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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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für die unteren und auch wohl für die mittleren Volksclassen durchaus nicht
gleichartig, wie die Marktpolitik (ich sage absichtlich nicht Marktpolizei) gehand¬
habt wird. Bekanntlich werden von den sogenannten Jahrmärkten, die wesent-
lich Fabrikatcnmärkte sind, die fremden Handwerker für den grösten Theil der
Dauer des Marktes ausgeschlossen. Ferner scheint gegenwärtig bisweilen die
Meinung herrschend zu werden, die offenen Jahrmärkte seien eine überflüssige
Belästigung des Verkehrs der Straßen und Plätze, und man geht daher mit
allmäligen Einschränkungen derselben vor. Durch derartige Beschränkungsma߬
regeln, die selbst in großen Städten kaum gerechtfertigt erscheinen, verschließt
man die einzige Möglichkeit eines billigen Einkaufs vieler Gattungen von Hand-
wcrkerarbeit. Man unterbricht den unmittelbaren Verkehr zwischen Producenten
und Consumenten und nöthigt zu einem sehr erheblichen Tribut an den an¬
sässigen Zwischenhändler, der sich natürlich nicht blos seine kostbare Laden¬
einrichtung bezahlen lassen muß, sondern auch seine Vermittlerrolle nach bei¬
den Seiten hin d. h. im Einkauf gegen die Producenten und im Verkauf
gegen die Consumenten gehörig ausbeutet. So geringfügig daher diese kleine
Marktpolitik der Städte auf den ersten Blick erscheinen mag, so hängt von ihr
doch ein Theil des Wohlstandes der weniger begüterten Classen ab, und sie ist
der volkswirthschaftlichen Beachtung durchaus nicht unwürdig. Es wäre zu
wünschen, daß einmal eine selbständige Lehre der städtischen Volkswirthschaft
in scharfer Trennung von den Gegenständen der allgemeinen politischen Öko¬
nomie ins Detail ausgeführt würde; eine solche Arbeit hätte offenbar jede
Andeutung des bestehenden Rechts zu benutzen, ja sogar auf die statutarischen
Bestimmungen, die in dem allgemeinen preußischen Stadtrecht nicht enthalten
sein können, näher einzugehen. -- Was die Armenpflege betrifft, so muß
uns eine übersichtliche und klare Darstellung des Armenrechts um so willkom¬
mener sein, als in diesem Gebiet die Reformen am dringendsten sind und wir
uns jedenfalls an der Schwelle einer umfassenden Umgestaltung befinden. Die
Armenpflege wird sich durchgängig mehr mit den Institutionen der wirthschaft¬
lichen Selbsthilfe zu verschmelzen haben, und grade auf dem Gebiet der letz¬
teren wird den Städten vielleicht eine erhebliche Mitwirkung zufallen. Wie
schon oben gesagt, möchte sich der Streit zwischen Selbsthilfe des Einzelnen
und Staatseinfluß, zwischen der politisch ungebundenen Selbstüberlassung der
Gesellschaft und den Eingriffen der politischen Functionen vielleicht einst durch
die Einschiebung der Gemeindegewalt zum Austrag bringen lassen. Alsdann
würden sich Armenpflege und AnHaltung zu Versicherungmaßregeln vereinigen
müssen, um dem wirthschaftlichen Ungemach Schranken zu setzen. Eine solche
Entwicklung der Dinge wäre aber freilich nur unter Voraussetzung einer Macht'
Steigerung der Gemeindegewalt möglich, wie sie sich bis jetzt nicht im Gering'
sten vorfindet.


für die unteren und auch wohl für die mittleren Volksclassen durchaus nicht
gleichartig, wie die Marktpolitik (ich sage absichtlich nicht Marktpolizei) gehand¬
habt wird. Bekanntlich werden von den sogenannten Jahrmärkten, die wesent-
lich Fabrikatcnmärkte sind, die fremden Handwerker für den grösten Theil der
Dauer des Marktes ausgeschlossen. Ferner scheint gegenwärtig bisweilen die
Meinung herrschend zu werden, die offenen Jahrmärkte seien eine überflüssige
Belästigung des Verkehrs der Straßen und Plätze, und man geht daher mit
allmäligen Einschränkungen derselben vor. Durch derartige Beschränkungsma߬
regeln, die selbst in großen Städten kaum gerechtfertigt erscheinen, verschließt
man die einzige Möglichkeit eines billigen Einkaufs vieler Gattungen von Hand-
wcrkerarbeit. Man unterbricht den unmittelbaren Verkehr zwischen Producenten
und Consumenten und nöthigt zu einem sehr erheblichen Tribut an den an¬
sässigen Zwischenhändler, der sich natürlich nicht blos seine kostbare Laden¬
einrichtung bezahlen lassen muß, sondern auch seine Vermittlerrolle nach bei¬
den Seiten hin d. h. im Einkauf gegen die Producenten und im Verkauf
gegen die Consumenten gehörig ausbeutet. So geringfügig daher diese kleine
Marktpolitik der Städte auf den ersten Blick erscheinen mag, so hängt von ihr
doch ein Theil des Wohlstandes der weniger begüterten Classen ab, und sie ist
der volkswirthschaftlichen Beachtung durchaus nicht unwürdig. Es wäre zu
