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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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beschränktesten Umfang vorhanden sind, vermögen sie nichts gegen die Willkür
des Zufalls.

Wer vermöchte zu verkennen, daß in vielen Mittel- und Kleinstaaten, ja
in den meisten eine behaglichere Existenz ermöglicht, ein größeres Maß von
Freiheit gewährt ist, als Preußen augenblicklich zu bieten vermag. Allein dies
erledigt die Frage nach der Leistungsfähigkeit eines Gemeinwesens an sich nicht,
die ich dahin zusammenfassen möchte: bietet mir ein Gemeinwesen in seiner
totalen Structur diejenigen Bedingungen oder wenigstens die Möglichkeit der¬
selben, welche eine fruchtbare Unterlage für die schaffende Thätigkeit des Menschen-
geistes nach allen Richtungen hin zu gewähren vermögen?

Raum und Zeit -- diese Grundbedingungen alles Daseins -- sie sind es
grade, die den Kleinstaaten fehlen, denen die Zeit stille steht, weil sie überhaupt
keine Entwicklung zeitigen und denen der Schnürleib der Raumbeengung jede
Entfaltung eines reicher gestalteten Daseins unmöglich macht; sie sind anderer¬
seits aber auch gerade dasjenige, was jeder Großstaat besitzt, was mit seiner
Existenzform identisch ist, was ihn wider seinen Willen zwingt voranzuschreiten
nach den vernünftigen Gesetzen der Bewegung.

Preußens und damit Deutschlands Unglück ist, daß ersteres kein voller
Großstaat ist, daß jeder Schritt, den es vom staatlichen Egoismus getrieben
auf dieser Bahn thun will, durch die Stammeseifersucht der Uebrigen gehemmt
und behindert wird.

Viele Wege führen allerdings nach Rom, viele mögen auch zur deutschen
Einheit führen. Für den praktischen Politiker kommt es indessen doch immer
darauf an, unter den gegebenen Verhältnissen einen gangbarsten zu erkennen
und sich für diesen zu erklären. Und in dieser Beziehung, scheint mir. hat
doch gerade die neueste Entwicklungsgeschichte Deutschlands den an sich klaren
Satz besonders schlagend beglaubigt, daß jede Ausdehnung der Machtsphäre
eines Großstaates die Mumificirung und Lahmlegung der kleinstaatlichen Gebilde
bis zu deren vollständiger Abstoßung im Gefolge hat.

Hier stoßen wir nun freilich auf die größte Schwierigkeit. Ihr -- sagt
man uns im übrigen Deutschland -- ihr in Preußen habt gut reden. Wir
sollen also mumificirt, lahmgelegt, abgestoßen werden und diesen Proceß wo
möglich noch beschleunigen helfen. Wir sollen verspeist werden und dazu
noch "gesegnete Mahlzeit" wünschen. So lange diese Anschauung gilt --
und sie ist der ewige Grundton in den tausendfachen Klageliedern, die uns
nicht minder aus den Herzogthümern wie aus Süd- und Mitteldeutschland ent¬
gegenschallen -- ist allerdings auf eine Verständigung nicht zu hoffen. So
lange diese Anschauung gilt, bleibt, falls von ihr die Gestaltung der Verhältnisse
abhängt. Preußen, statt der Kernpunkt zu sein, an dem der politische Jnstinct
der deutschen Nation befruchtend und fortbildend seine Kräfte bewähren könnte,


beschränktesten Umfang vorhanden sind, vermögen sie nichts gegen die Willkür
des Zufalls.

Wer vermöchte zu verkennen, daß in vielen Mittel- und Kleinstaaten, ja
in den meisten eine behaglichere Existenz ermöglicht, ein größeres Maß von
Freiheit gewährt ist, als Preußen augenblicklich zu bieten vermag. Allein dies
erledigt die Frage nach der Leistungsfähigkeit eines Gemeinwesens an sich nicht,
die ich dahin zusammenfassen möchte: bietet mir ein Gemeinwesen in seiner
totalen Structur diejenigen Bedingungen oder wenigstens die Möglichkeit der¬
selben, welche eine fruchtbare Unterlage für die schaffende Thätigkeit des Menschen-
geistes nach allen Richtungen hin zu gewähren vermögen?

Raum und Zeit — diese Grundbedingungen alles Daseins — sie sind es
grade, die den Kleinstaaten fehlen, denen die Zeit stille steht, weil sie überhaupt
keine Entwicklung zeitigen und denen der Schnürleib der Raumbeengung jede
Entfaltung eines reicher gestalteten Daseins unmöglich macht; sie sind anderer¬
seits aber auch gerade dasjenige, was jeder Großstaat besitzt, was mit seiner
Existenzform identisch ist, was ihn wider seinen Willen zwingt voranzuschreiten
nach den vernünftigen Gesetzen der Bewegung.

Preußens und damit Deutschlands Unglück ist, daß ersteres kein voller
Großstaat ist, daß jeder Schritt, den es vom staatlichen Egoismus getrieben
auf dieser Bahn thun will, durch die Stammeseifersucht der Uebrigen gehemmt
und behindert wird.

Viele Wege führen allerdings nach Rom, viele mögen auch zur deutschen
Einheit führen. Für den praktischen Politiker kommt es indessen doch immer
darauf an, unter den gegebenen Verhältnissen einen gangbarsten zu erkennen
und sich für diesen zu erklären. Und in dieser Beziehung, scheint mir. hat
doch gerade die neueste Entwicklungsgeschichte Deutschlands den an sich klaren
Satz besonders schlagend beglaubigt, daß jede Ausdehnung der Machtsphäre
eines Großstaates die Mumificirung und Lahmlegung der kleinstaatlichen Gebilde
bis zu deren vollständiger Abstoßung im Gefolge hat.

Hier stoßen wir nun freilich auf die größte Schwierigkeit. Ihr — sagt
man uns im übrigen Deutschland — ihr in Preußen habt gut reden. Wir
sollen also mumificirt, lahmgelegt, abgestoßen werden und diesen Proceß wo
möglich noch beschleunigen helfen. Wir sollen verspeist werden und dazu
noch „gesegnete Mahlzeit" wünschen. So lange diese Anschauung gilt —
und sie ist der ewige Grundton in den tausendfachen Klageliedern, die uns
nicht minder aus den Herzogthümern wie aus Süd- und Mitteldeutschland ent¬
gegenschallen — ist allerdings auf eine Verständigung nicht zu hoffen. So
lange diese Anschauung gilt, bleibt, falls von ihr die Gestaltung der Verhältnisse
abhängt. Preußen, statt der Kernpunkt zu sein, an dem der politische Jnstinct
der deutschen Nation befruchtend und fortbildend seine Kräfte bewähren könnte,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/111>, abgerufen am 12.12.2024.