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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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fallen, wenn wir bedenken, daß die berühmtesten Götterbilder des Alterthums
aus Elfenbein und theilweise emaillirtem Golde zusammengesetzt waren und
daß Praxiteles unter seinen Marmorstatuen diejenigen besonders hoch schätzte,
bei denen er sich der Hilfe des berühmten Malers Niklas bedient hatte. In
der That besitzen wir -- auch abgesehen von den ganz gefärbten Figuren aus
gebranntem Thon ---noch Marmorstatuen genug, welcheeine mehr oder minder
vollständige Bemalung aufzuweisen haben. Die in Pompeji ausgegrabenen
Standbilder zeigen fast durchgängig gefärbte Haare, Augen und Lippen, sowie
auch die Säume der Gewänder durch einen farbigen Streifen hervorgehoben
zu werden Pflegen; an einer kürzlich in der Nähe Roms entdeckten Kolossalstatue
des Augustus ist sein Mantel ganz und gar purpurn, die Reliefs an seinem
Harnisch in mehren Farben ausgemalt. Da das Factum der Bemalung somit
feststeht, so ist nunmehr die Untersuchung ihrer Grenzen unabweisbar geworden,
für welche vor allem eine möglichst genaue Feststellung des noch nachweislichen
Thatbestandes erforderlich ist.

Auch außerhalb des griechischen Bodens ist in unserm Jahrhundert der
Entdeckungen das Material emsig vermehrt. Aegypten ist seit der Expedition
Bonapartes zu wiederholten Malen neu erforscht; in den letzten Jahrzehnden
sind im Wetteifer der Engländer und Franzosen die Paläste der assyrischen
Hauptstädte wieder ans Tageslicht gezogen. Da ist denn natürlich auch die
Fragenach den Anfängen der griechischen Kunst wiederum in den Vorder¬
grund getreten. Bekanntlich hat Winckelmann die Herleitung der griechischen Kunst
aus Aegypten geläugnet; "es wäre -- sagt er -- für diejenigen, welche alles
aus den Morgenländern herfuhren, mehr Wahrscheinlichkeit auf Seiten der
Phönicier, mit welchen die Griechen sehr zeitig Verkehr hatten." Auch hier
scheint Winckelmann das Nichtige gesehen zu haben. Einen umfassenden Ein¬
fluß der ägyptischen Kunst auf die griechische tonnen wir mit ziemlicher Sicher¬
heit in Abrede stellen; nicht so vollständig lassen sich dagegen die Zusammen¬
hänge der ältesten griechischen Kunst mit dem asiatischen Orient abweisen, mit
jener eigenthümlich erstarrten Kunst, die uns in Assyrien entgegentritt und, wie
im Mittelalter die romanische Sculptur, mit ihrem leblosen Schematismus nur
das Ende einer langen Kunstentwicklung zu bezeichnen scheint. Hier bedarf es
"och einer eindringenden Untersuchung der assyrischen Kunstwerke, wie sie nur
erst eben begonnen ist. Auch die Frage nach der Rolle, welche etwa die
Phönicier durch selbständige Kunstübung oder als Vermittler fremder Kunst ge¬
spielt haben, harrt noch ihrer Lösung, wenn auch so viel schon jetzt sich sagen
läßt, daß die spätere, für uns mustergiltige Kunst der Griechen ein eigenstes
hellenisches Erzeugniß ist und ohne bedeutende fremde Einflüsse sich entwickelt hat.

Bei solchen Forschungen kann die Archäologie natürlich der Beihilfe der Philo¬
logischen Schwcsterdisciplinen nicht entrathen. Wie ließen sich Wohl die zuletzt


fallen, wenn wir bedenken, daß die berühmtesten Götterbilder des Alterthums
aus Elfenbein und theilweise emaillirtem Golde zusammengesetzt waren und
daß Praxiteles unter seinen Marmorstatuen diejenigen besonders hoch schätzte,
bei denen er sich der Hilfe des berühmten Malers Niklas bedient hatte. In
der That besitzen wir — auch abgesehen von den ganz gefärbten Figuren aus
gebranntem Thon -—noch Marmorstatuen genug, welcheeine mehr oder minder
vollständige Bemalung aufzuweisen haben. Die in Pompeji ausgegrabenen
Standbilder zeigen fast durchgängig gefärbte Haare, Augen und Lippen, sowie
auch die Säume der Gewänder durch einen farbigen Streifen hervorgehoben
zu werden Pflegen; an einer kürzlich in der Nähe Roms entdeckten Kolossalstatue
des Augustus ist sein Mantel ganz und gar purpurn, die Reliefs an seinem
Harnisch in mehren Farben ausgemalt. Da das Factum der Bemalung somit
feststeht, so ist nunmehr die Untersuchung ihrer Grenzen unabweisbar geworden,
für welche vor allem eine möglichst genaue Feststellung des noch nachweislichen
Thatbestandes erforderlich ist.