wünschen, daß einmal eine selbständige Lehre der städtischen Volkswirthschaft
in scharfer Trennung von den Gegenständen der allgemeinen politischen Öko¬
nomie ins Detail ausgeführt würde; eine solche Arbeit hätte offenbar jede
Andeutung des bestehenden Rechts zu benutzen, ja sogar auf die statutarischen
Bestimmungen, die in dem allgemeinen preußischen Stadtrecht nicht enthalten
sein können, näher einzugehen. — Was die Armenpflege betrifft, so muß
uns eine übersichtliche und klare Darstellung des Armenrechts um so willkom¬
mener sein, als in diesem Gebiet die Reformen am dringendsten sind und wir
uns jedenfalls an der Schwelle einer umfassenden Umgestaltung befinden. Die
Armenpflege wird sich durchgängig mehr mit den Institutionen der wirthschaft¬
lichen Selbsthilfe zu verschmelzen haben, und grade auf dem Gebiet der letz¬
teren wird den Städten vielleicht eine erhebliche Mitwirkung zufallen. Wie
schon oben gesagt, möchte sich der Streit zwischen Selbsthilfe des Einzelnen
und Staatseinfluß, zwischen der politisch ungebundenen Selbstüberlassung der
Gesellschaft und den Eingriffen der politischen Functionen vielleicht einst durch
die Einschiebung der Gemeindegewalt zum Austrag bringen lassen. Alsdann
würden sich Armenpflege und AnHaltung zu Versicherungmaßregeln vereinigen
müssen, um dem wirthschaftlichen Ungemach Schranken zu setzen. Eine solche
Entwicklung der Dinge wäre aber freilich nur unter Voraussetzung einer Macht'
Steigerung der Gemeindegewalt möglich, wie sie sich bis jetzt nicht im Gering'
sten vorfindet.


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[0438] für die unteren und auch wohl für die mittleren Volksclassen durchaus nicht gleichartig, wie die Marktpolitik (ich sage absichtlich nicht Marktpolizei) gehand¬ habt wird. Bekanntlich werden von den sogenannten Jahrmärkten, die wesent- lich Fabrikatcnmärkte sind, die fremden Handwerker für den grösten Theil der Dauer des Marktes ausgeschlossen. Ferner scheint gegenwärtig bisweilen die Meinung herrschend zu werden, die offenen Jahrmärkte seien eine überflüssige Belästigung des Verkehrs der Straßen und Plätze, und man geht daher mit allmäligen Einschränkungen derselben vor. Durch derartige Beschränkungsma߬ regeln, die selbst in großen Städten kaum gerechtfertigt erscheinen, verschließt man die einzige Möglichkeit eines billigen Einkaufs vieler Gattungen von Hand- wcrkerarbeit. Man unterbricht den unmittelbaren Verkehr zwischen Producenten und Consumenten und nöthigt zu einem sehr erheblichen Tribut an den an¬ sässigen Zwischenhändler, der sich natürlich nicht blos seine kostbare Laden¬ einrichtung bezahlen lassen muß, sondern auch seine Vermittlerrolle nach bei¬ den Seiten hin d. h. im Einkauf gegen die Producenten und im Verkauf gegen die Consumenten gehörig ausbeutet. So geringfügig daher diese kleine Marktpolitik der Städte auf den ersten Blick erscheinen mag, so hängt von ihr doch ein Theil des Wohlstandes der weniger begüterten Classen ab, und sie ist der volkswirthschaftlichen Beachtung durchaus nicht unwürdig. Es wäre zu wünschen, daß einmal eine selbständige Lehre der städtischen Volkswirthschaft in scharfer Trennung von den Gegenständen der allgemeinen politischen Öko¬ nomie ins Detail ausgeführt würde; eine solche Arbeit hätte offenbar jede Andeutung des bestehenden Rechts zu benutzen, ja sogar auf die statutarischen Bestimmungen, die in dem allgemeinen preußischen Stadtrecht nicht enthalten sein können, näher einzugehen. — Was die Armenpflege betrifft, so muß uns eine übersichtliche und klare Darstellung des Armenrechts um so willkom¬ mener sein, als in diesem Gebiet die Reformen am dringendsten sind und wir uns jedenfalls an der Schwelle einer umfassenden Umgestaltung befinden. Die Armenpflege wird sich durchgängig mehr mit den Institutionen der wirthschaft¬ lichen Selbsthilfe zu verschmelzen haben, und grade auf dem Gebiet der letz¬ teren wird den Städten vielleicht eine erhebliche Mitwirkung zufallen. Wie schon oben gesagt, möchte sich der Streit zwischen Selbsthilfe des Einzelnen und Staatseinfluß, zwischen der politisch ungebundenen Selbstüberlassung der Gesellschaft und den Eingriffen der politischen Functionen vielleicht einst durch die Einschiebung der Gemeindegewalt zum Austrag bringen lassen. Alsdann würden sich Armenpflege und AnHaltung zu Versicherungmaßregeln vereinigen müssen, um dem wirthschaftlichen Ungemach Schranken zu setzen. Eine solche Entwicklung der Dinge wäre aber freilich nur unter Voraussetzung einer Macht' Steigerung der Gemeindegewalt möglich, wie sie sich bis jetzt nicht im Gering' sten vorfindet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/438>, abgerufen am 23.07.2024.