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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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Abtheilung, d. h. Gliederung der Facade in ein Ganzes wohlgeordneter und
zusammenstimmender Theile; endlich der Ausdruck der verschiedenen Richtungen,
des Oben und Unten, der umspannenden und abschließenden wagerechten Linien,
sowohl die Scheidung als Zusammenfassung der Massen und Glieder durch die
Gesimse. Selbst diese einfachsten Gesetze, welche schon die Natur der Kunst
an die Hand giebt, wirst um den Preis eines täuschenden Scheins von Origi¬
nalität der neue Stil ab. Zu weitläufig wäre das ganze Register dieser gröberen
Bausünden, die er sich zu Schulden kommen läßt, um es herzuzählen; eine
kleine Auswahl derselben kann der Leser in den schon angeführten Artikeln
finden. Charakteristisch ist, wie schon angedeutet, für diese Architektur, daß sie
nur die eine Richtung der Höhe betont, ihre Bauten nicht durch Horizontal¬
gurten und kräftige Krönungen zusammenzuhalten noch abzuschließen weiß. Da
sie dennoch, trotz ihrer Mauerstreifen und der durch mehre Stockwerke sich er¬
streckenden Fenstereinrahmungen die wagerechte Theilung des Innern nicht läug-
nen kann, so trägt sie wenigstens Sorge, ihre wenigen dünnen Profilcffen so
oft wie möglich zu durchschneiden -- also eine Linie zu brechen, deren Wesen,
wie das schon der Ausdruck "Gurt" anzeigt, gerade in der umspannenden Con-
tinuität besteht. Wie ihr so schon bei der Facade der Sinn für die künstlerische
Anordnung der Raumverhältnisse abgeht, so mißlingt ihr auch, wie das Treppen¬
haus des Regierungsgebäudes zeigt, die Disposition des Irrenhaus. Wie in
die Seitenschiffe von Dorfkirchen sieht man in die beiden Treppenarme, die
von riesigen gedrückten Spitzbogen flankirt sind und daher stellenweise mit ihren
Wangen schief in dieselben hineinschreiben; der Potest schneidet dann beide ab,
ohne sie in sich und einander entgegenzuführen; über dem oberen mittleren
Treppenarm erheben sich Stichgewölbe auf Säulenbündeln von der plumpsten
Form. Das Ganze, erleuchtet durch zwei endlos ausgezogene Fensterstreifen,
wie eingeschachtelt in den Bau, von nüchterner, matter, schwerfälliger Wirkung.
Welch ein Gegensatz zu den grandiosen Treppenhäusern des nun so verachteten
Rococostils. In vollem Licht ausgebreitet schwingen sich diese festlich auf. breit
und groß wie für ein Geschleckt angelegt, das sich von der Erde erhebt, den
Himmel nicht braucht und sich den Herrn der Welt weiß; durch die Verschiebungen
der mannigfaltigen Bogendurchsichten zeigt sich dem Eintretenden sofort das
Weite. Großräumige des Palastes, während ihn zugleich die innere malerische
"ut harmonische Gruppirung behaglich in das Innere hereinzieht, in die Stätte
eines edlen Lebensgenusses und durch die Kunst gehobenen Daseins. Freilich,
"ich! mit solchen Erwartungen mag der moderne Staatsbürger den zaghaften
Fuß in ein Regierungsgebäude setzen, und schwül, beklommen und gedrückt, wie
Hin dabei bisweilen zu Muthe ist. wird er den Aufgang mit seiner Stimmung
2"nz in Einklang finden. Aber gerade hier wäre eine gewisse heitere und statt-
I'che Größe am Platze gewesen, um das Landeskind fühlen zu lassen, daß hier


