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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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nationalen Machtfrage den Groll der Partei zu vergessen. Es ist die alte nieder¬
schlagende Erfahrung: so lange beim schäumenden Becher gesungen und geredet
wird, scheinen wir eine Nation; kommt es zum Handeln, so sind wir unser
dreiunddreißig!

Noch ein Wort an meinen Gegner persönlich. Vor einigen Wochen über¬
raschte uns Herr Biedermann durch die Bemerkung, das Verbot der Deutschen
Allgemeinen Zeitung in den vierziger Jahren bezeichne einen Wendepunkt in der
Geschichte Preußens; er knüpfte daran die Vermuthung, das wiederholte Ver¬
bot des Blattes im Jahre 1864 werde abermals verhängnißvoll werden für
den norddeutschen Großstaat. Ich halte die Deutsche Allgemeine Zeitung für
ein sehr ehrenwerthes Blatt; jedoch ob wirklich ein so inniger Zusammenhang
besteht zwischen den polizeilichen Erlebnissen desselben und den Geschicken Preu¬
ßens -- über diese Frage ist die historische Kritik zu einem abschließenden Ur¬
theile noch nicht gelangt. Wer mit so hoch gesteigertem Selbstgefühl aus lus-
tiger Höhe auf seine Gegner schaut, dem widerfahren leicht ärgerliche kleine Un-
genauigkeiten. Hätte z. B. Herr Biedermann es der Mühe werth gesunden,
meinen Namen zu lesen, so würde er mich nicht hartnäckig mit einem meiner
Verwandten verwechselt haben, der an meinen politischen Sünden schuldlos ist.
Auch ist es im gesitteten politischen Streite nicht üblich, dem Gegner "herzliches
Mitleid" auszusprechen. Ich wenigstens bedaure, diese christliche Empfindung
des Herrn Biedermann nicht annehmen zu können.

Jene Leser der Deutschen Allgemeinen Zeitung in Leipzig, welche sich noch
mit einiger Theilnahme meiner erinnern, bitte ich einfach, meine kleine Schrift
selber zu lesen. Dann werden sie finden, daß die Deutsche Allgemeine Zeitung
ein unrichtiges Bild von dem Aufsatze gegeben hat. Dann werden sie auch
begreifen, warum ich für die Zukunft darauf verzichte, mit Herrn Biedermann
einen literarischen Straus auszufechten.


Heinrich von Treitschke.


nationalen Machtfrage den Groll der Partei zu vergessen. Es ist die alte nieder¬
schlagende Erfahrung: so lange beim schäumenden Becher gesungen und geredet
wird, scheinen wir eine Nation; kommt es zum Handeln, so sind wir unser
dreiunddreißig!

Noch ein Wort an meinen Gegner persönlich. Vor einigen Wochen über¬
raschte uns Herr Biedermann durch die Bemerkung, das Verbot der Deutschen
Allgemeinen Zeitung in den vierziger Jahren bezeichne einen Wendepunkt in der
Geschichte Preußens; er knüpfte daran die Vermuthung, das wiederholte Ver¬
bot des Blattes im Jahre 1864 werde abermals verhängnißvoll werden für
den norddeutschen Großstaat. Ich halte die Deutsche Allgemeine Zeitung für
ein sehr ehrenwerthes Blatt; jedoch ob wirklich ein so inniger Zusammenhang
besteht zwischen den polizeilichen Erlebnissen desselben und den Geschicken Preu¬
ßens — über diese Frage ist die historische Kritik zu einem abschließenden Ur¬
theile noch nicht gelangt. Wer mit so hoch gesteigertem Selbstgefühl aus lus-
tiger Höhe auf seine Gegner schaut, dem widerfahren leicht ärgerliche kleine Un-
genauigkeiten. Hätte z. B. Herr Biedermann es der Mühe werth gesunden,
meinen Namen zu lesen, so würde er mich nicht hartnäckig mit einem meiner
Verwandten verwechselt haben, der an meinen politischen Sünden schuldlos ist.
Auch ist es im gesitteten politischen Streite nicht üblich, dem Gegner „herzliches
Mitleid" auszusprechen. Ich wenigstens bedaure, diese christliche Empfindung
des Herrn Biedermann nicht annehmen zu können.

Jene Leser der Deutschen Allgemeinen Zeitung in Leipzig, welche sich noch
mit einiger Theilnahme meiner erinnern, bitte ich einfach, meine kleine Schrift
selber zu lesen. Dann werden sie finden, daß die Deutsche Allgemeine Zeitung
ein unrichtiges Bild von dem Aufsatze gegeben hat. Dann werden sie auch
begreifen, warum ich für die Zukunft darauf verzichte, mit Herrn Biedermann
einen literarischen Straus auszufechten.


Heinrich von Treitschke.


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[0422] nationalen Machtfrage den Groll der Partei zu vergessen. Es ist die alte nieder¬ schlagende Erfahrung: so lange beim schäumenden Becher gesungen und geredet wird, scheinen wir eine Nation; kommt es zum Handeln, so sind wir unser dreiunddreißig! Noch ein Wort an meinen Gegner persönlich. Vor einigen Wochen über¬ raschte uns Herr Biedermann durch die Bemerkung, das Verbot der Deutschen Allgemeinen Zeitung in den vierziger Jahren bezeichne einen Wendepunkt in der Geschichte Preußens; er knüpfte daran die Vermuthung, das wiederholte Ver¬ bot des Blattes im Jahre 1864 werde abermals verhängnißvoll werden für den norddeutschen Großstaat. Ich halte die Deutsche Allgemeine Zeitung für ein sehr ehrenwerthes Blatt; jedoch ob wirklich ein so inniger Zusammenhang besteht zwischen den polizeilichen Erlebnissen desselben und den Geschicken Preu¬ ßens — über diese Frage ist die historische Kritik zu einem abschließenden Ur¬ theile noch nicht gelangt. Wer mit so hoch gesteigertem Selbstgefühl aus lus- tiger Höhe auf seine Gegner schaut, dem widerfahren leicht ärgerliche kleine Un- genauigkeiten. Hätte z. B. Herr Biedermann es der Mühe werth gesunden, meinen Namen zu lesen, so würde er mich nicht hartnäckig mit einem meiner Verwandten verwechselt haben, der an meinen politischen Sünden schuldlos ist. Auch ist es im gesitteten politischen Streite nicht üblich, dem Gegner „herzliches Mitleid" auszusprechen. Ich wenigstens bedaure, diese christliche Empfindung des Herrn Biedermann nicht annehmen zu können. Jene Leser der Deutschen Allgemeinen Zeitung in Leipzig, welche sich noch mit einiger Theilnahme meiner erinnern, bitte ich einfach, meine kleine Schrift selber zu lesen. Dann werden sie finden, daß die Deutsche Allgemeine Zeitung ein unrichtiges Bild von dem Aufsatze gegeben hat. Dann werden sie auch begreifen, warum ich für die Zukunft darauf verzichte, mit Herrn Biedermann einen literarischen Straus auszufechten. Heinrich von Treitschke.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/422>, abgerufen am 23.07.2024.