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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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Herausgabe des Blattes erschließen. Auf alle Fälle wird die Feder des
Herausgebers Aufsätze liefern, die durch Darstellung und Stil erfreuen. Er
ist ein liebenswürdiger und enthusiastischer Kritiker, mit der wohlthuenden
Bescheidenheit, die weder ein Urtheil mit stürmischer Hast aufdrängt, noch die
Meinung Anderer mit pedantischer Intoleranz unterschätzt. Aber er wird bei
der übernommenen Arbeit finden, daß ihm selbst die Schwierigkeiten und Zwei¬
fel sich mehren. je mehr er mit den Einzelheiten eines Gebietes vertraut wird,
das er setzt beim Beginn des Werkes wohl noch zu wenig kennt.

Er beginnt ausführlich und aufrichtig die Gründe darzulegen, die ihn zu
diesem Unternehmen bestimmten. In beredten Worten schildert er die Vortheile,
die für Staaten und Städte aus einer Pflege der Kunst erwachsen; und es
setzt nur in Erstaunen, daß diese feststehenden Wahrheiten, sei die Aufzählung
auch noch so anmuthig, seinem Publikum überhaupt noch vor Augen geführt
werden müssen.

Der erste Gegenstand, den er behandelt, ist gerade geeignet, seine Be-
fähigung stark auf die Probe zu stellen. Er spricht über Leonardo da Vinci,
den großen Florentiner, der seine Geburtsstadt verließ, um sich in der Haupt¬
stadt der Sforzas niederzulassen; der'gleich allen berühmten toscanischen Künst¬
lern eine Schule gründete, die sich in der Lombardei üppig entfaltete; der wie
Andrea del Sarto die Gastfreundschaft eines französischen Königs annahm,
und der im hohen Alter weit von der Heimath entfernt starb.

Eine richtige Beurtheilung der Leonardo zugeschriebenen Werke ist eine der
schwersten Aufgaben, an die auch ein technisch tief durchbildeter Kunstkenner
nach jahrelangem Studium noch vorsichtig heranzutreten Ursache hat.

Herr Grimm zögert nicht, seine Ansicht zu geben. Was nun die für das
berliner Museum neu erworbene Madonna mit dem Kinde betrifft, so muß hier
das Urtheil suspendirt bleiben, da Schreiber dieser Zeilen .das genannte Bild
nicht gesehen hat. Aber wir halten uns zu der Erklärung verbunden, daß wir
durchaus von seiner Ansicht da abweichen, wo es sich um den Maler des be¬
sprochenen Bildes "Schweißtuch der heiligen Veronika" handelt. Grimm will
das Bild dem Leonarde vindiciren. Allein dies Bild rührt zwar nicht von der
-Hand Correggios her, aber es gehört ganz unzweifelhaft'seiner Schule an.

Die Gründe, auf welche die Autorschaft Leonardos sich stützen soll, be¬
ruhen offenbar mehr auf einer Eingebung des Gefühls als auf einem gründ¬
lichen Studium der Technik des großen florentinischen Meisters. Ja Grimm
scheint uns überhaupt unter einem Irrthum zu leiden in Bezug auf toscanische
Kunst zur Zeit des da Vinci und der unmittelbar vorhergehenden Periode; er wird,
unserer Ansicht nach, keinen Kunstkenner von der Wahrheit seiner Behauptung
überzeugen, daß florentinische Malerei bis zur Zeit Verrochios'von miniatur¬
artiger Auffassung und Färbung beeinflußt gewesen. Im Gegentheil hielt sich


Herausgabe des Blattes erschließen. Auf alle Fälle wird die Feder des
Herausgebers Aufsätze liefern, die durch Darstellung und Stil erfreuen. Er
ist ein liebenswürdiger und enthusiastischer Kritiker, mit der wohlthuenden
Bescheidenheit, die weder ein Urtheil mit stürmischer Hast aufdrängt, noch die
Meinung Anderer mit pedantischer Intoleranz unterschätzt. Aber er wird bei
der übernommenen Arbeit finden, daß ihm selbst die Schwierigkeiten und Zwei¬
fel sich mehren. je mehr er mit den Einzelheiten eines Gebietes vertraut wird,
das er setzt beim Beginn des Werkes wohl noch zu wenig kennt.

