Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Einsicht und ihrem künstlerischen Sinn nicht untreu werden wollten, unter
der Herrschaft des "neuen Stils" brach liegen mußte, so bietet sich jetzt
die beste Gelegenheit, ihr Talent und ihre Arbeit dem Staate und der
Kunst wieder zuzuführen. Auch das steht zu hoffen, daß der Sinn des
jungen Königs der bureaukratischen Engherzigkeit, welche alle öffentlichen
Bauten blos nach dem Maßstab des greifbaren Nutzens errichten möchte und
keine Ahnung hat von der Wirkung der monumentalen Kunst auf die Gesittung
des ganzes Volkes, nun das Handwerk lege. Daß gerade für eine solche Bil¬
dungsanstalt, w elche darauf ausgeht, durch geistige Beherrschung der natürlichen
Kräfte und Mittel die allgemeine Wohlfahrt und Cultur sowohl zu steigern als
auszubreiten, die Bauweise der Renaissance wie geschaffen ist und ihre künstle¬
rischen Formen, mit einer gewissen Ruhe und Würde behandelt, den wahren
Ausdruck abgeben, das haben schon die Polytechniker von Zürich und Stutt¬
gart bewiesen.

Auch dafür bedarf es keiner weiteren Worte, daß der Kirchenbau unserer
Zeit nur in diesem Stile Werke von eigenthümlicher Art und edler lebendiger Wir¬
kung hervorbringen kann. Was in dieser Beziehung die Bramante und San
Gottl in Italien geschaffen haben, hat in unserem Jahrhundert noch zu wenig
Nachahmung gefunden. Hier bietet sich für den phantasievollen Architekten eine
neue schöne Aufgabe. Und wie allein die Bauart der Renaissance die Stätte
des Cultus für die gegenwärtige, vorgeschrittene Auffassung des Christenthums,
für unser Gefühl der die Natur einschließenden Gemeinschaft von Gott und
Welt zu gestalten vermag: so kann allein ihr weltlicher, breit hingelagerter, in
dem Zusammenwirken von Massen und selbständigen Kräften sich aufbauender
Charakter der modernen Stätte unseres politischen Lebens, dem Ständehaus,
die wahre Form geben. -- Eine schöne Zukunft für die monumentale Architek'
tur in München. Und da kein Baustil so wie jener zur Vollendung seiner
Werke die harmonische Mitwirkung der Schwesterkünste voraussetzt, welche Hoff¬
nungen für einen neuen Aufschwung der Plastik -- die dessen, wie wir bald
sehen werden, gar sehr bedarf -- und der monumentalen Malerei. --


^.


Einsicht und ihrem künstlerischen Sinn nicht untreu werden wollten, unter
der Herrschaft des „neuen Stils" brach liegen mußte, so bietet sich jetzt
die beste Gelegenheit, ihr Talent und ihre Arbeit dem Staate und der
Kunst wieder zuzuführen. Auch das steht zu hoffen, daß der Sinn des
jungen Königs der bureaukratischen Engherzigkeit, welche alle öffentlichen
Bauten blos nach dem Maßstab des greifbaren Nutzens errichten möchte und
keine Ahnung hat von der Wirkung der monumentalen Kunst auf die Gesittung
des ganzes Volkes, nun das Handwerk lege. Daß gerade für eine solche Bil¬
dungsanstalt, w elche darauf ausgeht, durch geistige Beherrschung der natürlichen
Kräfte und Mittel die allgemeine Wohlfahrt und Cultur sowohl zu steigern als
auszubreiten, die Bauweise der Renaissance wie geschaffen ist und ihre künstle¬
rischen Formen, mit einer gewissen Ruhe und Würde behandelt, den wahren
Ausdruck abgeben, das haben schon die Polytechniker von Zürich und Stutt¬
gart bewiesen.

Auch dafür bedarf es keiner weiteren Worte, daß der Kirchenbau unserer
Zeit nur in diesem Stile Werke von eigenthümlicher Art und edler lebendiger Wir¬
kung hervorbringen kann. Was in dieser Beziehung die Bramante und San
Gottl in Italien geschaffen haben, hat in unserem Jahrhundert noch zu wenig
Nachahmung gefunden. Hier bietet sich für den phantasievollen Architekten eine
neue schöne Aufgabe. Und wie allein die Bauart der Renaissance die Stätte
des Cultus für die gegenwärtige, vorgeschrittene Auffassung des Christenthums,
für unser Gefühl der die Natur einschließenden Gemeinschaft von Gott und
Welt zu gestalten vermag: so kann allein ihr weltlicher, breit hingelagerter, in
dem Zusammenwirken von Massen und selbständigen Kräften sich aufbauender
Charakter der modernen Stätte unseres politischen Lebens, dem Ständehaus,
die wahre Form geben. — Eine schöne Zukunft für die monumentale Architek'
tur in München. Und da kein Baustil so wie jener zur Vollendung seiner
Werke die harmonische Mitwirkung der Schwesterkünste voraussetzt, welche Hoff¬
nungen für einen neuen Aufschwung der Plastik — die dessen, wie wir bald
sehen werden, gar sehr bedarf — und der monumentalen Malerei. —


