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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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denselben Weg einschlagen, auf welchem die Bearbeiter des deutschen Privat¬
rechtes zu einer einheitlichen Verschmelzung der particulären Rechte zu gelangen
suchen. Er hatte einerseits mit weniger, andererseits aber mit mehr Schwierig¬
keiten zu kämpfen. Wie schon gesagt, sind die Haupthindernisse in dem that¬
sächlichen Rechtszustande selbst zu suchen. Die Schwierigkeit der Aufgabe liegt
in den bereits oben angedeuteten Schicksalen der Gesetzgebung. Es verhält sich
mit einer principiellen Durcharbeitung des preußischen Städterechtes ähnlich,
wenn auch vielleicht nicht ganz so schlimm, wie mit einer wissenschaftlichen Auf¬
fassung des römischen Erbrechtes der späteren Kaiserzeit. Das alte Erbrecht
beruhte auf dem Princip der Agnation und wurde allmälig von Einzelbestim¬
mungen aus dem Gesichtspunkte der bloßen Blutsverwandtschaft durchbrochen,
und so eine Principlosigkeit unvermeidlich, welche die größte Auslegungsvirtuo¬
sität (selbst bei dem besten Willen des Interpreten) zu Schanden werden
ließ. Alle Rechtszustände einer Uebergangsepoche, in welcher unverein¬
bare Principien zu Compromissen nöthigen, werden stets der wissenschaftlichen
Verschmelzungsversuche spotten. Nun ist freilich die Beschaffenheit unseres
Städterechts nicht ganz und gar nach der Analogie jenes römischen Erbrechts
zu beurtheilen. Die Grundsätze, welche die Steinsche Reform leiteten, sind
wenigstens in vielen Thatsachen verkörpert, und konnten daher nicht allzusehr
durchbrochen werden. Dennoch ist das Schwanken der Gesetzgebung einer wohl
gegliederten principiellen Gestaltung der Thatsachen wahrlich nicht günstig ge¬
wesen. Viermal, um mit den eigenen Worten des Verfassers zu reden, hat
man die Grenzen zwischen der Staats- und der Gemeindegewalt verschieden
gezogen. Ein solches Experimentiren oder, vielleicht besser gesagt, Laviren
führt nothwendig zu Gestaltungen, an denen die entgegengesetztesten Grundsätze
ihren Antheil haben, und die daher für eine wissenschaftliche Auffassung wenig
lockend sind. Nur was aus einheitlichen Antrieben hervorgegangen ist, kann
das Gepräge einer harmonischen Gliederung an sich tragen, und nur das
organisch gegliederte Gebilde, welches von einer principiellen Einheit durch¬
drungen ist, gestattet der Wissenschaft eine höhere Bethätigungsart. Wie will
Man Konsequenzen ziehen, wie Auslegungen und Ergänzungen der Gesetze vor¬
nehmen, wenn man nicht weiß, an welche leitende Normen man sich halten
soll? Schon unser allgemeines Staatsrecht krankt nach dieser Seite hin erheblich;
denn die Herbeiziehung eines allgemeinen, gleichsam aus den Particularver-
fassungen der einzelnen Staaten gewonnenen Subsidiarrechtes ist nicht leicht thun-
lich. wenn eine Verfassung so zu sagen ihre eigenen wunderlichen Compromißprin-
cwien in den Weg stellt, d. h. wenn sich enthüllt, daß ihr ein'principieller Schwer¬
punkt in der That fehle. Ein solcher Schwerpunkt fehlt nun aber noch weit mehr im
Gebiet des Städterechts, und außerdem kommt hier noch der die Schwierigkeit
sehr vergrößernde Umstand hinzu, daß das Städterecht oft weit unter dem bereits


