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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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An der Art von Sittenbild aber, welche für den Kunstverein so bezeich¬
nend ist, hat sich die Engherzigkeit gerächt, mit der jene Anstalt und mit ihr
eine ziemliche Anzahl Künstler sich von aller ausländischen modernen Kunst ab¬
sichtlich und eigensinnig absperren. Nicht genug, daß die neue Münchener Ma¬
lerei zum guten Theil, wie wir früher gesehen, das Studium der alten Meister
vernachlässigt: sie verschmäht auch noch das Geschick und die Kenntnisse, welche
als die Frucht einer mühsamen Entwicklung, namentlich die moderne französische
Kunst und nach ihrem Vorgang manche junge deutsche Kräfte sich erworben
haben. Sie wirft sich lieber einem zufälligen, zerfahrenen Naturstudium, das
doch ohne die lebendige Anleitung der Schule und der Ueberlieferung immer un¬
zulänglich bleibt, mit Leib und Seele in die Arme. Davon abgesehen, daß sie
so zu einer gebildeten Formenanschauung, zur künstlerischen Uebung des male¬
rischen Blicks kaum gelangen kann, bleibt sie so selbst in der technischen
Behandlung unerfahren, rathlos, auf einige akademische Regeln und eigenes
unsicheres Herumtasten angewiesen. Wie viel Zeit und Mühe die strebenden
Künstler auf den Erwerb der technischen Mittel vergeudet haben, nachdem die
Tradition, von der Neuzeit abgeschnitten, ihren Schatz von praktischen Erfah¬
rungen mit sich begraben: das kann man sie selber oft genug klagen hören.
Um so mehr sollten die Deutschen zusehen, die Uebung, welche darin vorab die
französische Kunst durch ihren geschlossenen Zusammenhang und die Anstrengung
manches Menschenlebens erlangt hat, sich zu Nutze zu machen. Die jungen
Talente, welche in diese Schule gegangen sind, haben deshalb an ihrer deutschen
Phantasie und Gedankentiefe keinen Schaden gelitten; sondern, so weit sie von
tüchtigem Zeuge sind, wieder ausgestoßen, was sich von französischer Anschau¬
ung in die ihrige eingemischt hatte, dagegen durch die erlangte Herrschaft über
die Mittel Arbeiten hervorgebracht, welche dem echten Kunstwerk weit näher
kommen, als all der illuminirte Humor der bayrischen Wirthshäuser, Gebirgs-
joppen und Alpenfröhlichkeit. --

Freilich, so lange die künstlerische, in der Erscheinung der Dinge ihre Seele
erblickende Phantasie, das Auge für die selbständige Schönheit der Form und
Farbe fehlt, so lange bleibt auch die Technik unzulänglich und dem Maler
ihre Bedeutung verschlossen. Ist es doch im Publikum etwas Aehnliches, weil
jene beiden Seiten der Kunstthätigkeit untrennbar sind. Wie diesem die Uebung
des in das Kunstwerk eindringenden, es neubelebenden Blicks fehlt, so auch
der Sinn für den Reiz der äußeren Vollendung, den Schwung und die Freiheit
der technischen Hand. Wenn der Maler vorab auf den überraschenden Eindruck
der Naturwahrheit aus ist, so sucht jenes vor allem im Bilde die ihm bekannten
Züge der Wirklichkeit. Zudem fällt ihm noch mehr als Ersterem Form und
Inhalt auseinander. Stumpf für das einfach erfüllte Leben des Kunstwerks,
das beides in einen vollen Accord zusammenfaßt, erwacht seine Theilnahme


An der Art von Sittenbild aber, welche für den Kunstverein so bezeich¬
nend ist, hat sich die Engherzigkeit gerächt, mit der jene Anstalt und mit ihr
eine ziemliche Anzahl Künstler sich von aller ausländischen modernen Kunst ab¬
sichtlich und eigensinnig absperren. Nicht genug, daß die neue Münchener Ma¬
lerei zum guten Theil, wie wir früher gesehen, das Studium der alten Meister
vernachlässigt: sie verschmäht auch noch das Geschick und die Kenntnisse, welche
als die Frucht einer mühsamen Entwicklung, namentlich die moderne französische
Kunst und nach ihrem Vorgang manche junge deutsche Kräfte sich erworben
haben. Sie wirft sich lieber einem zufälligen, zerfahrenen Naturstudium, das
doch ohne die lebendige Anleitung der Schule und der Ueberlieferung immer un¬
zulänglich bleibt, mit Leib und Seele in die Arme. Davon abgesehen, daß sie
so zu einer gebildeten Formenanschauung, zur künstlerischen Uebung des male¬
rischen Blicks kaum gelangen kann, bleibt sie so selbst in der technischen
Behandlung unerfahren, rathlos, auf einige akademische Regeln und eigenes
unsicheres Herumtasten angewiesen. Wie viel Zeit und Mühe die strebenden
Künstler auf den Erwerb der technischen Mittel vergeudet haben, nachdem die
Tradition, von der Neuzeit abgeschnitten, ihren Schatz von praktischen Erfah¬
rungen mit sich begraben: das kann man sie selber oft genug klagen hören.
Um so mehr sollten die Deutschen zusehen, die Uebung, welche darin vorab die
französische Kunst durch ihren geschlossenen Zusammenhang und die Anstrengung
manches Menschenlebens erlangt hat, sich zu Nutze zu machen. Die jungen
Talente, welche in diese Schule gegangen sind, haben deshalb an ihrer deutschen
Phantasie und Gedankentiefe keinen Schaden gelitten; sondern, so weit sie von
tüchtigem Zeuge sind, wieder ausgestoßen, was sich von französischer Anschau¬
ung in die ihrige eingemischt hatte, dagegen durch die erlangte Herrschaft über
die Mittel Arbeiten hervorgebracht, welche dem echten Kunstwerk weit näher
kommen, als all der illuminirte Humor der bayrischen Wirthshäuser, Gebirgs-
joppen und Alpenfröhlichkeit. —

