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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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gerade in Florenz die Kunst frei von jeder Spur solcher Technik. In der
frühen Schule von Umbrien ist es, wo sich diese Richtung geltend macht; dort
war es auch, wo die Kunst am längsten in ihrer Entwickelung stillstand.

Und dann wiederum zu behaupten, daß Leonardo der erste gewesen, der
sich von dieser Richtung losmachte und das Studium der Sculptur in An¬
regung brachte, heißt vergessen, daß Uccelli den Grund zum Studium der Plastik
legte, auf dem die Pollaiuoli und Berrochio weiter bauten. Das große und wohl-
bekannnte Perdienst, das diese Meister hatten, indem sie den Weg zu Leonardos
Große anbahnten, wird bei solcher Auffassung unbillig ignorirt. Auch dünkt
uns da ein großer Irrthum obzuwalten, wo der Herausgeber des neuen Blat¬
tes die verschiedenen Vorzüge Leonardos und Pcruginos vergleicht, die beide
Schüler in dem Atelier Vcrrochivs waren. In der Werkstatt dieses Malers
lernte" zweifellos beide Chiaroscnro und Luftperspective; aber die Zwei waren
Künstler von verschiedenem Charakter und Repräsentanten verschiedener Empsin-
dungsweiscn. Leonardo, der Philosoph und Mathematiker, hielt sich an Licht
und Schatten und gelangte durch langes und tiefes Studium zu einer vollen¬
deten Kenntniß ihrer Effecte. Perugino hingegen blieb mit Ausnahme einer
glanzvollen Periode, in welcher seine Composition mit der aller größten Floren¬
tiner wetteiferte, in dem conventionellen umbrischen Geleise. Dennoch glauben
wir nicht mit Grimm, daß er von Leonardo verdunkelt worden wäre, wenn dieser
in Florenz blieb. Denn Perugino besaß eine Eigenschaft, die Leonardo nicht hatte,
und die wohlgeeignet war, die größte Bewunderung der Zeitgenossen zu erregen.
Sein Talent für Luftperspective stand beinahe auf gleicher Höhe mit der Tech¬
nik seiner Mitschüler, aber sein Vortheil vor Leonardo bestand in seinem leb¬
haften Gefühl für Colorit. Diese Begabung machte ihn zum Modemaler, und
es ist sehr fraglich, ob er nicht noch Größeres geleistet hätte, wenn nicht die
Modebeliebtheit mit dem sich daran heftenden Hang zum Gewinn seine Kunst
bis zu dem Mechanismus überschneller Arbeit herabgewürdigt hätte.

Mehre Seiten der ersten Nummer geben unserem Vorrath authentischer
Documente eine willkommene Bereicherung. Wir können nie zu viel solcher
Originalbriefe von den Zeitgenossen Michelangelos erhalten, wie die vor uns
liegenden von Daniel von Volterra, -- aus denen wir z. B. mit Sicherheit erfah¬
ren, wo Michelangelo in Rom wohnte. -- Ebenso interessant sind auch die
Svnnetbruchstücke von Bramante, als eine Bestätigung der Angaben, die
Lomazzo und andere Geschichtschreiber über die Laufbahn des großen Architekten
machen.




gerade in Florenz die Kunst frei von jeder Spur solcher Technik. In der
frühen Schule von Umbrien ist es, wo sich diese Richtung geltend macht; dort
war es auch, wo die Kunst am längsten in ihrer Entwickelung stillstand.

Und dann wiederum zu behaupten, daß Leonardo der erste gewesen, der
sich von dieser Richtung losmachte und das Studium der Sculptur in An¬
regung brachte, heißt vergessen, daß Uccelli den Grund zum Studium der Plastik
legte, auf dem die Pollaiuoli und Berrochio weiter bauten. Das große und wohl-
bekannnte Perdienst, das diese Meister hatten, indem sie den Weg zu Leonardos
Große anbahnten, wird bei solcher Auffassung unbillig ignorirt. Auch dünkt
uns da ein großer Irrthum obzuwalten, wo der Herausgeber des neuen Blat¬
tes die verschiedenen Vorzüge Leonardos und Pcruginos vergleicht, die beide
Schüler in dem Atelier Vcrrochivs waren. In der Werkstatt dieses Malers
lernte» zweifellos beide Chiaroscnro und Luftperspective; aber die Zwei waren
Künstler von verschiedenem Charakter und Repräsentanten verschiedener Empsin-
dungsweiscn. Leonardo, der Philosoph und Mathematiker, hielt sich an Licht
und Schatten und gelangte durch langes und tiefes Studium zu einer vollen¬
deten Kenntniß ihrer Effecte. Perugino hingegen blieb mit Ausnahme einer
glanzvollen Periode, in welcher seine Composition mit der aller größten Floren¬
tiner wetteiferte, in dem conventionellen umbrischen Geleise. Dennoch glauben
wir nicht mit Grimm, daß er von Leonardo verdunkelt worden wäre, wenn dieser
in Florenz blieb. Denn Perugino besaß eine Eigenschaft, die Leonardo nicht hatte,
und die wohlgeeignet war, die größte Bewunderung der Zeitgenossen zu erregen.
Sein Talent für Luftperspective stand beinahe auf gleicher Höhe mit der Tech¬
nik seiner Mitschüler, aber sein Vortheil vor Leonardo bestand in seinem leb¬
haften Gefühl für Colorit. Diese Begabung machte ihn zum Modemaler, und
es ist sehr fraglich, ob er nicht noch Größeres geleistet hätte, wenn nicht die
Modebeliebtheit mit dem sich daran heftenden Hang zum Gewinn seine Kunst
bis zu dem Mechanismus überschneller Arbeit herabgewürdigt hätte.

