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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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Aufschwung der Freiheitskriege vorüber war, diesen mit einem gothischen Dome
ein religiöses Denkmal zu setzen, und selbst Schinkel griff zu diesem Stile für
derartige Zwecke mit einer gewissen Vorliebe. Aber es ist bezeichnend sowohl
für die Unklarheit jenes in der Gothik befangenen Zeitalters als für den künst¬
lerischen Trieb des talentvollen Architekten, daß er meinte, die "völlige Voll¬
endung des Stils sei der kommenden Zeit aufgespart" und durch die "Ver¬
schmelzung" mit antiken Elementen zu erreichen (Worte der Denkschrift an Frie¬
drich Wilhelm den Dritten, die den Entwurf des Doms begleitete). Er fühlte
die tieferen Mangel des Stils und dachte ihnen abhelfen zu können. Er hat
bekanntlich eine solche Fortbildung an anderen Kirchenbauten versucht. Aber
diese konnte durch die maßvollere Behandlung des Ornaments, das breitere Her¬
vortreten der Massen, die Horizontalabschlüsse und die an die Antike sich an¬
lehnenden Gliederungen ebenso wenig gelingen, als sie überhaupt gelingen kann;
und schließlich kam Schinkel zu der Ueberzeugung, daß in dieser Bauart nichts
möglich sei, als Nachahmung. Seitdem haben wir die süßen Bande der Ro¬
mantik, die nachgerade im restaurirten Staats- und Kirchenlcbcn zu schweren
Fesseln geworden, endlich abgeworfen -- und nur in der Architektur sollten
wir die alten Ketten als unheimlichen Spuk noch nachziehen, weil uns Einige
weiß machen wollen, jene Bauart sei echt deutsch und ihre consiructive Strenge
der höchste Grundsatz der Kunst?

Was soll uns noch die Gothik? Haben wir Kirchen zu bauen, die ihre
Spitzen sehnsüchtig in einen nun entleerten Himmel, d. h. die blaue Luft strecken?
Leben wir noch in dem Jahrhundert, da Vornehm und Gering in frommer
Zerknirschung herzulief, um "an der Stelle der Zugthiere", wie sich der Abt
Suger selber ausdrückt, Steine zum aufgethürmten Bau zu schleppen? Denn
die Züge einer fanatischen Anstrengung des ganzen Geschlechts stehen diesen
ungeheuren Kathedralen an der Stirne geschrieben. Und bauen sollten wir,
^ne Zeit nachahmend, wo alles unter dem Druck der Hierarchie und der Geist
i" den Banden einer dunklen Sinnlichkeit lag? Jenen Druck haben wir
abgeschüttelt und streben dagegen, in gemeinsamer freier Arbeit Herren der Erde
und unserer selbst zu werden. Diesen, unseren großen Zweck haben wir
mit Hilfe einer die Vergangenheit durchsuchenden und ihre echten Schätze heben¬
den Bildung auszuführen und dazu unsere Bauten nach dem Vorbild einer
Mustergiltigen, lebensfähigen Kunst aufzurichten. Weder das Eine noch das
Andere ist die Gothik; und wir sollten da nachahmen, wo wir das Urbild doch
nie erreichen können, während wir in Wahrheit über sein einseitiges Wesen
hinaus sind und mit seinen beschränkten Formen nichts anzufangen wissen?

Was es mit der Nationalität des Stils auf sich hat, das ist nur noch
den Fanatikern verborgen; aber auch über seinen Kunstwerth sollte man
endlich ins Klare kommen. Es ist nicht wahr, daß die Architektur auch


Gmijboien I. 62

Aufschwung der Freiheitskriege vorüber war, diesen mit einem gothischen Dome
ein religiöses Denkmal zu setzen, und selbst Schinkel griff zu diesem Stile für
derartige Zwecke mit einer gewissen Vorliebe. Aber es ist bezeichnend sowohl
für die Unklarheit jenes in der Gothik befangenen Zeitalters als für den künst¬
lerischen Trieb des talentvollen Architekten, daß er meinte, die „völlige Voll¬
endung des Stils sei der kommenden Zeit aufgespart" und durch die „Ver¬
schmelzung" mit antiken Elementen zu erreichen (Worte der Denkschrift an Frie¬
drich Wilhelm den Dritten, die den Entwurf des Doms begleitete). Er fühlte
die tieferen Mangel des Stils und dachte ihnen abhelfen zu können. Er hat
bekanntlich eine solche Fortbildung an anderen Kirchenbauten versucht. Aber
diese konnte durch die maßvollere Behandlung des Ornaments, das breitere Her¬
vortreten der Massen, die Horizontalabschlüsse und die an die Antike sich an¬
lehnenden Gliederungen ebenso wenig gelingen, als sie überhaupt gelingen kann;
und schließlich kam Schinkel zu der Ueberzeugung, daß in dieser Bauart nichts
möglich sei, als Nachahmung. Seitdem haben wir die süßen Bande der Ro¬
mantik, die nachgerade im restaurirten Staats- und Kirchenlcbcn zu schweren
Fesseln geworden, endlich abgeworfen — und nur in der Architektur sollten
wir die alten Ketten als unheimlichen Spuk noch nachziehen, weil uns Einige
weiß machen wollen, jene Bauart sei echt deutsch und ihre consiructive Strenge
der höchste Grundsatz der Kunst?