Freilich, so lange die künstlerische, in der Erscheinung der Dinge ihre Seele
erblickende Phantasie, das Auge für die selbständige Schönheit der Form und
Farbe fehlt, so lange bleibt auch die Technik unzulänglich und dem Maler
ihre Bedeutung verschlossen. Ist es doch im Publikum etwas Aehnliches, weil
jene beiden Seiten der Kunstthätigkeit untrennbar sind. Wie diesem die Uebung
des in das Kunstwerk eindringenden, es neubelebenden Blicks fehlt, so auch
der Sinn für den Reiz der äußeren Vollendung, den Schwung und die Freiheit
der technischen Hand. Wenn der Maler vorab auf den überraschenden Eindruck
der Naturwahrheit aus ist, so sucht jenes vor allem im Bilde die ihm bekannten
Züge der Wirklichkeit. Zudem fällt ihm noch mehr als Ersterem Form und
Inhalt auseinander. Stumpf für das einfach erfüllte Leben des Kunstwerks,
das beides in einen vollen Accord zusammenfaßt, erwacht seine Theilnahme


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[0318] An der Art von Sittenbild aber, welche für den Kunstverein so bezeich¬ nend ist, hat sich die Engherzigkeit gerächt, mit der jene Anstalt und mit ihr eine ziemliche Anzahl Künstler sich von aller ausländischen modernen Kunst ab¬ sichtlich und eigensinnig absperren. Nicht genug, daß die neue Münchener Ma¬ lerei zum guten Theil, wie wir früher gesehen, das Studium der alten Meister vernachlässigt: sie verschmäht auch noch das Geschick und die Kenntnisse, welche als die Frucht einer mühsamen Entwicklung, namentlich die moderne französische Kunst und nach ihrem Vorgang manche junge deutsche Kräfte sich erworben haben. Sie wirft sich lieber einem zufälligen, zerfahrenen Naturstudium, das doch ohne die lebendige Anleitung der Schule und der Ueberlieferung immer un¬ zulänglich bleibt, mit Leib und Seele in die Arme. Davon abgesehen, daß sie so zu einer gebildeten Formenanschauung, zur künstlerischen Uebung des male¬ rischen Blicks kaum gelangen kann, bleibt sie so selbst in der technischen Behandlung unerfahren, rathlos, auf einige akademische Regeln und eigenes unsicheres Herumtasten angewiesen. Wie viel Zeit und Mühe die strebenden Künstler auf den Erwerb der technischen Mittel vergeudet haben, nachdem die Tradition, von der Neuzeit abgeschnitten, ihren Schatz von praktischen Erfah¬ rungen mit sich begraben: das kann man sie selber oft genug klagen hören. Um so mehr sollten die Deutschen zusehen, die Uebung, welche darin vorab die französische Kunst durch ihren geschlossenen Zusammenhang und die Anstrengung manches Menschenlebens erlangt hat, sich zu Nutze zu machen. Die jungen Talente, welche in diese Schule gegangen sind, haben deshalb an ihrer deutschen Phantasie und Gedankentiefe keinen Schaden gelitten; sondern, so weit sie von tüchtigem Zeuge sind, wieder ausgestoßen, was sich von französischer Anschau¬ ung in die ihrige eingemischt hatte, dagegen durch die erlangte Herrschaft über die Mittel Arbeiten hervorgebracht, welche dem echten Kunstwerk weit näher kommen, als all der illuminirte Humor der bayrischen Wirthshäuser, Gebirgs- joppen und Alpenfröhlichkeit. — Freilich, so lange die künstlerische, in der Erscheinung der Dinge ihre Seele erblickende Phantasie, das Auge für die selbständige Schönheit der Form und Farbe fehlt, so lange bleibt auch die Technik unzulänglich und dem Maler ihre Bedeutung verschlossen. Ist es doch im Publikum etwas Aehnliches, weil jene beiden Seiten der Kunstthätigkeit untrennbar sind. Wie diesem die Uebung des in das Kunstwerk eindringenden, es neubelebenden Blicks fehlt, so auch der Sinn für den Reiz der äußeren Vollendung, den Schwung und die Freiheit der technischen Hand. Wenn der Maler vorab auf den überraschenden Eindruck der Naturwahrheit aus ist, so sucht jenes vor allem im Bilde die ihm bekannten Züge der Wirklichkeit. Zudem fällt ihm noch mehr als Ersterem Form und Inhalt auseinander. Stumpf für das einfach erfüllte Leben des Kunstwerks, das beides in einen vollen Accord zusammenfaßt, erwacht seine Theilnahme

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/318>, abgerufen am 23.07.2024.