Auch außerhalb des griechischen Bodens ist in unserm Jahrhundert der
Entdeckungen das Material emsig vermehrt. Aegypten ist seit der Expedition
Bonapartes zu wiederholten Malen neu erforscht; in den letzten Jahrzehnden
sind im Wetteifer der Engländer und Franzosen die Paläste der assyrischen
Hauptstädte wieder ans Tageslicht gezogen. Da ist denn natürlich auch die
Fragenach den Anfängen der griechischen Kunst wiederum in den Vorder¬
grund getreten. Bekanntlich hat Winckelmann die Herleitung der griechischen Kunst
aus Aegypten geläugnet; „es wäre — sagt er — für diejenigen, welche alles
aus den Morgenländern herfuhren, mehr Wahrscheinlichkeit auf Seiten der
Phönicier, mit welchen die Griechen sehr zeitig Verkehr hatten." Auch hier
scheint Winckelmann das Nichtige gesehen zu haben. Einen umfassenden Ein¬
fluß der ägyptischen Kunst auf die griechische tonnen wir mit ziemlicher Sicher¬
heit in Abrede stellen; nicht so vollständig lassen sich dagegen die Zusammen¬
hänge der ältesten griechischen Kunst mit dem asiatischen Orient abweisen, mit
jener eigenthümlich erstarrten Kunst, die uns in Assyrien entgegentritt und, wie
im Mittelalter die romanische Sculptur, mit ihrem leblosen Schematismus nur
das Ende einer langen Kunstentwicklung zu bezeichnen scheint. Hier bedarf es
»och einer eindringenden Untersuchung der assyrischen Kunstwerke, wie sie nur
erst eben begonnen ist. Auch die Frage nach der Rolle, welche etwa die
Phönicier durch selbständige Kunstübung oder als Vermittler fremder Kunst ge¬
spielt haben, harrt noch ihrer Lösung, wenn auch so viel schon jetzt sich sagen
läßt, daß die spätere, für uns mustergiltige Kunst der Griechen ein eigenstes
hellenisches Erzeugniß ist und ohne bedeutende fremde Einflüsse sich entwickelt hat.

Bei solchen Forschungen kann die Archäologie natürlich der Beihilfe der Philo¬
logischen Schwcsterdisciplinen nicht entrathen. Wie ließen sich Wohl die zuletzt


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[0062] fallen, wenn wir bedenken, daß die berühmtesten Götterbilder des Alterthums aus Elfenbein und theilweise emaillirtem Golde zusammengesetzt waren und daß Praxiteles unter seinen Marmorstatuen diejenigen besonders hoch schätzte, bei denen er sich der Hilfe des berühmten Malers Niklas bedient hatte. In der That besitzen wir — auch abgesehen von den ganz gefärbten Figuren aus gebranntem Thon -—noch Marmorstatuen genug, welcheeine mehr oder minder vollständige Bemalung aufzuweisen haben. Die in Pompeji ausgegrabenen Standbilder zeigen fast durchgängig gefärbte Haare, Augen und Lippen, sowie auch die Säume der Gewänder durch einen farbigen Streifen hervorgehoben zu werden Pflegen; an einer kürzlich in der Nähe Roms entdeckten Kolossalstatue des Augustus ist sein Mantel ganz und gar purpurn, die Reliefs an seinem Harnisch in mehren Farben ausgemalt. Da das Factum der Bemalung somit feststeht, so ist nunmehr die Untersuchung ihrer Grenzen unabweisbar geworden, für welche vor allem eine möglichst genaue Feststellung des noch nachweislichen Thatbestandes erforderlich ist. Auch außerhalb des griechischen Bodens ist in unserm Jahrhundert der Entdeckungen das Material emsig vermehrt. Aegypten ist seit der Expedition Bonapartes zu wiederholten Malen neu erforscht; in den letzten Jahrzehnden sind im Wetteifer der Engländer und Franzosen die Paläste der assyrischen Hauptstädte wieder ans Tageslicht gezogen. Da ist denn natürlich auch die Fragenach den Anfängen der griechischen Kunst wiederum in den Vorder¬ grund getreten. Bekanntlich hat Winckelmann die Herleitung der griechischen Kunst aus Aegypten geläugnet; „es wäre — sagt er — für diejenigen, welche alles aus den Morgenländern herfuhren, mehr Wahrscheinlichkeit auf Seiten der Phönicier, mit welchen die Griechen sehr zeitig Verkehr hatten." Auch hier scheint Winckelmann das Nichtige gesehen zu haben. Einen umfassenden Ein¬ fluß der ägyptischen Kunst auf die griechische tonnen wir mit ziemlicher Sicher¬ heit in Abrede stellen; nicht so vollständig lassen sich dagegen die Zusammen¬ hänge der ältesten griechischen Kunst mit dem asiatischen Orient abweisen, mit jener eigenthümlich erstarrten Kunst, die uns in Assyrien entgegentritt und, wie im Mittelalter die romanische Sculptur, mit ihrem leblosen Schematismus nur das Ende einer langen Kunstentwicklung zu bezeichnen scheint. Hier bedarf es »och einer eindringenden Untersuchung der assyrischen Kunstwerke, wie sie nur erst eben begonnen ist. Auch die Frage nach der Rolle, welche etwa die Phönicier durch selbständige Kunstübung oder als Vermittler fremder Kunst ge¬ spielt haben, harrt noch ihrer Lösung, wenn auch so viel schon jetzt sich sagen läßt, daß die spätere, für uns mustergiltige Kunst der Griechen ein eigenstes hellenisches Erzeugniß ist und ohne bedeutende fremde Einflüsse sich entwickelt hat. Bei solchen Forschungen kann die Archäologie natürlich der Beihilfe der Philo¬ logischen Schwcsterdisciplinen nicht entrathen. Wie ließen sich Wohl die zuletzt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/62>, abgerufen am 23.07.2024.