Abtheilung, d. h. Gliederung der Facade in ein Ganzes wohlgeordneter und
zusammenstimmender Theile; endlich der Ausdruck der verschiedenen Richtungen,
des Oben und Unten, der umspannenden und abschließenden wagerechten Linien,
sowohl die Scheidung als Zusammenfassung der Massen und Glieder durch die
Gesimse. Selbst diese einfachsten Gesetze, welche schon die Natur der Kunst
an die Hand giebt, wirst um den Preis eines täuschenden Scheins von Origi¬
nalität der neue Stil ab. Zu weitläufig wäre das ganze Register dieser gröberen
Bausünden, die er sich zu Schulden kommen läßt, um es herzuzählen; eine
kleine Auswahl derselben kann der Leser in den schon angeführten Artikeln
finden. Charakteristisch ist, wie schon angedeutet, für diese Architektur, daß sie
nur die eine Richtung der Höhe betont, ihre Bauten nicht durch Horizontal¬
gurten und kräftige Krönungen zusammenzuhalten noch abzuschließen weiß. Da
sie dennoch, trotz ihrer Mauerstreifen und der durch mehre Stockwerke sich er¬
streckenden Fenstereinrahmungen die wagerechte Theilung des Innern nicht läug-
nen kann, so trägt sie wenigstens Sorge, ihre wenigen dünnen Profilcffen so
oft wie möglich zu durchschneiden — also eine Linie zu brechen, deren Wesen,
wie das schon der Ausdruck „Gurt" anzeigt, gerade in der umspannenden Con-
tinuität besteht. Wie ihr so schon bei der Facade der Sinn für die künstlerische
Anordnung der Raumverhältnisse abgeht, so mißlingt ihr auch, wie das Treppen¬
haus des Regierungsgebäudes zeigt, die Disposition des Irrenhaus. Wie in
die Seitenschiffe von Dorfkirchen sieht man in die beiden Treppenarme, die
von riesigen gedrückten Spitzbogen flankirt sind und daher stellenweise mit ihren
Wangen schief in dieselben hineinschreiben; der Potest schneidet dann beide ab,
ohne sie in sich und einander entgegenzuführen; über dem oberen mittleren
Treppenarm erheben sich Stichgewölbe auf Säulenbündeln von der plumpsten
Form. Das Ganze, erleuchtet durch zwei endlos ausgezogene Fensterstreifen,
wie eingeschachtelt in den Bau, von nüchterner, matter, schwerfälliger Wirkung.
Welch ein Gegensatz zu den grandiosen Treppenhäusern des nun so verachteten
Rococostils. In vollem Licht ausgebreitet schwingen sich diese festlich auf. breit
und groß wie für ein Geschleckt angelegt, das sich von der Erde erhebt, den
Himmel nicht braucht und sich den Herrn der Welt weiß; durch die Verschiebungen
der mannigfaltigen Bogendurchsichten zeigt sich dem Eintretenden sofort das
Weite. Großräumige des Palastes, während ihn zugleich die innere malerische
"ut harmonische Gruppirung behaglich in das Innere hereinzieht, in die Stätte
eines edlen Lebensgenusses und durch die Kunst gehobenen Daseins. Freilich,
"ich! mit solchen Erwartungen mag der moderne Staatsbürger den zaghaften
Fuß in ein Regierungsgebäude setzen, und schwül, beklommen und gedrückt, wie
Hin dabei bisweilen zu Muthe ist. wird er den Aufgang mit seiner Stimmung
2"nz in Einklang finden. Aber gerade hier wäre eine gewisse heitere und statt-
I'che Größe am Platze gewesen, um das Landeskind fühlen zu lassen, daß hier


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[0365] Abtheilung, d. h. Gliederung der Facade in ein Ganzes wohlgeordneter und zusammenstimmender Theile; endlich der Ausdruck der verschiedenen Richtungen, des Oben und Unten, der umspannenden und abschließenden wagerechten Linien, sowohl die Scheidung als Zusammenfassung der Massen und Glieder durch die Gesimse. Selbst diese einfachsten Gesetze, welche schon die Natur der Kunst an die Hand giebt, wirst um den Preis eines täuschenden Scheins von Origi¬ nalität der neue Stil ab. Zu weitläufig wäre das ganze Register dieser gröberen Bausünden, die er sich zu Schulden kommen läßt, um es herzuzählen; eine kleine Auswahl derselben kann der Leser in den schon angeführten Artikeln finden. Charakteristisch ist, wie schon angedeutet, für diese Architektur, daß sie nur die eine Richtung der Höhe betont, ihre Bauten nicht durch Horizontal¬ gurten und kräftige Krönungen zusammenzuhalten noch abzuschließen weiß. Da sie dennoch, trotz ihrer Mauerstreifen und der durch mehre Stockwerke sich er¬ streckenden Fenstereinrahmungen die wagerechte Theilung des Innern nicht läug- nen kann, so trägt sie wenigstens Sorge, ihre wenigen dünnen Profilcffen so oft wie möglich zu durchschneiden — also eine Linie zu brechen, deren Wesen, wie das schon der Ausdruck „Gurt" anzeigt, gerade in der umspannenden Con- tinuität besteht. Wie ihr so schon bei der Facade der Sinn für die künstlerische Anordnung der Raumverhältnisse abgeht, so mißlingt ihr auch, wie das Treppen¬ haus des Regierungsgebäudes zeigt, die Disposition des Irrenhaus. Wie in die Seitenschiffe von Dorfkirchen sieht man in die beiden Treppenarme, die von riesigen gedrückten Spitzbogen flankirt sind und daher stellenweise mit ihren Wangen schief in dieselben hineinschreiben; der Potest schneidet dann beide ab, ohne sie in sich und einander entgegenzuführen; über dem oberen mittleren Treppenarm erheben sich Stichgewölbe auf Säulenbündeln von der plumpsten Form. Das Ganze, erleuchtet durch zwei endlos ausgezogene Fensterstreifen, wie eingeschachtelt in den Bau, von nüchterner, matter, schwerfälliger Wirkung. Welch ein Gegensatz zu den grandiosen Treppenhäusern des nun so verachteten Rococostils. In vollem Licht ausgebreitet schwingen sich diese festlich auf. breit und groß wie für ein Geschleckt angelegt, das sich von der Erde erhebt, den Himmel nicht braucht und sich den Herrn der Welt weiß; durch die Verschiebungen der mannigfaltigen Bogendurchsichten zeigt sich dem Eintretenden sofort das Weite. Großräumige des Palastes, während ihn zugleich die innere malerische "ut harmonische Gruppirung behaglich in das Innere hereinzieht, in die Stätte eines edlen Lebensgenusses und durch die Kunst gehobenen Daseins. Freilich, "ich! mit solchen Erwartungen mag der moderne Staatsbürger den zaghaften Fuß in ein Regierungsgebäude setzen, und schwül, beklommen und gedrückt, wie Hin dabei bisweilen zu Muthe ist. wird er den Aufgang mit seiner Stimmung 2"nz in Einklang finden. Aber gerade hier wäre eine gewisse heitere und statt- I'che Größe am Platze gewesen, um das Landeskind fühlen zu lassen, daß hier

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/365>, abgerufen am 23.07.2024.