^.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0374" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/282615"/>
          <p xml:id="ID_1040" prev="#ID_1039"> Einsicht und ihrem künstlerischen Sinn nicht untreu werden wollten, unter<lb/>
der Herrschaft des &#x201E;neuen Stils" brach liegen mußte, so bietet sich jetzt<lb/>
die beste Gelegenheit, ihr Talent und ihre Arbeit dem Staate und der<lb/>
Kunst wieder zuzuführen. Auch das steht zu hoffen, daß der Sinn des<lb/>
jungen Königs der bureaukratischen Engherzigkeit, welche alle öffentlichen<lb/>
Bauten blos nach dem Maßstab des greifbaren Nutzens errichten möchte und<lb/>
keine Ahnung hat von der Wirkung der monumentalen Kunst auf die Gesittung<lb/>
des ganzes Volkes, nun das Handwerk lege. Daß gerade für eine solche Bil¬<lb/>
dungsanstalt, w elche darauf ausgeht, durch geistige Beherrschung der natürlichen<lb/>
Kräfte und Mittel die allgemeine Wohlfahrt und Cultur sowohl zu steigern als<lb/>
auszubreiten, die Bauweise der Renaissance wie geschaffen ist und ihre künstle¬<lb/>
rischen Formen, mit einer gewissen Ruhe und Würde behandelt, den wahren<lb/>
Ausdruck abgeben, das haben schon die Polytechniker von Zürich und Stutt¬<lb/>
gart bewiesen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1041"> Auch dafür bedarf es keiner weiteren Worte, daß der Kirchenbau unserer<lb/>
Zeit nur in diesem Stile Werke von eigenthümlicher Art und edler lebendiger Wir¬<lb/>
kung hervorbringen kann. Was in dieser Beziehung die Bramante und San<lb/>
Gottl in Italien geschaffen haben, hat in unserem Jahrhundert noch zu wenig<lb/>
Nachahmung gefunden. Hier bietet sich für den phantasievollen Architekten eine<lb/>
neue schöne Aufgabe. Und wie allein die Bauart der Renaissance die Stätte<lb/>
des Cultus für die gegenwärtige, vorgeschrittene Auffassung des Christenthums,<lb/>
für unser Gefühl der die Natur einschließenden Gemeinschaft von Gott und<lb/>
Welt zu gestalten vermag: so kann allein ihr weltlicher, breit hingelagerter, in<lb/>
dem Zusammenwirken von Massen und selbständigen Kräften sich aufbauender<lb/>
Charakter der modernen Stätte unseres politischen Lebens, dem Ständehaus,<lb/>
die wahre Form geben. &#x2014; Eine schöne Zukunft für die monumentale Architek'<lb/>
tur in München. Und da kein Baustil so wie jener zur Vollendung seiner<lb/>
Werke die harmonische Mitwirkung der Schwesterkünste voraussetzt, welche Hoff¬<lb/>
nungen für einen neuen Aufschwung der Plastik &#x2014; die dessen, wie wir bald<lb/>
sehen werden, gar sehr bedarf &#x2014; und der monumentalen Malerei. &#x2014;</p><lb/>
          <note type="byline"> ^.</note><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0374] Einsicht und ihrem künstlerischen Sinn nicht untreu werden wollten, unter der Herrschaft des „neuen Stils" brach liegen mußte, so bietet sich jetzt die beste Gelegenheit, ihr Talent und ihre Arbeit dem Staate und der Kunst wieder zuzuführen. Auch das steht zu hoffen, daß der Sinn des jungen Königs der bureaukratischen Engherzigkeit, welche alle öffentlichen Bauten blos nach dem Maßstab des greifbaren Nutzens errichten möchte und keine Ahnung hat von der Wirkung der monumentalen Kunst auf die Gesittung des ganzes Volkes, nun das Handwerk lege. Daß gerade für eine solche Bil¬ dungsanstalt, w elche darauf ausgeht, durch geistige Beherrschung der natürlichen Kräfte und Mittel die allgemeine Wohlfahrt und Cultur sowohl zu steigern als auszubreiten, die Bauweise der Renaissance wie geschaffen ist und ihre künstle¬ rischen Formen, mit einer gewissen Ruhe und Würde behandelt, den wahren Ausdruck abgeben, das haben schon die Polytechniker von Zürich und Stutt¬ gart bewiesen. Auch dafür bedarf es keiner weiteren Worte, daß der Kirchenbau unserer Zeit nur in diesem Stile Werke von eigenthümlicher Art und edler lebendiger Wir¬ kung hervorbringen kann. Was in dieser Beziehung die Bramante und San Gottl in Italien geschaffen haben, hat in unserem Jahrhundert noch zu wenig Nachahmung gefunden. Hier bietet sich für den phantasievollen Architekten eine neue schöne Aufgabe. Und wie allein die Bauart der Renaissance die Stätte des Cultus für die gegenwärtige, vorgeschrittene Auffassung des Christenthums, für unser Gefühl der die Natur einschließenden Gemeinschaft von Gott und Welt zu gestalten vermag: so kann allein ihr weltlicher, breit hingelagerter, in dem Zusammenwirken von Massen und selbständigen Kräften sich aufbauender Charakter der modernen Stätte unseres politischen Lebens, dem Ständehaus, die wahre Form geben. — Eine schöne Zukunft für die monumentale Architek' tur in München. Und da kein Baustil so wie jener zur Vollendung seiner Werke die harmonische Mitwirkung der Schwesterkünste voraussetzt, welche Hoff¬ nungen für einen neuen Aufschwung der Plastik — die dessen, wie wir bald sehen werden, gar sehr bedarf — und der monumentalen Malerei. — ^.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/374
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/374>, abgerufen am 23.07.2024.