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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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bei dem Gerede über die "Idee" läßt sich ein gewisser Aufwand von Gelehr¬
samkeit und Scharfsinn machen, während bei der Frage rauh der Form die
ohnedem arme Sprache den Mangel der Phantasie wie der Kenntniß offen zu
Tage bringt. So schätzt denn auch die Kritik der Münchener Blätter vor allem
die Bilder, welche sich erzählen, in eins der ästhetischen Schubfächer einschieben
oder doch einen Schweif von ästhetischen Bemerkungen sich anhängen lassen.
Außerdem hat sie selbstverständlich den Trieb, in der einheimischen Kunst mög¬
lichst viel Meisterwerke zu entdecken: wobei es ihr indeß bisweilen begegnet --
zumal wenn sie Gemälde vor sich hat, die ihr unbescheidener Weise keinen An¬
laß zu allerlei Reflexionen über den Inhalt oder ästhetische Gesetze geben --
daß sie auf wahrhaft künstlerische Arbeiten den vernichtenden Stempel ihrer
Verachtung drückt, nachdem sie über höchst mittelmäßige Machwerke in einen
geheimnißvollen Schwung unverständlicher Redensarten gerathen war. So hatte
noch kürzlich der Recensent der bayrischen Zeitung das Unglück, mit einer Ent¬
rüstung, die selbst niedere Ausdrücke nicht verschmähte, über eine südliche Land-
sckaft von R. Krause herzufallen: ein Bild, das in der Vereinigung der
schönen Formen organischer Erdbildung mit einer feinen colvristischen Stim¬
mung, so wie in der sorgsamen Durchbildung ein Talent und eine künst¬
lerische Anschauung bekundete, wie sie im Kunstverein nur höchst selten anzu¬
treffen sind. --

Doch die Art von Kunstsinn und Anschauungsweise, die dem Vereins¬
publikum eigen ist, findet sich nicht blos bei diesem. Es ist etwas davon in
der ganzen Bevölkerung. Das wird namentlich fühlbar in dem fast durch¬
gängigen Mangel an Verständniß für monumentale Kunst, die doch vor allen
-- vorausgesetzt natürlich, daß sie darnach ist -- durch ihre Darstellung der
großen Kreise des Menschenlebens und durch ihr mächtiges Hinaustreten in die
Oeffentlichkeit zur Anregung eines tieferen Interesses im Volke geeignet scheint.
Wie in München der Sinn und die Fähigkeit für öffentliches Leben überhaupt noch
weniger entwickelt ist. als anderswo im gar so häuslichen deutschen Vaterlande,
so tritt dort auch die Gleichgültigkeit gegen die monumentale Kunst noch un-
verholener zu Tage. Erst neuerdings hat sich das wieder in einem recht be¬
zeichnenden Falle erwiesen. Nach dem unerwarteten Hingange des verehrten König
Max allgemeine Entrüstung und Trauer; dann, als sich die erste Verwirrung
gelegt hatte, ein Aufschwung dankbarer Erinnerung an den Verstorbenen und
der begeisterte Entschluß, aus freiwilligen Beiträgen des ganzen Landes ihm
ein mächtiges Denkmal zu setzen -- natürlich als den unvergänglichen sicht¬
baren Ausdruck der allgemeinen Liebe. Also doch wohl -- nicht anders läßt
sich denken -- ein monumentales Bild des Fürsten, ein vor den Augen des
Volkes sich erhebendes Denkmal seiner Persönlichkeit und seiner Regierung.
Aber so hatte es ein gut Theil der Münchener nicht gemeint, mit dieser Vex-


bei dem Gerede über die „Idee" läßt sich ein gewisser Aufwand von Gelehr¬
samkeit und Scharfsinn machen, während bei der Frage rauh der Form die
ohnedem arme Sprache den Mangel der Phantasie wie der Kenntniß offen zu
Tage bringt. So schätzt denn auch die Kritik der Münchener Blätter vor allem
die Bilder, welche sich erzählen, in eins der ästhetischen Schubfächer einschieben
oder doch einen Schweif von ästhetischen Bemerkungen sich anhängen lassen.
Außerdem hat sie selbstverständlich den Trieb, in der einheimischen Kunst mög¬
lichst viel Meisterwerke zu entdecken: wobei es ihr indeß bisweilen begegnet —
zumal wenn sie Gemälde vor sich hat, die ihr unbescheidener Weise keinen An¬
laß zu allerlei Reflexionen über den Inhalt oder ästhetische Gesetze geben —
daß sie auf wahrhaft künstlerische Arbeiten den vernichtenden Stempel ihrer
Verachtung drückt, nachdem sie über höchst mittelmäßige Machwerke in einen
geheimnißvollen Schwung unverständlicher Redensarten gerathen war. So hatte
noch kürzlich der Recensent der bayrischen Zeitung das Unglück, mit einer Ent¬
rüstung, die selbst niedere Ausdrücke nicht verschmähte, über eine südliche Land-
sckaft von R. Krause herzufallen: ein Bild, das in der Vereinigung der
schönen Formen organischer Erdbildung mit einer feinen colvristischen Stim¬
mung, so wie in der sorgsamen Durchbildung ein Talent und eine künst¬
lerische Anschauung bekundete, wie sie im Kunstverein nur höchst selten anzu¬
treffen sind. —

Doch die Art von Kunstsinn und Anschauungsweise, die dem Vereins¬
publikum eigen ist, findet sich nicht blos bei diesem. Es ist etwas davon in
der ganzen Bevölkerung. Das wird namentlich fühlbar in dem fast durch¬
gängigen Mangel an Verständniß für monumentale Kunst, die doch vor allen
— vorausgesetzt natürlich, daß sie darnach ist — durch ihre Darstellung der
großen Kreise des Menschenlebens und durch ihr mächtiges Hinaustreten in die
Oeffentlichkeit zur Anregung eines tieferen Interesses im Volke geeignet scheint.
Wie in München der Sinn und die Fähigkeit für öffentliches Leben überhaupt noch
weniger entwickelt ist. als anderswo im gar so häuslichen deutschen Vaterlande,
so tritt dort auch die Gleichgültigkeit gegen die monumentale Kunst noch un-
verholener zu Tage. Erst neuerdings hat sich das wieder in einem recht be¬
zeichnenden Falle erwiesen. Nach dem unerwarteten Hingange des verehrten König
Max allgemeine Entrüstung und Trauer; dann, als sich die erste Verwirrung
gelegt hatte, ein Aufschwung dankbarer Erinnerung an den Verstorbenen und
der begeisterte Entschluß, aus freiwilligen Beiträgen des ganzen Landes ihm
ein mächtiges Denkmal zu setzen — natürlich als den unvergänglichen sicht¬
baren Ausdruck der allgemeinen Liebe. Also doch wohl — nicht anders läßt
sich denken — ein monumentales Bild des Fürsten, ein vor den Augen des
Volkes sich erhebendes Denkmal seiner Persönlichkeit und seiner Regierung.
Aber so hatte es ein gut Theil der Münchener nicht gemeint, mit dieser Vex-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/320>, abgerufen am 23.07.2024.