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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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abgesehen von einzelnen festen Positionen, die indeß die Mitte und den Westen
der Halbinsel ungeschützt lassen, nur eine einzige, freilich aber auch sehr starke
Desensionslinie, die, quer über die ganze Breite des Landes gehend, das
Herzogthum Holstein und damit den deutschen Nordwesten gegen jeden Angriff
von Norden her deckt: die Linie des (jetzigen kleinen) Schleswig-holsteinischen
Kanals und der Eider, deren Mittelpunkt die Festung Rendsburg ist. Die
tiefen Desileen dieser Linie, der Kanal und der Fluß, sowie die Lage der
Festung nöthigen jedes von Norden anrückende Heer, diese ganze Vertheidigungs¬
stellung förmlich zu erobern, ehe es weiter vorrücken kann; ja man darf wohl
behaupten, daß ohne die Einnahme Rendsburgs der Einmarsch selbst einer
siegreichen Armee in Holstein ein sehr gewagtes Unternehmen sein würde, während
alles, was im Norden Rendsburgs liegt, von dem geschlagenen Heere voll¬
kommen aufgegeben werden müßte. Vergleicht man mit diesen Sätzen die Land¬
karte, so ergiebt sich sogleich, daß die lentzesche Linie, nördlich von Rendsburg
und dem Schleswig-holsteinischen Kanäle gezogen, sich außerhalb der soeben be¬
zeichneten natürlichen Defensionslinie befindet. Dieselbe würde bei jedem glück¬
lichen Angriffe vom Norden her entweder preisgegeben oder selber zur Operations¬
basis für die weitere Vertheidigung gemacht werden müssen. Auch im letzteren
Fall, wäre die Benutzung des Kanals unmöglich und mithin die Seemacht
Deutschlands getrennt und gelähmt, und es ist natürlich, daß die Möglichkeit
eines so wichtigen Erfolges stets einen um so kräftigeren Angriff provo¬
ciren wird.

Daß die eckernförder Linie den Besitz des Kanals und mit ihm die Ein¬
heit der maritimen Streitkräfte Deutschlands von dem Ausgang des ersten
Gefechts im Norden abhängig macht, scheint uns allein schon fast genügend,
von derselben abzusehen. Man kann allerdings eine Abhilfe darin suchen, daß
man nördlich von ihr, etwa von der Schlei nach der Treene zu, eine neue
Vertheidigungslinie errichtet. Allein diese würde bei weitem mehr kosten als
die verhältnißmäßig nicht sehr große Differenz der Kosten zwischen der kieler und
der eckernförder Kanallinie.

Nun könnte man versuchen, wenigstens einen Theil dieses Räsonnements
zu entkräften, indem man sagte: Wohlan, sühren wir den Kanal auf den eckern¬
förder Meerbusen zu, verlegen wir dagegen den Kriegshafen hinter jene Desen¬
sionslinie, in die kieler Bucht. Darauf antworten wir aus der Denkschrift:
"Wenn der Kanal den Zwecken der Marine, also namentlich dazu dienen soll,
die Flottenabtheilungcn der Ostsee und Westsee jederzeit schnell vereinigen,
Schiffe aus der Westsee ungefährdet zur Vornahme von Reparaturen oder zur
Aufnahme von Ausrüstungen u. s. w. nach dem Kriegshafen der Ostsee senden
zu können, so ist die erste Bedingung, daß die östliche Mündung des Kanals
vom Kriegshafen aus stets zugänglich sein muß, also nicht durch eine feindliche


abgesehen von einzelnen festen Positionen, die indeß die Mitte und den Westen
der Halbinsel ungeschützt lassen, nur eine einzige, freilich aber auch sehr starke
Desensionslinie, die, quer über die ganze Breite des Landes gehend, das
Herzogthum Holstein und damit den deutschen Nordwesten gegen jeden Angriff
von Norden her deckt: die Linie des (jetzigen kleinen) Schleswig-holsteinischen
Kanals und der Eider, deren Mittelpunkt die Festung Rendsburg ist. Die
tiefen Desileen dieser Linie, der Kanal und der Fluß, sowie die Lage der
Festung nöthigen jedes von Norden anrückende Heer, diese ganze Vertheidigungs¬
stellung förmlich zu erobern, ehe es weiter vorrücken kann; ja man darf wohl
behaupten, daß ohne die Einnahme Rendsburgs der Einmarsch selbst einer
siegreichen Armee in Holstein ein sehr gewagtes Unternehmen sein würde, während
alles, was im Norden Rendsburgs liegt, von dem geschlagenen Heere voll¬
kommen aufgegeben werden müßte. Vergleicht man mit diesen Sätzen die Land¬
karte, so ergiebt sich sogleich, daß die lentzesche Linie, nördlich von Rendsburg
und dem Schleswig-holsteinischen Kanäle gezogen, sich außerhalb der soeben be¬
zeichneten natürlichen Defensionslinie befindet. Dieselbe würde bei jedem glück¬
lichen Angriffe vom Norden her entweder preisgegeben oder selber zur Operations¬
basis für die weitere Vertheidigung gemacht werden müssen. Auch im letzteren
Fall, wäre die Benutzung des Kanals unmöglich und mithin die Seemacht
Deutschlands getrennt und gelähmt, und es ist natürlich, daß die Möglichkeit
eines so wichtigen Erfolges stets einen um so kräftigeren Angriff provo¬
ciren wird.

Daß die eckernförder Linie den Besitz des Kanals und mit ihm die Ein¬
heit der maritimen Streitkräfte Deutschlands von dem Ausgang des ersten
Gefechts im Norden abhängig macht, scheint uns allein schon fast genügend,
von derselben abzusehen. Man kann allerdings eine Abhilfe darin suchen, daß
man nördlich von ihr, etwa von der Schlei nach der Treene zu, eine neue
Vertheidigungslinie errichtet. Allein diese würde bei weitem mehr kosten als
die verhältnißmäßig nicht sehr große Differenz der Kosten zwischen der kieler und
der eckernförder Kanallinie.

Nun könnte man versuchen, wenigstens einen Theil dieses Räsonnements
zu entkräften, indem man sagte: Wohlan, sühren wir den Kanal auf den eckern¬
förder Meerbusen zu, verlegen wir dagegen den Kriegshafen hinter jene Desen¬
sionslinie, in die kieler Bucht. Darauf antworten wir aus der Denkschrift:
„Wenn der Kanal den Zwecken der Marine, also namentlich dazu dienen soll,
die Flottenabtheilungcn der Ostsee und Westsee jederzeit schnell vereinigen,
Schiffe aus der Westsee ungefährdet zur Vornahme von Reparaturen oder zur
Aufnahme von Ausrüstungen u. s. w. nach dem Kriegshafen der Ostsee senden
zu können, so ist die erste Bedingung, daß die östliche Mündung des Kanals
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/103>, abgerufen am 26.06.2024.