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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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der politischen Belegung als gut constitutionell gesinnten Staatsbürger darzu¬
stellen. Man gewahrte ihn als Unteroffizier, mit der goldenen Tresse am
grünen Waffenrock, in den Reihen der Bürgerwehr und konnte ihn als Mitglied
des constitutionellen Vereins, welcher im September 1848 in Rostock gestiftet
wurde, als eifrigen Theilnehmer an den Verhandlungen erblicken. Aus dem
Programm dieses Vereins werden folgende Sätze seine damalige Richtung
charakterisiren: "Wir wollen die ungesäumte und vollständige Verwirklichung
der errungenen Volksfreiheit in Verfassung, Verwaltung und in der Rechts¬
pflege, sowohl im Staats- wie im Gemeindewesen. Alle diejenigen Institu¬
tionen, welche zur Ausbildung und starken Gewähr der Freiheit dienlich
und nothwendig sind, wollen wir insbesondere durch das Mittel der freien
Presse und der freien Versammlung zum allgemeinen Verständniß und zur Aner¬
kennung bringen helfen. Wir wollen als Staatsform die constitutionelle Mo¬
narchie."

Die Professur der Physik ist mit der der Mathematik verbunden und
wird von Hermann Karsten versehen, der auch über Geologie liest, von
der Physik aber nur den ersten Theil (allgemeine Physik. Akustik, Optik) vor¬
trägt, während den zweiten Theil (Wärme, Elektricität, Magnetismus) der
Professor der Chemie übernommen hat. Karsten ist zugleich Director der
Navigationsschule zu Rostock. Seine literarische Thätigkeit beschränkt sich auf
einige unbedeutende Gelegenheitsschriftcn. Er gilt für einen klaren Kopf und
tüchtigen Mathematiker, wirkt aber als Docent wenig belebend und anregend.
Im Jahre 1848 war er Vorsitzender des rostocker constitutionellen Vereins,
ist aber seitdem auf dem Gebiete der Politik verschollen.

Das Fach der Chemie war durch den Professor v. Blücher, welcher im
Jahre 18S0 seine Stelle niederlegte und sich aus sein Landgut zurückzog, sehr
mittelmäßig vertreten. Man sagt von ihm, daß er bei einem Besuch, den er
in Berlin dem Professor Mitscherlich machte, sich diesem nur als mecklen¬
burgischer Edelmann vorstellte und daß Mitscherlich sich an den schätzbaren
Kenntnissen des vermeintlichen Dilettanten erfreut habe, ohne auch nur entfernt
einen Kollegen vom Fache in ihm zu ahnen. Bei den Vorlesungen v. Blüchers
soll mitunter der Hausverwalter Kleesat.h, der als Diener im Laboratorium
fungirte, mit berichtigenden Zwischenbemerkungen eingegriffen haben. Ein
Mann von bedeutendem wissenschaftlichen Range ist dagegen sein Nachfolger,
der von Greifswald berufene Professorder Chemie und Pharmacie Franz Fer¬
dinand Schulze. Wer sich erst an die MAngel seines durch Stocken und
Abschweifungen etwas verunzierten Vertrags gewöhnt hat. findet sich durch
dessen wissenschaftlichen Gehalt und durch Schutzes fördernde und anregende
praktische Uebungen reich belohnt. Außerhalb seines akademischen Berufs ent¬
faltet er auch eine höchst anerkennenswerte Thätigkeit im rostocker Gewerbe-


der politischen Belegung als gut constitutionell gesinnten Staatsbürger darzu¬
stellen. Man gewahrte ihn als Unteroffizier, mit der goldenen Tresse am
grünen Waffenrock, in den Reihen der Bürgerwehr und konnte ihn als Mitglied
des constitutionellen Vereins, welcher im September 1848 in Rostock gestiftet
wurde, als eifrigen Theilnehmer an den Verhandlungen erblicken. Aus dem
Programm dieses Vereins werden folgende Sätze seine damalige Richtung
charakterisiren: „Wir wollen die ungesäumte und vollständige Verwirklichung
der errungenen Volksfreiheit in Verfassung, Verwaltung und in der Rechts¬
pflege, sowohl im Staats- wie im Gemeindewesen. Alle diejenigen Institu¬
tionen, welche zur Ausbildung und starken Gewähr der Freiheit dienlich
und nothwendig sind, wollen wir insbesondere durch das Mittel der freien
Presse und der freien Versammlung zum allgemeinen Verständniß und zur Aner¬
kennung bringen helfen. Wir wollen als Staatsform die constitutionelle Mo¬
narchie."

Die Professur der Physik ist mit der der Mathematik verbunden und
wird von Hermann Karsten versehen, der auch über Geologie liest, von
der Physik aber nur den ersten Theil (allgemeine Physik. Akustik, Optik) vor¬
trägt, während den zweiten Theil (Wärme, Elektricität, Magnetismus) der
Professor der Chemie übernommen hat. Karsten ist zugleich Director der
Navigationsschule zu Rostock. Seine literarische Thätigkeit beschränkt sich auf
einige unbedeutende Gelegenheitsschriftcn. Er gilt für einen klaren Kopf und
tüchtigen Mathematiker, wirkt aber als Docent wenig belebend und anregend.
Im Jahre 1848 war er Vorsitzender des rostocker constitutionellen Vereins,
ist aber seitdem auf dem Gebiete der Politik verschollen.

