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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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lange Zeit hin undenkbar. Napoleon wird lieber einige Unarten seines eigen¬
willigen Zöglings ertragen, als sich mit Oestreich zur Zügelung und Züchtigung
desselben verbünden. Denn letzteres kann er nicht, weil er damit seinem Princip,
Oestreich von jedem Einfluß auf Italien auszuschließen, untreu werden würde.
In diesem Verhältnisse liegt gegenwartig die Stärke der politischen Stellung
Italiens, welches sich dieses Vortheils wohl bewußt ist.

Die Verlegenheiten und Gefahren Oestreichs sind also durch die Convention
in hohem Grade gesteigert, und zu dem ungelösten Conflict im Innern tritt
die Aussicht auf einen Krieg, dessen Dimensionen sich noch nicht berechnen las¬
sen, einen Krieg um ein Object, dessen Besitz Oestreich seit einer Reihe von
Jahren nur Kosten auferlegt und keinen Vortheil gebracht hat. Da ihm nun
aber ein Krieg voraussichtlich eine Befestigung des Besitzes nicht bringen wird,
leicht aber den völligen Ruin des Staates herbeiführen kann, so bleibt Oest¬
reich nichts übrig, als den peinlichen Versuch, durch Temporisiren die Ent¬
scheidung hinzuziehen, so lange fortzusetzen als es möglich ist. Die Gefahren
und Unzulräglicht'eilen einer derartigen Politik haben wir offen anerkannt,
schlagen sie aber geringer an, als die Gefahren eines Krieges, bei dem jeden¬
falls der Bestand der Monarchie eingesetzt werden müßte. Oestreich wird also
jeden Schritt zu vermeiden haben, der die schon vorhandene Spannung noch
steigern konnte; es wird sich vor allem jeder Maßregel zu enthalten haben, die
in ihren Konsequenzen zwingen könnte, selbst den Angriff zu eröffnen. Es ist
mit einem Worte auf eine durchaus passive Politik angewiesen.

Oestreich vermag nach Süden ebenso wenig wie nach Westen und Norden eine
fruchtbare Wirksamkeit auszuüben. Die einfache Folge dieser unbestreitbaren That¬
sache ist, daß es seine ganze Thätigkeit nach Osten zu lenken hat, wo ihm die
Aussicht auf eine lebenskräftige Entwickelung, auf dauernde und werthvolle
Eroberungen winkt. Also auch aus der Lage der italienischen Dinge geht die
dringende Mahnung an Oestreich hervor, vor allem Ungarn mit dem Gesammt-
staat zu versöhnen, um nur erst die Grundlage zu einer thätigen Politik zu
gewinnen. Sobald dies gelungen, ist Oestreich im Stande, die Angelegen¬
heiten des Ostens ins Auge zu fassen und gestaltend und bildend in die Ge¬
schicke der bald von Anarchie zerrütteten, bald in Lethargie verkommenden
Länder an der unteren Donau einzugreifen. Inzwischen hat die auswärtige
Politik sich wesentlich darauf zu beschränken, die italienische Krisis bis zu einer
orientalischen Krisis, deren Ausbruch, sobald Oestreich mit Ungarn sich ge¬
setzt haben wird, nicht auf sich wird warten lassen, hinzuziehen. Denn, wir
müssen wiederholen, was wir schon früher ausgesprochen haben, die Ent¬
schädigung für den Verlust Venetiens, das nun einmal ein unhaltbarer Besitz
ist, kann nur im Oriente gesucht werden. Von dem Augenblicke dieser Wen¬
dung an kann Oestreich auch mit Sicherheit auf die Mitwirkung Preußens und


lange Zeit hin undenkbar. Napoleon wird lieber einige Unarten seines eigen¬
willigen Zöglings ertragen, als sich mit Oestreich zur Zügelung und Züchtigung
desselben verbünden. Denn letzteres kann er nicht, weil er damit seinem Princip,
Oestreich von jedem Einfluß auf Italien auszuschließen, untreu werden würde.
In diesem Verhältnisse liegt gegenwartig die Stärke der politischen Stellung
Italiens, welches sich dieses Vortheils wohl bewußt ist.

Die Verlegenheiten und Gefahren Oestreichs sind also durch die Convention
in hohem Grade gesteigert, und zu dem ungelösten Conflict im Innern tritt
die Aussicht auf einen Krieg, dessen Dimensionen sich noch nicht berechnen las¬
sen, einen Krieg um ein Object, dessen Besitz Oestreich seit einer Reihe von
Jahren nur Kosten auferlegt und keinen Vortheil gebracht hat. Da ihm nun
aber ein Krieg voraussichtlich eine Befestigung des Besitzes nicht bringen wird,
leicht aber den völligen Ruin des Staates herbeiführen kann, so bleibt Oest¬
reich nichts übrig, als den peinlichen Versuch, durch Temporisiren die Ent¬
scheidung hinzuziehen, so lange fortzusetzen als es möglich ist. Die Gefahren
und Unzulräglicht'eilen einer derartigen Politik haben wir offen anerkannt,
schlagen sie aber geringer an, als die Gefahren eines Krieges, bei dem jeden¬
falls der Bestand der Monarchie eingesetzt werden müßte. Oestreich wird also
jeden Schritt zu vermeiden haben, der die schon vorhandene Spannung noch
steigern konnte; es wird sich vor allem jeder Maßregel zu enthalten haben, die
in ihren Konsequenzen zwingen könnte, selbst den Angriff zu eröffnen. Es ist
mit einem Worte auf eine durchaus passive Politik angewiesen.

Oestreich vermag nach Süden ebenso wenig wie nach Westen und Norden eine
fruchtbare Wirksamkeit auszuüben. Die einfache Folge dieser unbestreitbaren That¬
sache ist, daß es seine ganze Thätigkeit nach Osten zu lenken hat, wo ihm die
Aussicht auf eine lebenskräftige Entwickelung, auf dauernde und werthvolle
Eroberungen winkt. Also auch aus der Lage der italienischen Dinge geht die
dringende Mahnung an Oestreich hervor, vor allem Ungarn mit dem Gesammt-
staat zu versöhnen, um nur erst die Grundlage zu einer thätigen Politik zu
gewinnen. Sobald dies gelungen, ist Oestreich im Stande, die Angelegen¬
heiten des Ostens ins Auge zu fassen und gestaltend und bildend in die Ge¬
schicke der bald von Anarchie zerrütteten, bald in Lethargie verkommenden
Länder an der unteren Donau einzugreifen. Inzwischen hat die auswärtige
Politik sich wesentlich darauf zu beschränken, die italienische Krisis bis zu einer
orientalischen Krisis, deren Ausbruch, sobald Oestreich mit Ungarn sich ge¬
setzt haben wird, nicht auf sich wird warten lassen, hinzuziehen. Denn, wir
müssen wiederholen, was wir schon früher ausgesprochen haben, die Ent¬
schädigung für den Verlust Venetiens, das nun einmal ein unhaltbarer Besitz
ist, kann nur im Oriente gesucht werden. Von dem Augenblicke dieser Wen¬
dung an kann Oestreich auch mit Sicherheit auf die Mitwirkung Preußens und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/84>, abgerufen am 23.07.2024.