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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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der schwierigen Aufgabe und zwar mit seltener Gewissenhaftigkeit und großer
Gelehrsamkeit erfüllt habe, was ihm auch diejenigen nicht absprechen würden,
die in der Vorrede so nachdrücklich von ihm angegriffen seien. Dann gerieth
er mit dem Professor Bernhard Wind Scheit (jetzt in München) in eine lite¬
rarische Fehde, welche ihm weniger zum Ruhme gereichte. (Mulder. zur Lehre
von der römischen Activ. Eine Kritik des windscheidschen Buchs: "die Activ
des römischen Civilrechts vom Standpunkte des heutigen Rechts"). "Der Haupt¬
zweck meiner Arbeit ist der, Windscheids neue Lehre zu entfernen," mit diesen
anmaßenden Worten führte er seine Streitschrift ein. Windscheid (die Activ.
Abwehr gegen Dr. Th. Mulder) erwiderte ernst und würdig. Von der Kritik
wurde Muthers Urtheil als ein zu rasches und seine Schrift als eine unreife
bezeichnet. Später schrieb er, außer einem von ihm veröffentlichten Vortrage
über den "Reformationsjuristen" Hieronymus Schürpf (1858). ein Werk: "die
Gewissenövertretung im gemeinen deutschen Recht, mit Berücksichtigung von
Particulargesetzgebungen, besonders der sächsischen und der preußischen" (1860).
Mit Macht zieht er hier gegen das "flache Raisonniren" und die aprioristische
Construction der Lehre von der Gewissensvertretung zu Felde und erklärt, daß
die Sicherheit der von ihm gefundenen Resultate die Veröffentlichung rechtfertige.
Die hierdurch angeregte Erwartung, daß die Lehre mindestens hinsichtlich ihrer
geschichtlichen Entwickelung hier zum Abschluß gebracht sei, wird aber getäuscht.
Gelegentlich bekennt der Verfasser sich in dieser Schrift auch als Gegner des
Geschworneninstitutes im Criminalprocesse, da die Trennung zwischen Thatsrage
und Rechtsanwendung unzulässig sei, und an einer andern Stelle wendet er
sich, um doch auch seine politische Farbe recht deutlich zu machen, gegen den
"reformjüdelnd-revolutionären Standpunkt" einzelner Juristen. Seit 1857 giebt
er mit Ernst Immanuel Bekker "Jahrbücher des gemeinen deutschen Rechts"
heraus, in welchen sich kleinere Aufsätze von ihm finden. Er liest über Insti¬
tutionen und Pandekten, kündigt auch Nelatorien und exegetische Uebungen an.

In socialer Beziehung zeichnet er sich durch geflissentliche Schaustellung
seiner Kreuzzeitungsrichtung aus. In einem Convivium, welches in Veran¬
lassung eines glücklich bestandenen Nichterexamens von einem seiner Partei¬
genossen veranstaltet ward, feierte er die mecklenburgische Landesverfassung als
das höchste Ideal einer Verfassung mit so überschwänglichen Worten, daß es
selbst der anwesenden Gesellschaft zu stark aufgetragen erschien und von der¬
selben Widerspruch erhoben ward. Unter den Studenten bevorzugt er die Ari¬
stokratie und deren Genossen, und die Art. wie er mit diesen bei Trinkgelagen
verkehrt und Dutzbrüderschaften eingeht, sowie seine sonstigen befremdend un-
genirter gesellschaftlichen Gewohnheiten sollen selbst bei der Partei, als deren
hervorragendsten Vorkämpfer er sich geltend machen möchte, bereits große Be¬
denken erregt haben. Daß man auch von ihm als künftigem Justizminister


der schwierigen Aufgabe und zwar mit seltener Gewissenhaftigkeit und großer
Gelehrsamkeit erfüllt habe, was ihm auch diejenigen nicht absprechen würden,
die in der Vorrede so nachdrücklich von ihm angegriffen seien. Dann gerieth
er mit dem Professor Bernhard Wind Scheit (jetzt in München) in eine lite¬
rarische Fehde, welche ihm weniger zum Ruhme gereichte. (Mulder. zur Lehre
von der römischen Activ. Eine Kritik des windscheidschen Buchs: „die Activ
des römischen Civilrechts vom Standpunkte des heutigen Rechts"). „Der Haupt¬
zweck meiner Arbeit ist der, Windscheids neue Lehre zu entfernen," mit diesen
anmaßenden Worten führte er seine Streitschrift ein. Windscheid (die Activ.
Abwehr gegen Dr. Th. Mulder) erwiderte ernst und würdig. Von der Kritik
wurde Muthers Urtheil als ein zu rasches und seine Schrift als eine unreife
bezeichnet. Später schrieb er, außer einem von ihm veröffentlichten Vortrage
über den „Reformationsjuristen" Hieronymus Schürpf (1858). ein Werk: „die
Gewissenövertretung im gemeinen deutschen Recht, mit Berücksichtigung von
Particulargesetzgebungen, besonders der sächsischen und der preußischen" (1860).
Mit Macht zieht er hier gegen das „flache Raisonniren" und die aprioristische
Construction der Lehre von der Gewissensvertretung zu Felde und erklärt, daß
die Sicherheit der von ihm gefundenen Resultate die Veröffentlichung rechtfertige.
Die hierdurch angeregte Erwartung, daß die Lehre mindestens hinsichtlich ihrer
geschichtlichen Entwickelung hier zum Abschluß gebracht sei, wird aber getäuscht.
Gelegentlich bekennt der Verfasser sich in dieser Schrift auch als Gegner des
Geschworneninstitutes im Criminalprocesse, da die Trennung zwischen Thatsrage
und Rechtsanwendung unzulässig sei, und an einer andern Stelle wendet er
sich, um doch auch seine politische Farbe recht deutlich zu machen, gegen den
„reformjüdelnd-revolutionären Standpunkt" einzelner Juristen. Seit 1857 giebt
er mit Ernst Immanuel Bekker „Jahrbücher des gemeinen deutschen Rechts"
heraus, in welchen sich kleinere Aufsätze von ihm finden. Er liest über Insti¬
tutionen und Pandekten, kündigt auch Nelatorien und exegetische Uebungen an.