Das Fach der Chemie war durch den Professor v. Blücher, welcher im
Jahre 18S0 seine Stelle niederlegte und sich aus sein Landgut zurückzog, sehr
mittelmäßig vertreten. Man sagt von ihm, daß er bei einem Besuch, den er
in Berlin dem Professor Mitscherlich machte, sich diesem nur als mecklen¬
burgischer Edelmann vorstellte und daß Mitscherlich sich an den schätzbaren
Kenntnissen des vermeintlichen Dilettanten erfreut habe, ohne auch nur entfernt
einen Kollegen vom Fache in ihm zu ahnen. Bei den Vorlesungen v. Blüchers
soll mitunter der Hausverwalter Kleesat.h, der als Diener im Laboratorium
fungirte, mit berichtigenden Zwischenbemerkungen eingegriffen haben. Ein
Mann von bedeutendem wissenschaftlichen Range ist dagegen sein Nachfolger,
der von Greifswald berufene Professorder Chemie und Pharmacie Franz Fer¬
dinand Schulze. Wer sich erst an die MAngel seines durch Stocken und
Abschweifungen etwas verunzierten Vertrags gewöhnt hat. findet sich durch
dessen wissenschaftlichen Gehalt und durch Schutzes fördernde und anregende
praktische Uebungen reich belohnt. Außerhalb seines akademischen Berufs ent¬
faltet er auch eine höchst anerkennenswerte Thätigkeit im rostocker Gewerbe-


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[0530] der politischen Belegung als gut constitutionell gesinnten Staatsbürger darzu¬ stellen. Man gewahrte ihn als Unteroffizier, mit der goldenen Tresse am grünen Waffenrock, in den Reihen der Bürgerwehr und konnte ihn als Mitglied des constitutionellen Vereins, welcher im September 1848 in Rostock gestiftet wurde, als eifrigen Theilnehmer an den Verhandlungen erblicken. Aus dem Programm dieses Vereins werden folgende Sätze seine damalige Richtung charakterisiren: „Wir wollen die ungesäumte und vollständige Verwirklichung der errungenen Volksfreiheit in Verfassung, Verwaltung und in der Rechts¬ pflege, sowohl im Staats- wie im Gemeindewesen. Alle diejenigen Institu¬ tionen, welche zur Ausbildung und starken Gewähr der Freiheit dienlich und nothwendig sind, wollen wir insbesondere durch das Mittel der freien Presse und der freien Versammlung zum allgemeinen Verständniß und zur Aner¬ kennung bringen helfen. Wir wollen als Staatsform die constitutionelle Mo¬ narchie." Die Professur der Physik ist mit der der Mathematik verbunden und wird von Hermann Karsten versehen, der auch über Geologie liest, von der Physik aber nur den ersten Theil (allgemeine Physik. Akustik, Optik) vor¬ trägt, während den zweiten Theil (Wärme, Elektricität, Magnetismus) der Professor der Chemie übernommen hat. Karsten ist zugleich Director der Navigationsschule zu Rostock. Seine literarische Thätigkeit beschränkt sich auf einige unbedeutende Gelegenheitsschriftcn. Er gilt für einen klaren Kopf und tüchtigen Mathematiker, wirkt aber als Docent wenig belebend und anregend. Im Jahre 1848 war er Vorsitzender des rostocker constitutionellen Vereins, ist aber seitdem auf dem Gebiete der Politik verschollen. Das Fach der Chemie war durch den Professor v. Blücher, welcher im Jahre 18S0 seine Stelle niederlegte und sich aus sein Landgut zurückzog, sehr mittelmäßig vertreten. Man sagt von ihm, daß er bei einem Besuch, den er in Berlin dem Professor Mitscherlich machte, sich diesem nur als mecklen¬ burgischer Edelmann vorstellte und daß Mitscherlich sich an den schätzbaren Kenntnissen des vermeintlichen Dilettanten erfreut habe, ohne auch nur entfernt einen Kollegen vom Fache in ihm zu ahnen. Bei den Vorlesungen v. Blüchers soll mitunter der Hausverwalter Kleesat.h, der als Diener im Laboratorium fungirte, mit berichtigenden Zwischenbemerkungen eingegriffen haben. Ein Mann von bedeutendem wissenschaftlichen Range ist dagegen sein Nachfolger, der von Greifswald berufene Professorder Chemie und Pharmacie Franz Fer¬ dinand Schulze. Wer sich erst an die MAngel seines durch Stocken und Abschweifungen etwas verunzierten Vertrags gewöhnt hat. findet sich durch dessen wissenschaftlichen Gehalt und durch Schutzes fördernde und anregende praktische Uebungen reich belohnt. Außerhalb seines akademischen Berufs ent¬ faltet er auch eine höchst anerkennenswerte Thätigkeit im rostocker Gewerbe-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/530>, abgerufen am 23.07.2024.