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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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frischlern nur allzubekannten Regcnhimmels, und, um das Maß des Leidens
voll zu machen, eben erst der schrecklichen Qual des Stellwagens entstiegen.
Man muß es Enhuber lassen, daß er seine Figuren mannigfach zu charakterisi-
ren und die Gegensätze des menschlichen Wesens in der Beschränkung des
gewöhnlichen Treibens komisch zu versinnlichen sucht. /Auch gelingt es ihm
eher wie Zimmermann, in seine Figuren die überzeugende Bewegung der Na¬
tur zu bringen, in ihren Mienen und Geberden die innere Stimmung spiegeln
zu lassen und die Umgebung mit dem Inhalte des Motivs in Einklang zu
setzen. Aber es fehlt seinen Gestalten wie denen Zimmermanns die naive Er-
fülltheit der Erscheinung, die unbewußte Selbständigkeit des Lebens, sie gehen
in der Spitze des spaßhaften Momentes auf. Dem ernsteren Beschauer bleibt
ein Gefühl, wie wenn ihnen eigens zu diesem Spiele ein künstlicher Athem
eingeblasen wäre und sie mit diesem ihr seliges Ende nähmen. Das komische
Ereigniß ist ihre Seele. Es fehlt ebenso die tiefere Auffassung, wie die Voll¬
endung der Form und des Ausdrucks, das ernste Sich-Einleben in den kleinen
Stoff wie die Meisterschaft der Behandlung, wodurch doch allein das Kunst¬
werk auch der kleineren Gattung mit dem Reiz seelenvoller und malerischer Er¬
scheinung Auge und Phantasie gleich sehr zu fesseln vermag. Auch die Hol¬
länder fassen bisweilen das Treiben ihrer Individuen in einen Spaß oder in
einen novellistischen Hergang; aber die zerlumpten Kerle Ostades wie die fei¬
nen Damen Terburgs legen, wie schon bemerkt, gleichsam die Wucht ihres gan¬
zen Daseins in den flüchtigen Augenblick. In ihnen ist der Schein des natür¬
lichen Lebens nicht blos mit überraschender Wahrheit wiedergegeben, sondern
voll und mächtig über die Noth und Schwäche der zufälligen Wirklichkeit in
das Ideale und Künstlerische hinaufgehoben. Das freilich ist nur möglich durch
die Meisterschaft malerischer Anschauung und Durchführung, welche auch das
kleinste Geräthe in den lebendigen Zug der Phantasie hereinnimmt, in die ganz
durchgebildete Erscheinung des Menschen aber seinen ganzen Inhalt hinauslegt
und deshalb wieder aus ihr die Tiefe seines Innern herausleuchten läßt: eine
in ihrer Geringfügigkeit vollendete, harmonische, selbstgenugsame Welt.

Wenn nun auch die Meisterschaft der Holländer der modernen Zeit über¬
haupt versagt zu sein scheint, so haben doch die Düsseldorfer Kraus, Bankier
und Salentin bewiesen, daß eine Behandlung, welche im sicheren Besitz der
Darstellungsmittel vorab aus eine erfüllte malerische Wirkung ausgeht, auch noch
dem heutigen Sittcnbiide einen tieferen Reiz zu geben und die alltägliche Wirb
lichkeit in den idealen Schein der Kunst zu erheben vermag. Ja, nicht einmal
so weit braucht man zu greifen; in München selber finden sich einige Genre-
maler -- von ihnen wird später die Rede sein -- welche mit freiem Sinn für
die selbständige Schönheit des Malerischen den Inhalt in diese ganz hinauszu¬
führen suchen.


Grenzboten I. 1805. 38

frischlern nur allzubekannten Regcnhimmels, und, um das Maß des Leidens
voll zu machen, eben erst der schrecklichen Qual des Stellwagens entstiegen.
Man muß es Enhuber lassen, daß er seine Figuren mannigfach zu charakterisi-
ren und die Gegensätze des menschlichen Wesens in der Beschränkung des
gewöhnlichen Treibens komisch zu versinnlichen sucht. /Auch gelingt es ihm
eher wie Zimmermann, in seine Figuren die überzeugende Bewegung der Na¬
tur zu bringen, in ihren Mienen und Geberden die innere Stimmung spiegeln
zu lassen und die Umgebung mit dem Inhalte des Motivs in Einklang zu
setzen. Aber es fehlt seinen Gestalten wie denen Zimmermanns die naive Er-
fülltheit der Erscheinung, die unbewußte Selbständigkeit des Lebens, sie gehen
in der Spitze des spaßhaften Momentes auf. Dem ernsteren Beschauer bleibt
ein Gefühl, wie wenn ihnen eigens zu diesem Spiele ein künstlicher Athem
eingeblasen wäre und sie mit diesem ihr seliges Ende nähmen. Das komische
Ereigniß ist ihre Seele. Es fehlt ebenso die tiefere Auffassung, wie die Voll¬
endung der Form und des Ausdrucks, das ernste Sich-Einleben in den kleinen
Stoff wie die Meisterschaft der Behandlung, wodurch doch allein das Kunst¬
werk auch der kleineren Gattung mit dem Reiz seelenvoller und malerischer Er¬
scheinung Auge und Phantasie gleich sehr zu fesseln vermag. Auch die Hol¬
länder fassen bisweilen das Treiben ihrer Individuen in einen Spaß oder in
einen novellistischen Hergang; aber die zerlumpten Kerle Ostades wie die fei¬
nen Damen Terburgs legen, wie schon bemerkt, gleichsam die Wucht ihres gan¬
zen Daseins in den flüchtigen Augenblick. In ihnen ist der Schein des natür¬
lichen Lebens nicht blos mit überraschender Wahrheit wiedergegeben, sondern
voll und mächtig über die Noth und Schwäche der zufälligen Wirklichkeit in
das Ideale und Künstlerische hinaufgehoben. Das freilich ist nur möglich durch
die Meisterschaft malerischer Anschauung und Durchführung, welche auch das
kleinste Geräthe in den lebendigen Zug der Phantasie hereinnimmt, in die ganz
durchgebildete Erscheinung des Menschen aber seinen ganzen Inhalt hinauslegt
und deshalb wieder aus ihr die Tiefe seines Innern herausleuchten läßt: eine
in ihrer Geringfügigkeit vollendete, harmonische, selbstgenugsame Welt.