In socialer Beziehung zeichnet er sich durch geflissentliche Schaustellung
seiner Kreuzzeitungsrichtung aus. In einem Convivium, welches in Veran¬
lassung eines glücklich bestandenen Nichterexamens von einem seiner Partei¬
genossen veranstaltet ward, feierte er die mecklenburgische Landesverfassung als
das höchste Ideal einer Verfassung mit so überschwänglichen Worten, daß es
selbst der anwesenden Gesellschaft zu stark aufgetragen erschien und von der¬
selben Widerspruch erhoben ward. Unter den Studenten bevorzugt er die Ari¬
stokratie und deren Genossen, und die Art. wie er mit diesen bei Trinkgelagen
verkehrt und Dutzbrüderschaften eingeht, sowie seine sonstigen befremdend un-
genirter gesellschaftlichen Gewohnheiten sollen selbst bei der Partei, als deren
hervorragendsten Vorkämpfer er sich geltend machen möchte, bereits große Be¬
denken erregt haben. Daß man auch von ihm als künftigem Justizminister


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[0486] der schwierigen Aufgabe und zwar mit seltener Gewissenhaftigkeit und großer Gelehrsamkeit erfüllt habe, was ihm auch diejenigen nicht absprechen würden, die in der Vorrede so nachdrücklich von ihm angegriffen seien. Dann gerieth er mit dem Professor Bernhard Wind Scheit (jetzt in München) in eine lite¬ rarische Fehde, welche ihm weniger zum Ruhme gereichte. (Mulder. zur Lehre von der römischen Activ. Eine Kritik des windscheidschen Buchs: „die Activ des römischen Civilrechts vom Standpunkte des heutigen Rechts"). „Der Haupt¬ zweck meiner Arbeit ist der, Windscheids neue Lehre zu entfernen," mit diesen anmaßenden Worten führte er seine Streitschrift ein. Windscheid (die Activ. Abwehr gegen Dr. Th. Mulder) erwiderte ernst und würdig. Von der Kritik wurde Muthers Urtheil als ein zu rasches und seine Schrift als eine unreife bezeichnet. Später schrieb er, außer einem von ihm veröffentlichten Vortrage über den „Reformationsjuristen" Hieronymus Schürpf (1858). ein Werk: „die Gewissenövertretung im gemeinen deutschen Recht, mit Berücksichtigung von Particulargesetzgebungen, besonders der sächsischen und der preußischen" (1860). Mit Macht zieht er hier gegen das „flache Raisonniren" und die aprioristische Construction der Lehre von der Gewissensvertretung zu Felde und erklärt, daß die Sicherheit der von ihm gefundenen Resultate die Veröffentlichung rechtfertige. Die hierdurch angeregte Erwartung, daß die Lehre mindestens hinsichtlich ihrer geschichtlichen Entwickelung hier zum Abschluß gebracht sei, wird aber getäuscht. Gelegentlich bekennt der Verfasser sich in dieser Schrift auch als Gegner des Geschworneninstitutes im Criminalprocesse, da die Trennung zwischen Thatsrage und Rechtsanwendung unzulässig sei, und an einer andern Stelle wendet er sich, um doch auch seine politische Farbe recht deutlich zu machen, gegen den „reformjüdelnd-revolutionären Standpunkt" einzelner Juristen. Seit 1857 giebt er mit Ernst Immanuel Bekker „Jahrbücher des gemeinen deutschen Rechts" heraus, in welchen sich kleinere Aufsätze von ihm finden. Er liest über Insti¬ tutionen und Pandekten, kündigt auch Nelatorien und exegetische Uebungen an. In socialer Beziehung zeichnet er sich durch geflissentliche Schaustellung seiner Kreuzzeitungsrichtung aus. In einem Convivium, welches in Veran¬ lassung eines glücklich bestandenen Nichterexamens von einem seiner Partei¬ genossen veranstaltet ward, feierte er die mecklenburgische Landesverfassung als das höchste Ideal einer Verfassung mit so überschwänglichen Worten, daß es selbst der anwesenden Gesellschaft zu stark aufgetragen erschien und von der¬ selben Widerspruch erhoben ward. Unter den Studenten bevorzugt er die Ari¬ stokratie und deren Genossen, und die Art. wie er mit diesen bei Trinkgelagen verkehrt und Dutzbrüderschaften eingeht, sowie seine sonstigen befremdend un- genirter gesellschaftlichen Gewohnheiten sollen selbst bei der Partei, als deren hervorragendsten Vorkämpfer er sich geltend machen möchte, bereits große Be¬ denken erregt haben. Daß man auch von ihm als künftigem Justizminister

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/486>, abgerufen am 23.07.2024.