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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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Stätte für monumentale Kunst sein. Die wenigen architektonischen Pläne,
das plastische Werk, das -- im weiteren Sinne -- historische Bild, überdies
aus der passenden Umgebung herausgerissen ohne Wirkung, verlieren sich zwischen
den Producten der kleineren Fächer, des Sittenbilds und der Landschaft, welche
den eigentlichen Artikel des Vereins abgeben. Der Laie, zerstreut und schau¬
lustig, bringt von draußen seine alltägliche Stimmung mit, welche, unfähig der
Erscheinung auf den Grund und in ihr die erfüllende Seele zu sehen, nur für
ihre äußeren und gefälligen Züge empfänglich, an das Kunstwerk mit eben
solchen Augen und Ansprüchen herantritt. Er will also in diesem die gewöhn¬
liche ihn umgebende Welt wiederfinden und fühlt sich am wohlsten, wenn ihm
die Prosa, die sich über diese gelegt hat, aus dem Bilde vertraulich und be¬
haglich entgegenwirkt. Trifft er dann in der Landschaft ein bekanntes Stück
Natur, in dem auch er einmal nach der Winterlast seine Sommererhvlung ge¬
funden hat, beglänzt vom Sonnenschein und mit lockenden Waldesdunkel, oder
im Sittenbilde aus bekannten Lebenskreisen eine spaßhafte Situation, die ihm
nach der Verdrießlichkeit des Tages ein Lächeln abgewinnt, so zollt er seine
ganze Anerkennung. "Philister in Sonntagsröcklein" -- warum nicht ebenso
gut in der Kunst wie in der Natur? Kommt aber einmal ein Maler, der über
die kleine Welt des Privathauses oder der Bauernhütte den warmen beseelenden
Schein des Malerischen ausgießt, den Mangel des tieferen Inhaltes durch das
geheimnißvolle, an die Stimmungen des menschlichen Gemüths anklingende
Spiel der Töne zu ersetzen oder seinen Gestalten die einfache gediegene Er¬
scheinung des Lebens zu geben sucht! so gehen sie gleichgültig und ohne Ver¬
ständniß vorüber. Andrerseits wollen sie im Kunstwerk eine Erinnerung an
ihre historischen, literarischen Kenntnisse wiederfinden und lassen sich mit Wohl¬
gefallen noch einmal in bunten Farben von ihm erzählen, was sie früher aus
Büchern ihrem Gedächtnisse eingeprägt haben. Natürlich verlangen sie dabei
eine gewisse Geschicklichkeit der Behandlung, denn die verbreitete Bildung des
Jahrhunderts sieht überall wenigstens auf den Schein einer äußerlichen, abglät¬
tenden und die Mühe der Arbeit versteckenden Ausführung.

An dieser Blödigkeit der Anschauung trägt ohne Zweifel einen Theil der
Schuld das Publikum selber. Es betrachtet die Kunst als eine Sache der
Kurzweil, die gerade gut genug ist, dem von der Last des Geschäfts ermüdeten
Menschen eine angenehme Abspannung zu bieten. Daß das Kunstwerk, wie
jeder tiefere Genuß, die volle Hingabe der Persönlichkeit, den gesammelten Ein¬
klang aller Gemüthskräfte von Seiten des Beschauers voraussetzt, wenn es sich
selber ihm ganz offenbaren und zu eigen geben soll: das scheint jenem nicht
in den Sinn zu wollen. Aber die Kunst ihrerseits hat dieser Trägheit der
Phantasie allen möglichen Vorschub geleistet und ihrem lahmen Zuge nach'
gegeben, statt sie zu fruchtbarer Thätigkeit anzuregen.


Stätte für monumentale Kunst sein. Die wenigen architektonischen Pläne,
das plastische Werk, das — im weiteren Sinne — historische Bild, überdies
aus der passenden Umgebung herausgerissen ohne Wirkung, verlieren sich zwischen
den Producten der kleineren Fächer, des Sittenbilds und der Landschaft, welche
den eigentlichen Artikel des Vereins abgeben. Der Laie, zerstreut und schau¬
lustig, bringt von draußen seine alltägliche Stimmung mit, welche, unfähig der
Erscheinung auf den Grund und in ihr die erfüllende Seele zu sehen, nur für
ihre äußeren und gefälligen Züge empfänglich, an das Kunstwerk mit eben
solchen Augen und Ansprüchen herantritt. Er will also in diesem die gewöhn¬
liche ihn umgebende Welt wiederfinden und fühlt sich am wohlsten, wenn ihm
die Prosa, die sich über diese gelegt hat, aus dem Bilde vertraulich und be¬
haglich entgegenwirkt. Trifft er dann in der Landschaft ein bekanntes Stück
Natur, in dem auch er einmal nach der Winterlast seine Sommererhvlung ge¬
funden hat, beglänzt vom Sonnenschein und mit lockenden Waldesdunkel, oder
im Sittenbilde aus bekannten Lebenskreisen eine spaßhafte Situation, die ihm
nach der Verdrießlichkeit des Tages ein Lächeln abgewinnt, so zollt er seine
ganze Anerkennung. „Philister in Sonntagsröcklein" — warum nicht ebenso
gut in der Kunst wie in der Natur? Kommt aber einmal ein Maler, der über
die kleine Welt des Privathauses oder der Bauernhütte den warmen beseelenden
Schein des Malerischen ausgießt, den Mangel des tieferen Inhaltes durch das
geheimnißvolle, an die Stimmungen des menschlichen Gemüths anklingende
Spiel der Töne zu ersetzen oder seinen Gestalten die einfache gediegene Er¬
scheinung des Lebens zu geben sucht! so gehen sie gleichgültig und ohne Ver¬
ständniß vorüber. Andrerseits wollen sie im Kunstwerk eine Erinnerung an
ihre historischen, literarischen Kenntnisse wiederfinden und lassen sich mit Wohl¬
gefallen noch einmal in bunten Farben von ihm erzählen, was sie früher aus
Büchern ihrem Gedächtnisse eingeprägt haben. Natürlich verlangen sie dabei
eine gewisse Geschicklichkeit der Behandlung, denn die verbreitete Bildung des
Jahrhunderts sieht überall wenigstens auf den Schein einer äußerlichen, abglät¬
tenden und die Mühe der Arbeit versteckenden Ausführung.

