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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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Krischen Ausdruck des inneren Lebens wieder auf. Nicht zwar wie ein still
wirkender Trieb, der im Genuß eines in sich erfüllten Daseins diesem in der
schönen Erscheinung die letzte Vollendung, sich selber die höchste Befriedigung
zu geben sucht, sondern wie ein sehnsüchtiges Begehren aus der alltäglichen
Prosa nach einer schöneren Welt. Schon vorher hatte diese romantische
Stimmung, aus dem Elend der Zeiten in das stille Reich der Phantasie zu
flüchten, in engeren Kreisen eine eigene Literatur, eine eigene Kunst hervor¬
gerufen. Nun, da mit den Freiheitskriegen in alle Gemüther wieder Hoffnung
und Zuversicht gekommen war, fand sie rasch um sich greifend einen immer
größeren Boden. Aber wie die Befreiung selber nur ein plötzlicher Aufschwung
war, der nach vollbrachtem Werk in sich zusammenfiel und in die alte Mattig¬
keit der gewohnten Zustände zurücksank: so war auch jene romantische Stim¬
mung unfähig, die Wirklichkeit bildend und gestaltend zu ergreifen, die Welt
mit klarem formenvollem Auge anzuschauen. Unterstützt von der frommen
Schwärmerei, mit der das durch langes Unglück und plötzlichen Sieg erschütterte
Gemüth in sich einkehrte und von der Welt abgewendet das alte Joch sich
wieder aufbürden ließ, erging sie sich im Zauberreich der Märchen und ahnungs¬
voll verschwebender Gefühle. Trieb und Wunsch erwachte wieder, so schreibt
einmal über diese Zeit einer der Führer der Romantik, die Kunst mit Staat
und Volk zu verbinden. Aber es fehlte die Brücke zur Wirklichkeit, und je
spröder diese jede Anknüpfung zurückwies, um so weniger vermochte die in
sich versunkene träumerische Seele aus eigenen Mitteln den Uebergang zu finden.
Nur an einem Punkte traf sie mit der Gegenwart zusammen, an dem gerade,
wo diese selber in eine Vergangenheit zurückbog, die zwar dem künstlerischen
Bedürfniß mit einem Reichthum bekannter Gestalten entgegenkam, doch der Wirk¬
lichkeit weder einen tieferen Inhalt, noch eine neue Form zu bringen vermochte:
W der Umkehr zum kirchlichen Leben.

So verflüchtigte sich die künstlerische Stimmung in eine der Realität entfremdete
.Phantasie, welche im Spiel mit sich selber und allerlei alten wieder hervorgeholter
Formen die ganze gegenwärtige Welt vergaß oder in das Dämmerlicht einer märchen¬
haften Poesie und Kunst einzuhüllen suchte. Wohl war also die künstlerische An¬
schauung wieder erwacht und zu einem Inhalt gekommen; aber nun verlor sie sich
in ein Nebelreich von Bildern, denen das volle Leben der Gegenwart und der
feste Umriß der Form fehlte. Sie schwebte und schwärmte in schwächlichen
Empfindungen und schwankenden Gestalten. Und so mächtig der Aufschwung
K>ar, den gleichzeitig im Gegensatz zur herabsteigenden Dichtung die bildende
Kunst nahm: diese that nichts weiter, als jener Stimmung willfährig entgegen¬
kommen und ihr allerlei Spielzeug bringen, aus dem Mittelalter, den Sagen
der Vorzeit oder der christlichen Legende. Wie das Interesse an der Kunst auf
der einen Seite ein stoffliches, auf der andern ein empfindsam poetisches war.


Krischen Ausdruck des inneren Lebens wieder auf. Nicht zwar wie ein still
wirkender Trieb, der im Genuß eines in sich erfüllten Daseins diesem in der
schönen Erscheinung die letzte Vollendung, sich selber die höchste Befriedigung
zu geben sucht, sondern wie ein sehnsüchtiges Begehren aus der alltäglichen
Prosa nach einer schöneren Welt. Schon vorher hatte diese romantische
Stimmung, aus dem Elend der Zeiten in das stille Reich der Phantasie zu
flüchten, in engeren Kreisen eine eigene Literatur, eine eigene Kunst hervor¬
gerufen. Nun, da mit den Freiheitskriegen in alle Gemüther wieder Hoffnung
und Zuversicht gekommen war, fand sie rasch um sich greifend einen immer
größeren Boden. Aber wie die Befreiung selber nur ein plötzlicher Aufschwung
war, der nach vollbrachtem Werk in sich zusammenfiel und in die alte Mattig¬
keit der gewohnten Zustände zurücksank: so war auch jene romantische Stim¬
mung unfähig, die Wirklichkeit bildend und gestaltend zu ergreifen, die Welt
mit klarem formenvollem Auge anzuschauen. Unterstützt von der frommen
Schwärmerei, mit der das durch langes Unglück und plötzlichen Sieg erschütterte
Gemüth in sich einkehrte und von der Welt abgewendet das alte Joch sich
wieder aufbürden ließ, erging sie sich im Zauberreich der Märchen und ahnungs¬
voll verschwebender Gefühle. Trieb und Wunsch erwachte wieder, so schreibt
einmal über diese Zeit einer der Führer der Romantik, die Kunst mit Staat
und Volk zu verbinden. Aber es fehlte die Brücke zur Wirklichkeit, und je
spröder diese jede Anknüpfung zurückwies, um so weniger vermochte die in
sich versunkene träumerische Seele aus eigenen Mitteln den Uebergang zu finden.
Nur an einem Punkte traf sie mit der Gegenwart zusammen, an dem gerade,
wo diese selber in eine Vergangenheit zurückbog, die zwar dem künstlerischen
Bedürfniß mit einem Reichthum bekannter Gestalten entgegenkam, doch der Wirk¬
lichkeit weder einen tieferen Inhalt, noch eine neue Form zu bringen vermochte:
W der Umkehr zum kirchlichen Leben.

