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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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nur ein Torso, ein unvollkommner und unvollendeter Versuch des staaten¬
bildenden Vermögens der Deutschen, eine Zwittcrgeburt, die nichts weiter be¬
weist und documentirt als den zwitterhaften Charakter des Schooßes. aus dem
sie hervorgegangen. Und doch liegt hier das versöhnende Moment so nahe.
Es liegt in der schon angedeuteten Betrachtung, durch die wir uns gerade vom
specifischen Preuhenthum unterscheiden möchten, daß Preußen nicht lediglich ein
Product seiner Fürsten und seiner eignen Stämme ist-, sondern in letzter und
höherer Instanz als das einzige erträgliche Erzeugniß betrachtet werden muß,
welches der politische Jnsiinct und die staatsbildnerische Kraft der deutschen
Nation zu Tage gefördert hat, als ein Erzeugniß, welches insofern jeder Bruch¬
theil dieser Nation sein Eigen nennen kann, ja für dessen Fehler wie für dessen
Vorzüge er mit verantwortlich ist.

Mit der Anerkennung dieses Satzes entfällt der wider Preußen auf¬
gebauschten Stammesopposition ihr innerster Halt. Die übrigen Stämme würden
dann erkennen, daß tua res aZiwr, wenn es sich um Preußen handelt, weil
Preußen nicht sein könnte, was es ist, wenn Deutschland in seiner geschicht¬
lichen Entwicklung es nicht so weit gereift hätte.

Wir möchten dem Nationalverein empfehlen, nach diesem Satz sein Programm
in Bezug auf Preußen umzuarbeiten. Preußens Hegemonie ist an und für sich
ein ganz leerer Begriff, wenn er sich nicht vorzugsweise auf jenen Satz stützt.
Was Noth thut und wofür der Nationaiverein an seinem Theil kräftiger wie
bisher arbeiten könnte, ist, daß Deutschland aus seinem Weg zur Größe, Macht.
Concentration und einer inhaltvollen politischen Freiheit -- nicht jede Frei¬
heit eines Kleinstaates verdient dies wesentlichste Prädicat -- Preußen als die
vornehmste Entwicklungsstufe, die es sich selbst zu schaffen vermocht hat, be¬
trachten lerne, daß es, weil es mit seinen Kleinstaaten aus directem Wege nie
fertig wird, den indirecten Weg nicht verschmähe, der durch jede Erstarkung
Preußens ein Absterben derselben vorbereitet, daß es praktisch politischen Sinn
wenigstens so weit bewähre, daß es nicht, weil Preußen in seinem gegen¬
wärtigen Uebergangszustand niemandem sehr behagen kann, nun auf einmal
diese Entwicklungsstufe für nichts achte und statt eines an derselben festhaltenden
und deshalb stufenmäßigen Fortschreitens einen Sprung ins blaue Ideale mache,
zu dem ihm unter allen Völkern am allermeisten die Kräfte fehlen, weil es
revolutionäre Befähigung noch niemals nachgewiesen hat.

Aber sollen wir, weil diese Erkenntniß in der Masse des Volks noch nicht
vorhanden und einstweilen auch nicht so schnell zu beschaffen ist. einem Ent¬
wickelungsgang uns praktisch entgegenstemmen, für dessen Richtigkeit wir theo¬
retische Anhänger zu werben bemüht sind? Dies scheint denn doch geradezu
unmöglich.

Nach der Theorie sagen wir: je mehr Preußen sich zu wahrer Großmachts-


nur ein Torso, ein unvollkommner und unvollendeter Versuch des staaten¬
bildenden Vermögens der Deutschen, eine Zwittcrgeburt, die nichts weiter be¬
weist und documentirt als den zwitterhaften Charakter des Schooßes. aus dem
sie hervorgegangen. Und doch liegt hier das versöhnende Moment so nahe.
Es liegt in der schon angedeuteten Betrachtung, durch die wir uns gerade vom
specifischen Preuhenthum unterscheiden möchten, daß Preußen nicht lediglich ein
Product seiner Fürsten und seiner eignen Stämme ist-, sondern in letzter und
höherer Instanz als das einzige erträgliche Erzeugniß betrachtet werden muß,
welches der politische Jnsiinct und die staatsbildnerische Kraft der deutschen
Nation zu Tage gefördert hat, als ein Erzeugniß, welches insofern jeder Bruch¬
theil dieser Nation sein Eigen nennen kann, ja für dessen Fehler wie für dessen
Vorzüge er mit verantwortlich ist.

Mit der Anerkennung dieses Satzes entfällt der wider Preußen auf¬
gebauschten Stammesopposition ihr innerster Halt. Die übrigen Stämme würden
dann erkennen, daß tua res aZiwr, wenn es sich um Preußen handelt, weil
Preußen nicht sein könnte, was es ist, wenn Deutschland in seiner geschicht¬
lichen Entwicklung es nicht so weit gereift hätte.

Wir möchten dem Nationalverein empfehlen, nach diesem Satz sein Programm
in Bezug auf Preußen umzuarbeiten. Preußens Hegemonie ist an und für sich
ein ganz leerer Begriff, wenn er sich nicht vorzugsweise auf jenen Satz stützt.
Was Noth thut und wofür der Nationaiverein an seinem Theil kräftiger wie
bisher arbeiten könnte, ist, daß Deutschland aus seinem Weg zur Größe, Macht.
Concentration und einer inhaltvollen politischen Freiheit — nicht jede Frei¬
heit eines Kleinstaates verdient dies wesentlichste Prädicat — Preußen als die
vornehmste Entwicklungsstufe, die es sich selbst zu schaffen vermocht hat, be¬
trachten lerne, daß es, weil es mit seinen Kleinstaaten aus directem Wege nie
fertig wird, den indirecten Weg nicht verschmähe, der durch jede Erstarkung
Preußens ein Absterben derselben vorbereitet, daß es praktisch politischen Sinn
wenigstens so weit bewähre, daß es nicht, weil Preußen in seinem gegen¬
wärtigen Uebergangszustand niemandem sehr behagen kann, nun auf einmal
diese Entwicklungsstufe für nichts achte und statt eines an derselben festhaltenden
und deshalb stufenmäßigen Fortschreitens einen Sprung ins blaue Ideale mache,
zu dem ihm unter allen Völkern am allermeisten die Kräfte fehlen, weil es
revolutionäre Befähigung noch niemals nachgewiesen hat.

Aber sollen wir, weil diese Erkenntniß in der Masse des Volks noch nicht
vorhanden und einstweilen auch nicht so schnell zu beschaffen ist. einem Ent¬
wickelungsgang uns praktisch entgegenstemmen, für dessen Richtigkeit wir theo¬
retische Anhänger zu werben bemüht sind? Dies scheint denn doch geradezu
unmöglich.

Nach der Theorie sagen wir: je mehr Preußen sich zu wahrer Großmachts-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/112>, abgerufen am 26.06.2024.