Wenn nun auch die Meisterschaft der Holländer der modernen Zeit über¬
haupt versagt zu sein scheint, so haben doch die Düsseldorfer Kraus, Bankier
und Salentin bewiesen, daß eine Behandlung, welche im sicheren Besitz der
Darstellungsmittel vorab aus eine erfüllte malerische Wirkung ausgeht, auch noch
dem heutigen Sittcnbiide einen tieferen Reiz zu geben und die alltägliche Wirb
lichkeit in den idealen Schein der Kunst zu erheben vermag. Ja, nicht einmal
so weit braucht man zu greifen; in München selber finden sich einige Genre-
maler — von ihnen wird später die Rede sein — welche mit freiem Sinn für
die selbständige Schönheit des Malerischen den Inhalt in diese ganz hinauszu¬
führen suchen.


Grenzboten I. 1805. 38
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[0317] frischlern nur allzubekannten Regcnhimmels, und, um das Maß des Leidens voll zu machen, eben erst der schrecklichen Qual des Stellwagens entstiegen. Man muß es Enhuber lassen, daß er seine Figuren mannigfach zu charakterisi- ren und die Gegensätze des menschlichen Wesens in der Beschränkung des gewöhnlichen Treibens komisch zu versinnlichen sucht. /Auch gelingt es ihm eher wie Zimmermann, in seine Figuren die überzeugende Bewegung der Na¬ tur zu bringen, in ihren Mienen und Geberden die innere Stimmung spiegeln zu lassen und die Umgebung mit dem Inhalte des Motivs in Einklang zu setzen. Aber es fehlt seinen Gestalten wie denen Zimmermanns die naive Er- fülltheit der Erscheinung, die unbewußte Selbständigkeit des Lebens, sie gehen in der Spitze des spaßhaften Momentes auf. Dem ernsteren Beschauer bleibt ein Gefühl, wie wenn ihnen eigens zu diesem Spiele ein künstlicher Athem eingeblasen wäre und sie mit diesem ihr seliges Ende nähmen. Das komische Ereigniß ist ihre Seele. Es fehlt ebenso die tiefere Auffassung, wie die Voll¬ endung der Form und des Ausdrucks, das ernste Sich-Einleben in den kleinen Stoff wie die Meisterschaft der Behandlung, wodurch doch allein das Kunst¬ werk auch der kleineren Gattung mit dem Reiz seelenvoller und malerischer Er¬ scheinung Auge und Phantasie gleich sehr zu fesseln vermag. Auch die Hol¬ länder fassen bisweilen das Treiben ihrer Individuen in einen Spaß oder in einen novellistischen Hergang; aber die zerlumpten Kerle Ostades wie die fei¬ nen Damen Terburgs legen, wie schon bemerkt, gleichsam die Wucht ihres gan¬ zen Daseins in den flüchtigen Augenblick. In ihnen ist der Schein des natür¬ lichen Lebens nicht blos mit überraschender Wahrheit wiedergegeben, sondern voll und mächtig über die Noth und Schwäche der zufälligen Wirklichkeit in das Ideale und Künstlerische hinaufgehoben. Das freilich ist nur möglich durch die Meisterschaft malerischer Anschauung und Durchführung, welche auch das kleinste Geräthe in den lebendigen Zug der Phantasie hereinnimmt, in die ganz durchgebildete Erscheinung des Menschen aber seinen ganzen Inhalt hinauslegt und deshalb wieder aus ihr die Tiefe seines Innern herausleuchten läßt: eine in ihrer Geringfügigkeit vollendete, harmonische, selbstgenugsame Welt. Wenn nun auch die Meisterschaft der Holländer der modernen Zeit über¬ haupt versagt zu sein scheint, so haben doch die Düsseldorfer Kraus, Bankier und Salentin bewiesen, daß eine Behandlung, welche im sicheren Besitz der Darstellungsmittel vorab aus eine erfüllte malerische Wirkung ausgeht, auch noch dem heutigen Sittcnbiide einen tieferen Reiz zu geben und die alltägliche Wirb lichkeit in den idealen Schein der Kunst zu erheben vermag. Ja, nicht einmal so weit braucht man zu greifen; in München selber finden sich einige Genre- maler — von ihnen wird später die Rede sein — welche mit freiem Sinn für die selbständige Schönheit des Malerischen den Inhalt in diese ganz hinauszu¬ führen suchen. Grenzboten I. 1805. 38

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/317>, abgerufen am 23.07.2024.