denselben Weg einschlagen, auf welchem die Bearbeiter des deutschen Privat¬
rechtes zu einer einheitlichen Verschmelzung der particulären Rechte zu gelangen
suchen. Er hatte einerseits mit weniger, andererseits aber mit mehr Schwierig¬
keiten zu kämpfen. Wie schon gesagt, sind die Haupthindernisse in dem that¬
sächlichen Rechtszustande selbst zu suchen. Die Schwierigkeit der Aufgabe liegt
in den bereits oben angedeuteten Schicksalen der Gesetzgebung. Es verhält sich
mit einer principiellen Durcharbeitung des preußischen Städterechtes ähnlich,
wenn auch vielleicht nicht ganz so schlimm, wie mit einer wissenschaftlichen Auf¬
fassung des römischen Erbrechtes der späteren Kaiserzeit. Das alte Erbrecht
beruhte auf dem Princip der Agnation und wurde allmälig von Einzelbestim¬
mungen aus dem Gesichtspunkte der bloßen Blutsverwandtschaft durchbrochen,
und so eine Principlosigkeit unvermeidlich, welche die größte Auslegungsvirtuo¬
sität (selbst bei dem besten Willen des Interpreten) zu Schanden werden
ließ. Alle Rechtszustände einer Uebergangsepoche, in welcher unverein¬
bare Principien zu Compromissen nöthigen, werden stets der wissenschaftlichen
Verschmelzungsversuche spotten. Nun ist freilich die Beschaffenheit unseres
Städterechts nicht ganz und gar nach der Analogie jenes römischen Erbrechts
zu beurtheilen. Die Grundsätze, welche die Steinsche Reform leiteten, sind
wenigstens in vielen Thatsachen verkörpert, und konnten daher nicht allzusehr
durchbrochen werden. Dennoch ist das Schwanken der Gesetzgebung einer wohl
gegliederten principiellen Gestaltung der Thatsachen wahrlich nicht günstig ge¬
wesen. Viermal, um mit den eigenen Worten des Verfassers zu reden, hat
man die Grenzen zwischen der Staats- und der Gemeindegewalt verschieden
gezogen. Ein solches Experimentiren oder, vielleicht besser gesagt, Laviren
führt nothwendig zu Gestaltungen, an denen die entgegengesetztesten Grundsätze
ihren Antheil haben, und die daher für eine wissenschaftliche Auffassung wenig
lockend sind. Nur was aus einheitlichen Antrieben hervorgegangen ist, kann
das Gepräge einer harmonischen Gliederung an sich tragen, und nur das
organisch gegliederte Gebilde, welches von einer principiellen Einheit durch¬
drungen ist, gestattet der Wissenschaft eine höhere Bethätigungsart. Wie will
Man Konsequenzen ziehen, wie Auslegungen und Ergänzungen der Gesetze vor¬
nehmen, wenn man nicht weiß, an welche leitende Normen man sich halten
soll? Schon unser allgemeines Staatsrecht krankt nach dieser Seite hin erheblich;
denn die Herbeiziehung eines allgemeinen, gleichsam aus den Particularver-
fassungen der einzelnen Staaten gewonnenen Subsidiarrechtes ist nicht leicht thun-
lich. wenn eine Verfassung so zu sagen ihre eigenen wunderlichen Compromißprin-
cwien in den Weg stellt, d. h. wenn sich enthüllt, daß ihr ein'principieller Schwer¬
punkt in der That fehle. Ein solcher Schwerpunkt fehlt nun aber noch weit mehr im
Gebiet des Städterechts, und außerdem kommt hier noch der die Schwierigkeit
sehr vergrößernde Umstand hinzu, daß das Städterecht oft weit unter dem bereits


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[0431] denselben Weg einschlagen, auf welchem die Bearbeiter des deutschen Privat¬ rechtes zu einer einheitlichen Verschmelzung der particulären Rechte zu gelangen suchen. Er hatte einerseits mit weniger, andererseits aber mit mehr Schwierig¬ keiten zu kämpfen. Wie schon gesagt, sind die Haupthindernisse in dem that¬ sächlichen Rechtszustande selbst zu suchen. Die Schwierigkeit der Aufgabe liegt in den bereits oben angedeuteten Schicksalen der Gesetzgebung. Es verhält sich mit einer principiellen Durcharbeitung des preußischen Städterechtes ähnlich, wenn auch vielleicht nicht ganz so schlimm, wie mit einer wissenschaftlichen Auf¬ fassung des römischen Erbrechtes der späteren Kaiserzeit. Das alte Erbrecht beruhte auf dem Princip der Agnation und wurde allmälig von Einzelbestim¬ mungen aus dem Gesichtspunkte der bloßen Blutsverwandtschaft durchbrochen, und so eine Principlosigkeit unvermeidlich, welche die größte Auslegungsvirtuo¬ sität (selbst bei dem besten Willen des Interpreten) zu Schanden werden ließ. Alle Rechtszustände einer Uebergangsepoche, in welcher unverein¬ bare Principien zu Compromissen nöthigen, werden stets der wissenschaftlichen Verschmelzungsversuche spotten. Nun ist freilich die Beschaffenheit unseres Städterechts nicht ganz und gar nach der Analogie jenes römischen Erbrechts zu beurtheilen. Die Grundsätze, welche die Steinsche Reform leiteten, sind wenigstens in vielen Thatsachen verkörpert, und konnten daher nicht allzusehr durchbrochen werden. Dennoch ist das Schwanken der Gesetzgebung einer wohl gegliederten principiellen Gestaltung der Thatsachen wahrlich nicht günstig ge¬ wesen. Viermal, um mit den eigenen Worten des Verfassers zu reden, hat man die Grenzen zwischen der Staats- und der Gemeindegewalt verschieden gezogen. Ein solches Experimentiren oder, vielleicht besser gesagt, Laviren führt nothwendig zu Gestaltungen, an denen die entgegengesetztesten Grundsätze ihren Antheil haben, und die daher für eine wissenschaftliche Auffassung wenig lockend sind. Nur was aus einheitlichen Antrieben hervorgegangen ist, kann das Gepräge einer harmonischen Gliederung an sich tragen, und nur das organisch gegliederte Gebilde, welches von einer principiellen Einheit durch¬ drungen ist, gestattet der Wissenschaft eine höhere Bethätigungsart. Wie will Man Konsequenzen ziehen, wie Auslegungen und Ergänzungen der Gesetze vor¬ nehmen, wenn man nicht weiß, an welche leitende Normen man sich halten soll? Schon unser allgemeines Staatsrecht krankt nach dieser Seite hin erheblich; denn die Herbeiziehung eines allgemeinen, gleichsam aus den Particularver- fassungen der einzelnen Staaten gewonnenen Subsidiarrechtes ist nicht leicht thun- lich. wenn eine Verfassung so zu sagen ihre eigenen wunderlichen Compromißprin- cwien in den Weg stellt, d. h. wenn sich enthüllt, daß ihr ein'principieller Schwer¬ punkt in der That fehle. Ein solcher Schwerpunkt fehlt nun aber noch weit mehr im Gebiet des Städterechts, und außerdem kommt hier noch der die Schwierigkeit sehr vergrößernde Umstand hinzu, daß das Städterecht oft weit unter dem bereits

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/431>, abgerufen am 23.07.2024.