So verflüchtigte sich die künstlerische Stimmung in eine der Realität entfremdete
.Phantasie, welche im Spiel mit sich selber und allerlei alten wieder hervorgeholter
Formen die ganze gegenwärtige Welt vergaß oder in das Dämmerlicht einer märchen¬
haften Poesie und Kunst einzuhüllen suchte. Wohl war also die künstlerische An¬
schauung wieder erwacht und zu einem Inhalt gekommen; aber nun verlor sie sich
in ein Nebelreich von Bildern, denen das volle Leben der Gegenwart und der
feste Umriß der Form fehlte. Sie schwebte und schwärmte in schwächlichen
Empfindungen und schwankenden Gestalten. Und so mächtig der Aufschwung
K>ar, den gleichzeitig im Gegensatz zur herabsteigenden Dichtung die bildende
Kunst nahm: diese that nichts weiter, als jener Stimmung willfährig entgegen¬
kommen und ihr allerlei Spielzeug bringen, aus dem Mittelalter, den Sagen
der Vorzeit oder der christlichen Legende. Wie das Interesse an der Kunst auf
der einen Seite ein stoffliches, auf der andern ein empfindsam poetisches war.


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[0307] Krischen Ausdruck des inneren Lebens wieder auf. Nicht zwar wie ein still wirkender Trieb, der im Genuß eines in sich erfüllten Daseins diesem in der schönen Erscheinung die letzte Vollendung, sich selber die höchste Befriedigung zu geben sucht, sondern wie ein sehnsüchtiges Begehren aus der alltäglichen Prosa nach einer schöneren Welt. Schon vorher hatte diese romantische Stimmung, aus dem Elend der Zeiten in das stille Reich der Phantasie zu flüchten, in engeren Kreisen eine eigene Literatur, eine eigene Kunst hervor¬ gerufen. Nun, da mit den Freiheitskriegen in alle Gemüther wieder Hoffnung und Zuversicht gekommen war, fand sie rasch um sich greifend einen immer größeren Boden. Aber wie die Befreiung selber nur ein plötzlicher Aufschwung war, der nach vollbrachtem Werk in sich zusammenfiel und in die alte Mattig¬ keit der gewohnten Zustände zurücksank: so war auch jene romantische Stim¬ mung unfähig, die Wirklichkeit bildend und gestaltend zu ergreifen, die Welt mit klarem formenvollem Auge anzuschauen. Unterstützt von der frommen Schwärmerei, mit der das durch langes Unglück und plötzlichen Sieg erschütterte Gemüth in sich einkehrte und von der Welt abgewendet das alte Joch sich wieder aufbürden ließ, erging sie sich im Zauberreich der Märchen und ahnungs¬ voll verschwebender Gefühle. Trieb und Wunsch erwachte wieder, so schreibt einmal über diese Zeit einer der Führer der Romantik, die Kunst mit Staat und Volk zu verbinden. Aber es fehlte die Brücke zur Wirklichkeit, und je spröder diese jede Anknüpfung zurückwies, um so weniger vermochte die in sich versunkene träumerische Seele aus eigenen Mitteln den Uebergang zu finden. Nur an einem Punkte traf sie mit der Gegenwart zusammen, an dem gerade, wo diese selber in eine Vergangenheit zurückbog, die zwar dem künstlerischen Bedürfniß mit einem Reichthum bekannter Gestalten entgegenkam, doch der Wirk¬ lichkeit weder einen tieferen Inhalt, noch eine neue Form zu bringen vermochte: W der Umkehr zum kirchlichen Leben. So verflüchtigte sich die künstlerische Stimmung in eine der Realität entfremdete .Phantasie, welche im Spiel mit sich selber und allerlei alten wieder hervorgeholter Formen die ganze gegenwärtige Welt vergaß oder in das Dämmerlicht einer märchen¬ haften Poesie und Kunst einzuhüllen suchte. Wohl war also die künstlerische An¬ schauung wieder erwacht und zu einem Inhalt gekommen; aber nun verlor sie sich in ein Nebelreich von Bildern, denen das volle Leben der Gegenwart und der feste Umriß der Form fehlte. Sie schwebte und schwärmte in schwächlichen Empfindungen und schwankenden Gestalten. Und so mächtig der Aufschwung K>ar, den gleichzeitig im Gegensatz zur herabsteigenden Dichtung die bildende Kunst nahm: diese that nichts weiter, als jener Stimmung willfährig entgegen¬ kommen und ihr allerlei Spielzeug bringen, aus dem Mittelalter, den Sagen der Vorzeit oder der christlichen Legende. Wie das Interesse an der Kunst auf der einen Seite ein stoffliches, auf der andern ein empfindsam poetisches war.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/307>, abgerufen am 23.07.2024.