An dieser Blödigkeit der Anschauung trägt ohne Zweifel einen Theil der
Schuld das Publikum selber. Es betrachtet die Kunst als eine Sache der
Kurzweil, die gerade gut genug ist, dem von der Last des Geschäfts ermüdeten
Menschen eine angenehme Abspannung zu bieten. Daß das Kunstwerk, wie
jeder tiefere Genuß, die volle Hingabe der Persönlichkeit, den gesammelten Ein¬
klang aller Gemüthskräfte von Seiten des Beschauers voraussetzt, wenn es sich
selber ihm ganz offenbaren und zu eigen geben soll: das scheint jenem nicht
in den Sinn zu wollen. Aber die Kunst ihrerseits hat dieser Trägheit der
Phantasie allen möglichen Vorschub geleistet und ihrem lahmen Zuge nach'
gegeben, statt sie zu fruchtbarer Thätigkeit anzuregen.


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[0312] Stätte für monumentale Kunst sein. Die wenigen architektonischen Pläne, das plastische Werk, das — im weiteren Sinne — historische Bild, überdies aus der passenden Umgebung herausgerissen ohne Wirkung, verlieren sich zwischen den Producten der kleineren Fächer, des Sittenbilds und der Landschaft, welche den eigentlichen Artikel des Vereins abgeben. Der Laie, zerstreut und schau¬ lustig, bringt von draußen seine alltägliche Stimmung mit, welche, unfähig der Erscheinung auf den Grund und in ihr die erfüllende Seele zu sehen, nur für ihre äußeren und gefälligen Züge empfänglich, an das Kunstwerk mit eben solchen Augen und Ansprüchen herantritt. Er will also in diesem die gewöhn¬ liche ihn umgebende Welt wiederfinden und fühlt sich am wohlsten, wenn ihm die Prosa, die sich über diese gelegt hat, aus dem Bilde vertraulich und be¬ haglich entgegenwirkt. Trifft er dann in der Landschaft ein bekanntes Stück Natur, in dem auch er einmal nach der Winterlast seine Sommererhvlung ge¬ funden hat, beglänzt vom Sonnenschein und mit lockenden Waldesdunkel, oder im Sittenbilde aus bekannten Lebenskreisen eine spaßhafte Situation, die ihm nach der Verdrießlichkeit des Tages ein Lächeln abgewinnt, so zollt er seine ganze Anerkennung. „Philister in Sonntagsröcklein" — warum nicht ebenso gut in der Kunst wie in der Natur? Kommt aber einmal ein Maler, der über die kleine Welt des Privathauses oder der Bauernhütte den warmen beseelenden Schein des Malerischen ausgießt, den Mangel des tieferen Inhaltes durch das geheimnißvolle, an die Stimmungen des menschlichen Gemüths anklingende Spiel der Töne zu ersetzen oder seinen Gestalten die einfache gediegene Er¬ scheinung des Lebens zu geben sucht! so gehen sie gleichgültig und ohne Ver¬ ständniß vorüber. Andrerseits wollen sie im Kunstwerk eine Erinnerung an ihre historischen, literarischen Kenntnisse wiederfinden und lassen sich mit Wohl¬ gefallen noch einmal in bunten Farben von ihm erzählen, was sie früher aus Büchern ihrem Gedächtnisse eingeprägt haben. Natürlich verlangen sie dabei eine gewisse Geschicklichkeit der Behandlung, denn die verbreitete Bildung des Jahrhunderts sieht überall wenigstens auf den Schein einer äußerlichen, abglät¬ tenden und die Mühe der Arbeit versteckenden Ausführung. An dieser Blödigkeit der Anschauung trägt ohne Zweifel einen Theil der Schuld das Publikum selber. Es betrachtet die Kunst als eine Sache der Kurzweil, die gerade gut genug ist, dem von der Last des Geschäfts ermüdeten Menschen eine angenehme Abspannung zu bieten. Daß das Kunstwerk, wie jeder tiefere Genuß, die volle Hingabe der Persönlichkeit, den gesammelten Ein¬ klang aller Gemüthskräfte von Seiten des Beschauers voraussetzt, wenn es sich selber ihm ganz offenbaren und zu eigen geben soll: das scheint jenem nicht in den Sinn zu wollen. Aber die Kunst ihrerseits hat dieser Trägheit der Phantasie allen möglichen Vorschub geleistet und ihrem lahmen Zuge nach' gegeben, statt sie zu fruchtbarer Thätigkeit anzuregen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/312>, abgerufen am 23.07.2024.