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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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zu waltenden Leitern des Staats keine ^unnahbaren Götter bestellt sind,
sondern nur menschlich denkende Vertreter des großen Ganzen, dem es selber
angehört.

Doch wir wollen den Leser nicht länger mit den einzelnen Zügen des
"modernen Stils" ermüden. Ermüdend ist ohnedem der Anblick dieser Archi¬
tektur, die trotz ihrer Vermischung verschiedener Formen durch die langweilige
Wiederholung ihrer magern, ausdruckslosen Hauptmotive und ihres ärmlichen
Flitters auf den ausgerecktem Wänden von verzehrender Eintönigkeit ist. Bei
dieser öden Gestaltlosigkeit ist es unnütz, noch von der Art zu reden, mit der
Arkaden und Gänge durch einen bunten decorativer Anstrich aufgeputzt sind.
Die Polychromie, von der noch die Rede sein wird, ist gleichsam die feine
Blüthe der architektonischen Kunst, welche den letzten vollendenden warmen
Hauch des Lebens über sie ausgießt, mit der sie als beseelte leuchtende Gestalt
in die farbenglänzende Welt tritt; zugleich läßt sie die Kraft der dienenden
Glieder in den freien körperlichen Schein des Malerischen gleichsam ausklingen.
Wie sollte jene Münchener Bauart zu einer solchen Polychromie kommen. Daß
sie das Wenige, was sie an farbigem Schmuck aufwendet, dem mit Schablonen
hantierenden Zimmermaler überläßt, das ist nur eine natürliche Folge ihres
ganzen Systems. In derselben äußerlichen Weise behandelt sie die plastische
Ausstattung; auch diese wird, wie jene Artikel ausgeführt haben, den Mauern
nach Willkür angeklebt oder aufgesetzt, ohne inneren harmonischen Bezug auf
die bauliche Gestalt, ohne ausdrucksvollen Zusammenhang mit den architek¬
tonischen Formen. Losgelassen von diesem Gesetze zeigt denn auch das plastische
Gebilde, ohnedem formlos und die menschliche Gestalt verrenkend, eine leere
willkürliche Auffassung und eine charakterlose Schwäche der Behandlung. --

Der innere Widersinn, der in dem abenteuerlichen Gedanken liegt, einen
neuen Baustil durch Zusammensetzung finden zu wollen, ist in der Maximilians¬
straße schlagend zu Tag getreten. Neue Formen zu entdecken, darauf haben
natürlich ihre Baumeister verzichtet. Geht man den verschiedenen Stilen, welche
die geschichtliche Entwicklung der Architektur bilden, auf den Grund, verfolgt
man sie rückwärts von ihrer Ausbildung zu ihrem Ursprünge: so zeigt sich
jedesmal, daß ihre Formen auf unscheinbare Anfänge zurückgehen, in denen
sie, wie die Pflanze im verschlossenen Keim, kaum erst angedeutet sind. Dem
langsamen Gange der Zeit, dem Fortschritt des ganzen Culturlebens, einer sich
aneinanderreihenden Kette von Kräften und Geschlechtern ist ihre Entfaltung
und Vollendung überlassen. In dieser Entwicklung geht immer Beides Hand
in Hand: das Gesetz der Construction und die künstlerische Ausbildung; auch
diese folgt dem großen objectiven Gang der Geschichte und läßt so der Willkür
des Einzelnen nur geringen Spielraum. Dabei ist dieser fortlaufende Gang
der Baukunst mannigfach verschlungen, indem die spätere Bauart alle die Ele"


zu waltenden Leitern des Staats keine ^unnahbaren Götter bestellt sind,
sondern nur menschlich denkende Vertreter des großen Ganzen, dem es selber
angehört.

Doch wir wollen den Leser nicht länger mit den einzelnen Zügen des
„modernen Stils" ermüden. Ermüdend ist ohnedem der Anblick dieser Archi¬
tektur, die trotz ihrer Vermischung verschiedener Formen durch die langweilige
Wiederholung ihrer magern, ausdruckslosen Hauptmotive und ihres ärmlichen
Flitters auf den ausgerecktem Wänden von verzehrender Eintönigkeit ist. Bei
dieser öden Gestaltlosigkeit ist es unnütz, noch von der Art zu reden, mit der
Arkaden und Gänge durch einen bunten decorativer Anstrich aufgeputzt sind.
Die Polychromie, von der noch die Rede sein wird, ist gleichsam die feine
Blüthe der architektonischen Kunst, welche den letzten vollendenden warmen
Hauch des Lebens über sie ausgießt, mit der sie als beseelte leuchtende Gestalt
in die farbenglänzende Welt tritt; zugleich läßt sie die Kraft der dienenden
Glieder in den freien körperlichen Schein des Malerischen gleichsam ausklingen.
Wie sollte jene Münchener Bauart zu einer solchen Polychromie kommen. Daß
sie das Wenige, was sie an farbigem Schmuck aufwendet, dem mit Schablonen
hantierenden Zimmermaler überläßt, das ist nur eine natürliche Folge ihres
ganzen Systems. In derselben äußerlichen Weise behandelt sie die plastische
Ausstattung; auch diese wird, wie jene Artikel ausgeführt haben, den Mauern
nach Willkür angeklebt oder aufgesetzt, ohne inneren harmonischen Bezug auf
die bauliche Gestalt, ohne ausdrucksvollen Zusammenhang mit den architek¬
tonischen Formen. Losgelassen von diesem Gesetze zeigt denn auch das plastische
Gebilde, ohnedem formlos und die menschliche Gestalt verrenkend, eine leere
willkürliche Auffassung und eine charakterlose Schwäche der Behandlung. —