Mehre Seiten der ersten Nummer geben unserem Vorrath authentischer
Documente eine willkommene Bereicherung. Wir können nie zu viel solcher
Originalbriefe von den Zeitgenossen Michelangelos erhalten, wie die vor uns
liegenden von Daniel von Volterra, — aus denen wir z. B. mit Sicherheit erfah¬
ren, wo Michelangelo in Rom wohnte. — Ebenso interessant sind auch die
Svnnetbruchstücke von Bramante, als eine Bestätigung der Angaben, die
Lomazzo und andere Geschichtschreiber über die Laufbahn des großen Architekten
machen.




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[0289] gerade in Florenz die Kunst frei von jeder Spur solcher Technik. In der frühen Schule von Umbrien ist es, wo sich diese Richtung geltend macht; dort war es auch, wo die Kunst am längsten in ihrer Entwickelung stillstand. Und dann wiederum zu behaupten, daß Leonardo der erste gewesen, der sich von dieser Richtung losmachte und das Studium der Sculptur in An¬ regung brachte, heißt vergessen, daß Uccelli den Grund zum Studium der Plastik legte, auf dem die Pollaiuoli und Berrochio weiter bauten. Das große und wohl- bekannnte Perdienst, das diese Meister hatten, indem sie den Weg zu Leonardos Große anbahnten, wird bei solcher Auffassung unbillig ignorirt. Auch dünkt uns da ein großer Irrthum obzuwalten, wo der Herausgeber des neuen Blat¬ tes die verschiedenen Vorzüge Leonardos und Pcruginos vergleicht, die beide Schüler in dem Atelier Vcrrochivs waren. In der Werkstatt dieses Malers lernte» zweifellos beide Chiaroscnro und Luftperspective; aber die Zwei waren Künstler von verschiedenem Charakter und Repräsentanten verschiedener Empsin- dungsweiscn. Leonardo, der Philosoph und Mathematiker, hielt sich an Licht und Schatten und gelangte durch langes und tiefes Studium zu einer vollen¬ deten Kenntniß ihrer Effecte. Perugino hingegen blieb mit Ausnahme einer glanzvollen Periode, in welcher seine Composition mit der aller größten Floren¬ tiner wetteiferte, in dem conventionellen umbrischen Geleise. Dennoch glauben wir nicht mit Grimm, daß er von Leonardo verdunkelt worden wäre, wenn dieser in Florenz blieb. Denn Perugino besaß eine Eigenschaft, die Leonardo nicht hatte, und die wohlgeeignet war, die größte Bewunderung der Zeitgenossen zu erregen. Sein Talent für Luftperspective stand beinahe auf gleicher Höhe mit der Tech¬ nik seiner Mitschüler, aber sein Vortheil vor Leonardo bestand in seinem leb¬ haften Gefühl für Colorit. Diese Begabung machte ihn zum Modemaler, und es ist sehr fraglich, ob er nicht noch Größeres geleistet hätte, wenn nicht die Modebeliebtheit mit dem sich daran heftenden Hang zum Gewinn seine Kunst bis zu dem Mechanismus überschneller Arbeit herabgewürdigt hätte. Mehre Seiten der ersten Nummer geben unserem Vorrath authentischer Documente eine willkommene Bereicherung. Wir können nie zu viel solcher Originalbriefe von den Zeitgenossen Michelangelos erhalten, wie die vor uns liegenden von Daniel von Volterra, — aus denen wir z. B. mit Sicherheit erfah¬ ren, wo Michelangelo in Rom wohnte. — Ebenso interessant sind auch die Svnnetbruchstücke von Bramante, als eine Bestätigung der Angaben, die Lomazzo und andere Geschichtschreiber über die Laufbahn des großen Architekten machen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/289>, abgerufen am 23.07.2024.