg durch den in der Mitte durchschnittenen hoben
Sockel führt und er daher, um sich zwischen den Gäulen selber zu bewegen,
eigens hinauf- und wieder hinabsteigen muß. Den Athenienser führten seine
Propyläen immer aufwärts, sie setzten in sich selber den Aufgang fort,
und während die Wagen auf der den Sockel durchschneidenden, geneigten Rampe
weiterzogen, bewegte sich das wandelnde Volt über die außer- und innerhalb
ansteigenden Stufen durch die Schiffe der Säulenhalle selbst der höchstgelegenen
Plattform der Burg zu. Wie anders der Münchener. Tapfer durchschreitet er
den Koth der Straße und geräth dann zwischen die mannshohen Wände des
durchschnittenen Sockels, um auf der anderen Seite seine todesvcrachtende
Wanderung über die dörfliche, idyllisch erweichte Gasse wieder aufzunehmen.

Darunter also, daß die Anlage der modernen Propyläen sowohl durch den
Mangel der Terrainbedingungen als den des Zwecks nothwendig eine andere
wurde, hat auch die Kunstform gelitten. Diese, in ihren Hauptzügen dem
classischen Muster nachgebildet, aber von den die Construction bestimmenden
Motiven losgelöst und durch die Veränderungen doch auch nicht hinreichend dem
modernen Boden und Bedürfniß angepaßt, hat durch diese Halbheit und Zu¬
fälligkeit den Ausdruck und die Wirkung des Vorbildes zum großen Theil ein¬
gebüßt. Auch fehlt dadurch, daß man wegen des Mangels an ausreichend
großen Steinen zu den Deckenträgern die inneren ionischen Säulenreihen ver¬
doppeln mußte, die schöne Einfachheit des Gegensatzes, den an dem Urbild die
dorische Säulenreihe mit der inneren ionischen bildete. Dazu kommt noch die
sicher unrichtige Stellung der Kapitale dieser ionischen Säulen zu den über sie
gelagerten Epistylen. Sie stehen mit ihren Vorderansichten parallel mit der
dorischen Front, also im rechten Winkel zu der Längenrichtung ihrer Architrave;
da doch immer die Lage des Kapitals sich nach diesem bestimmt, mit ihm in
derselben Richtung liegen muß und die Säulen nicht hintereinander, sondern
nebeneinander das Epistyl zu tragen haben. Dieses Gesetz liegt so noth¬
wendig im Wesen der classischen Architektur, daß sich mit Sicherheit annehmen


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[0122] wirkungsvolle Anlage, mit der sich die alten Propyläen über die Stadt erhoben und den herankommenden Festzug in sich nicht blos hinein- sondern zugleich hinaufzogen. Die den Felsen ansteigende Treppe mit der dem mittleren Hauptthor zuführende» Rampe für Reiter und Wagen erschien wie ein mächtiger die Säulenhalle emporhebender Unterbau. Diese, festlich einladend dem Heran¬ nahenden sich öffnend, zeigte ihm doch zugleich ihre ernste Bestimmung, der Eingang zu den Heiligthümern der Burg zu sein, indem ihm aus der inneren Halle (wieder um einige Stufen erhöht und so den Festzug immer aufwärts führend) die fünf ehernen Thore entgegenblinkten. Wie diese höchst wirksame und stimmungsvolle Anordnung bei dem in die Ebene gesetzten Münchener Thor wegfällt, so ist auch seine Säulenhalle selber eigentlich nur zum Schein da, da den Fußgänger sein Weg durch den in der Mitte durchschnittenen hoben Sockel führt und er daher, um sich zwischen den Gäulen selber zu bewegen, eigens hinauf- und wieder hinabsteigen muß. Den Athenienser führten seine Propyläen immer aufwärts, sie setzten in sich selber den Aufgang fort, und während die Wagen auf der den Sockel durchschneidenden, geneigten Rampe weiterzogen, bewegte sich das wandelnde Volt über die außer- und innerhalb ansteigenden Stufen durch die Schiffe der Säulenhalle selbst der höchstgelegenen Plattform der Burg zu. Wie anders der Münchener. Tapfer durchschreitet er den Koth der Straße und geräth dann zwischen die mannshohen Wände des durchschnittenen Sockels, um auf der anderen Seite seine todesvcrachtende Wanderung über die dörfliche, idyllisch erweichte Gasse wieder aufzunehmen. Darunter also, daß die Anlage der modernen Propyläen sowohl durch den Mangel der Terrainbedingungen als den des Zwecks nothwendig eine andere wurde, hat auch die Kunstform gelitten. Diese, in ihren Hauptzügen dem classischen Muster nachgebildet, aber von den die Construction bestimmenden Motiven losgelöst und durch die Veränderungen doch auch nicht hinreichend dem modernen Boden und Bedürfniß angepaßt, hat durch diese Halbheit und Zu¬ fälligkeit den Ausdruck und die Wirkung des Vorbildes zum großen Theil ein¬ gebüßt. Auch fehlt dadurch, daß man wegen des Mangels an ausreichend großen Steinen zu den Deckenträgern die inneren ionischen Säulenreihen ver¬ doppeln mußte, die schöne Einfachheit des Gegensatzes, den an dem Urbild die dorische Säulenreihe mit der inneren ionischen bildete. Dazu kommt noch die sicher unrichtige Stellung der Kapitale dieser ionischen Säulen zu den über sie gelagerten Epistylen. Sie stehen mit ihren Vorderansichten parallel mit der dorischen Front, also im rechten Winkel zu der Längenrichtung ihrer Architrave; da doch immer die Lage des Kapitals sich nach diesem bestimmt, mit ihm in derselben Richtung liegen muß und die Säulen nicht hintereinander, sondern nebeneinander das Epistyl zu tragen haben. Dieses Gesetz liegt so noth¬ wendig im Wesen der classischen Architektur, daß sich mit Sicherheit annehmen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/122>, abgerufen am 26.06.2024.