Der innere Widersinn, der in dem abenteuerlichen Gedanken liegt, einen
neuen Baustil durch Zusammensetzung finden zu wollen, ist in der Maximilians¬
straße schlagend zu Tag getreten. Neue Formen zu entdecken, darauf haben
natürlich ihre Baumeister verzichtet. Geht man den verschiedenen Stilen, welche
die geschichtliche Entwicklung der Architektur bilden, auf den Grund, verfolgt
man sie rückwärts von ihrer Ausbildung zu ihrem Ursprünge: so zeigt sich
jedesmal, daß ihre Formen auf unscheinbare Anfänge zurückgehen, in denen
sie, wie die Pflanze im verschlossenen Keim, kaum erst angedeutet sind. Dem
langsamen Gange der Zeit, dem Fortschritt des ganzen Culturlebens, einer sich
aneinanderreihenden Kette von Kräften und Geschlechtern ist ihre Entfaltung
und Vollendung überlassen. In dieser Entwicklung geht immer Beides Hand
in Hand: das Gesetz der Construction und die künstlerische Ausbildung; auch
diese folgt dem großen objectiven Gang der Geschichte und läßt so der Willkür
des Einzelnen nur geringen Spielraum. Dabei ist dieser fortlaufende Gang
der Baukunst mannigfach verschlungen, indem die spätere Bauart alle die Ele»


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[0366] zu waltenden Leitern des Staats keine ^unnahbaren Götter bestellt sind, sondern nur menschlich denkende Vertreter des großen Ganzen, dem es selber angehört. Doch wir wollen den Leser nicht länger mit den einzelnen Zügen des „modernen Stils" ermüden. Ermüdend ist ohnedem der Anblick dieser Archi¬ tektur, die trotz ihrer Vermischung verschiedener Formen durch die langweilige Wiederholung ihrer magern, ausdruckslosen Hauptmotive und ihres ärmlichen Flitters auf den ausgerecktem Wänden von verzehrender Eintönigkeit ist. Bei dieser öden Gestaltlosigkeit ist es unnütz, noch von der Art zu reden, mit der Arkaden und Gänge durch einen bunten decorativer Anstrich aufgeputzt sind. Die Polychromie, von der noch die Rede sein wird, ist gleichsam die feine Blüthe der architektonischen Kunst, welche den letzten vollendenden warmen Hauch des Lebens über sie ausgießt, mit der sie als beseelte leuchtende Gestalt in die farbenglänzende Welt tritt; zugleich läßt sie die Kraft der dienenden Glieder in den freien körperlichen Schein des Malerischen gleichsam ausklingen. Wie sollte jene Münchener Bauart zu einer solchen Polychromie kommen. Daß sie das Wenige, was sie an farbigem Schmuck aufwendet, dem mit Schablonen hantierenden Zimmermaler überläßt, das ist nur eine natürliche Folge ihres ganzen Systems. In derselben äußerlichen Weise behandelt sie die plastische Ausstattung; auch diese wird, wie jene Artikel ausgeführt haben, den Mauern nach Willkür angeklebt oder aufgesetzt, ohne inneren harmonischen Bezug auf die bauliche Gestalt, ohne ausdrucksvollen Zusammenhang mit den architek¬ tonischen Formen. Losgelassen von diesem Gesetze zeigt denn auch das plastische Gebilde, ohnedem formlos und die menschliche Gestalt verrenkend, eine leere willkürliche Auffassung und eine charakterlose Schwäche der Behandlung. — Der innere Widersinn, der in dem abenteuerlichen Gedanken liegt, einen neuen Baustil durch Zusammensetzung finden zu wollen, ist in der Maximilians¬ straße schlagend zu Tag getreten. Neue Formen zu entdecken, darauf haben natürlich ihre Baumeister verzichtet. Geht man den verschiedenen Stilen, welche die geschichtliche Entwicklung der Architektur bilden, auf den Grund, verfolgt man sie rückwärts von ihrer Ausbildung zu ihrem Ursprünge: so zeigt sich jedesmal, daß ihre Formen auf unscheinbare Anfänge zurückgehen, in denen sie, wie die Pflanze im verschlossenen Keim, kaum erst angedeutet sind. Dem langsamen Gange der Zeit, dem Fortschritt des ganzen Culturlebens, einer sich aneinanderreihenden Kette von Kräften und Geschlechtern ist ihre Entfaltung und Vollendung überlassen. In dieser Entwicklung geht immer Beides Hand in Hand: das Gesetz der Construction und die künstlerische Ausbildung; auch diese folgt dem großen objectiven Gang der Geschichte und läßt so der Willkür des Einzelnen nur geringen Spielraum. Dabei ist dieser fortlaufende Gang der Baukunst mannigfach verschlungen, indem die spätere Bauart alle die Ele»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/366>, abgerufen am 23.07.2024.