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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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manu, der diese Verbindung zuerst streng durchführte, da er erkannt hatte, daß
nicht Geschichte, am wenigsten römische, sondern die Gestalten und Begebenheiten
der griechischen Götter- und Heldensage den Hauptinhalt der alten Kunst bilden.
Er hatte auch von der griechischen Religion bessere Vorstellungen als die meisten
seiner Zeitgenossen; während diese in Schalen Pragmatismus nur entstellte
Historie in den Mythen erkannten, hatten für Winckelmann die Götter der
homerischen Gesänge ein wahrhaft göttliches Dasein. Doch erst in unsrem
J.ünhundert ist die Mythologie zur Religionsgeschichte geworden, und erst so
kann sie nicht blos mit der Kunsterklärung, sondern auch mit der Kunst¬
geschichte in das richtige Verhältniß treten. So lange die Kunst in schönster
Blüthe stand, ist die Schöpfung der Göttergestalten ihre höchste Aufgabe ge¬
wesen; in der verschiedenen Art und Weise, wie sie diese Aufgabe zu lösen
suchte, spiegelt sich am treusten ihre Entwicklung. Zunächst gilt es nur noch
der äußeren Form Herr zu werden: ein ruhiger Typus mit eng angeschlossenen
Armen und kaum getrennten Beinen neben einem bewegteren, weit ausschrei¬
tend und die Arme gewaltsam ausgestreckt oder gehoben -- diese beiden Gc-
staltungsmeisen genügen für die Menschen sowohl wie für die männlichen Götter
allzumal, die nur durch das äußere Beiwerk sich von einander unterscheiden
Trägt die Hand einen Blitz, so ist Zeus gemeint, ein Dreizack bezeichnet
Poseidon; der übrige Ausdruck zeigt keine Verschiedenheit, ein stereotypes Lächeln
ist überhaupt noch die einzige Weise, wie sich das Innere äußert, wie sich die
Freundlichkeit des gnädigen Gottes offenbart. Nicht anders ist es bei den
weiblichen Gottheiten; auch hier deuten blos die Attribute aus die ver¬
schiedenen Göttinnen hin, mögen sie steif und vierkantig da sitzen, die Hände
auf den Schenkeln, oder vor uns stehen und durch ein leises Heben des Ge¬
wandes auch in dieses ein erstes bescheidenes Motiv der Bewegung bringen,
wie durch das Lächeln ins Gesicht. Ganz langsam erstarkt so, im Einzelnen ver¬
folgbar, die Fähigkeit, das Aeußere darzustellen. Kaum aber ist diese Schwie¬
rigkeit überwunden, da tritt mit voller Gewalt die Aufgabe an die Kunst heran,
nicht mehr blos durch Attribute das Wesen der Gottheit anzudeuten, son¬
dern ihr Inneres in dem Körper und auf dem Antlitz selber wirklich auszu¬
drücken. Und noch empfand die Zeit in gläubigem Sinne die Tiefe der Gott¬
heit. Da schafft Pheidias seinen Zeus für den Tempel von Olympia, wo die
Sieger bekränzt werden; zum bedeutsamen Vorbild nimmt er sich die homerischen
Verse, wo Vater Zeus der flehenden Thetis für ihren Sohn Ehre und Sieg
verheißen hat:

Nie ist gnädige Gewährung und übermächtige Majestät schöner gepaart worden


manu, der diese Verbindung zuerst streng durchführte, da er erkannt hatte, daß
nicht Geschichte, am wenigsten römische, sondern die Gestalten und Begebenheiten
der griechischen Götter- und Heldensage den Hauptinhalt der alten Kunst bilden.
Er hatte auch von der griechischen Religion bessere Vorstellungen als die meisten
seiner Zeitgenossen; während diese in Schalen Pragmatismus nur entstellte
Historie in den Mythen erkannten, hatten für Winckelmann die Götter der
homerischen Gesänge ein wahrhaft göttliches Dasein. Doch erst in unsrem
J.ünhundert ist die Mythologie zur Religionsgeschichte geworden, und erst so
kann sie nicht blos mit der Kunsterklärung, sondern auch mit der Kunst¬
geschichte in das richtige Verhältniß treten. So lange die Kunst in schönster
Blüthe stand, ist die Schöpfung der Göttergestalten ihre höchste Aufgabe ge¬
wesen; in der verschiedenen Art und Weise, wie sie diese Aufgabe zu lösen
suchte, spiegelt sich am treusten ihre Entwicklung. Zunächst gilt es nur noch
der äußeren Form Herr zu werden: ein ruhiger Typus mit eng angeschlossenen
Armen und kaum getrennten Beinen neben einem bewegteren, weit ausschrei¬
tend und die Arme gewaltsam ausgestreckt oder gehoben — diese beiden Gc-
staltungsmeisen genügen für die Menschen sowohl wie für die männlichen Götter
allzumal, die nur durch das äußere Beiwerk sich von einander unterscheiden
Trägt die Hand einen Blitz, so ist Zeus gemeint, ein Dreizack bezeichnet
Poseidon; der übrige Ausdruck zeigt keine Verschiedenheit, ein stereotypes Lächeln
ist überhaupt noch die einzige Weise, wie sich das Innere äußert, wie sich die
Freundlichkeit des gnädigen Gottes offenbart. Nicht anders ist es bei den
weiblichen Gottheiten; auch hier deuten blos die Attribute aus die ver¬
schiedenen Göttinnen hin, mögen sie steif und vierkantig da sitzen, die Hände
auf den Schenkeln, oder vor uns stehen und durch ein leises Heben des Ge¬
wandes auch in dieses ein erstes bescheidenes Motiv der Bewegung bringen,
wie durch das Lächeln ins Gesicht. Ganz langsam erstarkt so, im Einzelnen ver¬
folgbar, die Fähigkeit, das Aeußere darzustellen. Kaum aber ist diese Schwie¬
rigkeit überwunden, da tritt mit voller Gewalt die Aufgabe an die Kunst heran,
nicht mehr blos durch Attribute das Wesen der Gottheit anzudeuten, son¬
dern ihr Inneres in dem Körper und auf dem Antlitz selber wirklich auszu¬
drücken. Und noch empfand die Zeit in gläubigem Sinne die Tiefe der Gott¬
heit. Da schafft Pheidias seinen Zeus für den Tempel von Olympia, wo die
Sieger bekränzt werden; zum bedeutsamen Vorbild nimmt er sich die homerischen
Verse, wo Vater Zeus der flehenden Thetis für ihren Sohn Ehre und Sieg
verheißen hat:

Nie ist gnädige Gewährung und übermächtige Majestät schöner gepaart worden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/64>, abgerufen am 23.07.2024.