Was soll uns noch die Gothik? Haben wir Kirchen zu bauen, die ihre
Spitzen sehnsüchtig in einen nun entleerten Himmel, d. h. die blaue Luft strecken?
Leben wir noch in dem Jahrhundert, da Vornehm und Gering in frommer
Zerknirschung herzulief, um „an der Stelle der Zugthiere", wie sich der Abt
Suger selber ausdrückt, Steine zum aufgethürmten Bau zu schleppen? Denn
die Züge einer fanatischen Anstrengung des ganzen Geschlechts stehen diesen
ungeheuren Kathedralen an der Stirne geschrieben. Und bauen sollten wir,
^ne Zeit nachahmend, wo alles unter dem Druck der Hierarchie und der Geist
i» den Banden einer dunklen Sinnlichkeit lag? Jenen Druck haben wir
abgeschüttelt und streben dagegen, in gemeinsamer freier Arbeit Herren der Erde
und unserer selbst zu werden. Diesen, unseren großen Zweck haben wir
mit Hilfe einer die Vergangenheit durchsuchenden und ihre echten Schätze heben¬
den Bildung auszuführen und dazu unsere Bauten nach dem Vorbild einer
Mustergiltigen, lebensfähigen Kunst aufzurichten. Weder das Eine noch das
Andere ist die Gothik; und wir sollten da nachahmen, wo wir das Urbild doch
nie erreichen können, während wir in Wahrheit über sein einseitiges Wesen
hinaus sind und mit seinen beschränkten Formen nichts anzufangen wissen?

Was es mit der Nationalität des Stils auf sich hat, das ist nur noch
den Fanatikern verborgen; aber auch über seinen Kunstwerth sollte man
endlich ins Klare kommen. Es ist nicht wahr, daß die Architektur auch


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[0519] Aufschwung der Freiheitskriege vorüber war, diesen mit einem gothischen Dome ein religiöses Denkmal zu setzen, und selbst Schinkel griff zu diesem Stile für derartige Zwecke mit einer gewissen Vorliebe. Aber es ist bezeichnend sowohl für die Unklarheit jenes in der Gothik befangenen Zeitalters als für den künst¬ lerischen Trieb des talentvollen Architekten, daß er meinte, die „völlige Voll¬ endung des Stils sei der kommenden Zeit aufgespart" und durch die „Ver¬ schmelzung" mit antiken Elementen zu erreichen (Worte der Denkschrift an Frie¬ drich Wilhelm den Dritten, die den Entwurf des Doms begleitete). Er fühlte die tieferen Mangel des Stils und dachte ihnen abhelfen zu können. Er hat bekanntlich eine solche Fortbildung an anderen Kirchenbauten versucht. Aber diese konnte durch die maßvollere Behandlung des Ornaments, das breitere Her¬ vortreten der Massen, die Horizontalabschlüsse und die an die Antike sich an¬ lehnenden Gliederungen ebenso wenig gelingen, als sie überhaupt gelingen kann; und schließlich kam Schinkel zu der Ueberzeugung, daß in dieser Bauart nichts möglich sei, als Nachahmung. Seitdem haben wir die süßen Bande der Ro¬ mantik, die nachgerade im restaurirten Staats- und Kirchenlcbcn zu schweren Fesseln geworden, endlich abgeworfen — und nur in der Architektur sollten wir die alten Ketten als unheimlichen Spuk noch nachziehen, weil uns Einige weiß machen wollen, jene Bauart sei echt deutsch und ihre consiructive Strenge der höchste Grundsatz der Kunst? Was soll uns noch die Gothik? Haben wir Kirchen zu bauen, die ihre Spitzen sehnsüchtig in einen nun entleerten Himmel, d. h. die blaue Luft strecken? Leben wir noch in dem Jahrhundert, da Vornehm und Gering in frommer Zerknirschung herzulief, um „an der Stelle der Zugthiere", wie sich der Abt Suger selber ausdrückt, Steine zum aufgethürmten Bau zu schleppen? Denn die Züge einer fanatischen Anstrengung des ganzen Geschlechts stehen diesen ungeheuren Kathedralen an der Stirne geschrieben. Und bauen sollten wir, ^ne Zeit nachahmend, wo alles unter dem Druck der Hierarchie und der Geist i» den Banden einer dunklen Sinnlichkeit lag? Jenen Druck haben wir abgeschüttelt und streben dagegen, in gemeinsamer freier Arbeit Herren der Erde und unserer selbst zu werden. Diesen, unseren großen Zweck haben wir mit Hilfe einer die Vergangenheit durchsuchenden und ihre echten Schätze heben¬ den Bildung auszuführen und dazu unsere Bauten nach dem Vorbild einer Mustergiltigen, lebensfähigen Kunst aufzurichten. Weder das Eine noch das Andere ist die Gothik; und wir sollten da nachahmen, wo wir das Urbild doch nie erreichen können, während wir in Wahrheit über sein einseitiges Wesen hinaus sind und mit seinen beschränkten Formen nichts anzufangen wissen? Was es mit der Nationalität des Stils auf sich hat, das ist nur noch den Fanatikern verborgen; aber auch über seinen Kunstwerth sollte man endlich ins Klare kommen. Es ist nicht wahr, daß die Architektur auch Gmijboien I. 62

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/519>, abgerufen am 29.06.2024.