Er beginnt ausführlich und aufrichtig die Gründe darzulegen, die ihn zu
diesem Unternehmen bestimmten. In beredten Worten schildert er die Vortheile,
die für Staaten und Städte aus einer Pflege der Kunst erwachsen; und es
setzt nur in Erstaunen, daß diese feststehenden Wahrheiten, sei die Aufzählung
auch noch so anmuthig, seinem Publikum überhaupt noch vor Augen geführt
werden müssen.

Der erste Gegenstand, den er behandelt, ist gerade geeignet, seine Be-
fähigung stark auf die Probe zu stellen. Er spricht über Leonardo da Vinci,
den großen Florentiner, der seine Geburtsstadt verließ, um sich in der Haupt¬
stadt der Sforzas niederzulassen; der'gleich allen berühmten toscanischen Künst¬
lern eine Schule gründete, die sich in der Lombardei üppig entfaltete; der wie
Andrea del Sarto die Gastfreundschaft eines französischen Königs annahm,
und der im hohen Alter weit von der Heimath entfernt starb.

Eine richtige Beurtheilung der Leonardo zugeschriebenen Werke ist eine der
schwersten Aufgaben, an die auch ein technisch tief durchbildeter Kunstkenner
nach jahrelangem Studium noch vorsichtig heranzutreten Ursache hat.

Herr Grimm zögert nicht, seine Ansicht zu geben. Was nun die für das
berliner Museum neu erworbene Madonna mit dem Kinde betrifft, so muß hier
das Urtheil suspendirt bleiben, da Schreiber dieser Zeilen .das genannte Bild
nicht gesehen hat. Aber wir halten uns zu der Erklärung verbunden, daß wir
durchaus von seiner Ansicht da abweichen, wo es sich um den Maler des be¬
sprochenen Bildes „Schweißtuch der heiligen Veronika" handelt. Grimm will
das Bild dem Leonarde vindiciren. Allein dies Bild rührt zwar nicht von der
-Hand Correggios her, aber es gehört ganz unzweifelhaft'seiner Schule an.

Die Gründe, auf welche die Autorschaft Leonardos sich stützen soll, be¬
ruhen offenbar mehr auf einer Eingebung des Gefühls als auf einem gründ¬
lichen Studium der Technik des großen florentinischen Meisters. Ja Grimm
scheint uns überhaupt unter einem Irrthum zu leiden in Bezug auf toscanische
Kunst zur Zeit des da Vinci und der unmittelbar vorhergehenden Periode; er wird,
unserer Ansicht nach, keinen Kunstkenner von der Wahrheit seiner Behauptung
überzeugen, daß florentinische Malerei bis zur Zeit Verrochios'von miniatur¬
artiger Auffassung und Färbung beeinflußt gewesen. Im Gegentheil hielt sich


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[0288] Herausgabe des Blattes erschließen. Auf alle Fälle wird die Feder des Herausgebers Aufsätze liefern, die durch Darstellung und Stil erfreuen. Er ist ein liebenswürdiger und enthusiastischer Kritiker, mit der wohlthuenden Bescheidenheit, die weder ein Urtheil mit stürmischer Hast aufdrängt, noch die Meinung Anderer mit pedantischer Intoleranz unterschätzt. Aber er wird bei der übernommenen Arbeit finden, daß ihm selbst die Schwierigkeiten und Zwei¬ fel sich mehren. je mehr er mit den Einzelheiten eines Gebietes vertraut wird, das er setzt beim Beginn des Werkes wohl noch zu wenig kennt. Er beginnt ausführlich und aufrichtig die Gründe darzulegen, die ihn zu diesem Unternehmen bestimmten. In beredten Worten schildert er die Vortheile, die für Staaten und Städte aus einer Pflege der Kunst erwachsen; und es setzt nur in Erstaunen, daß diese feststehenden Wahrheiten, sei die Aufzählung auch noch so anmuthig, seinem Publikum überhaupt noch vor Augen geführt werden müssen. Der erste Gegenstand, den er behandelt, ist gerade geeignet, seine Be- fähigung stark auf die Probe zu stellen. Er spricht über Leonardo da Vinci, den großen Florentiner, der seine Geburtsstadt verließ, um sich in der Haupt¬ stadt der Sforzas niederzulassen; der'gleich allen berühmten toscanischen Künst¬ lern eine Schule gründete, die sich in der Lombardei üppig entfaltete; der wie Andrea del Sarto die Gastfreundschaft eines französischen Königs annahm, und der im hohen Alter weit von der Heimath entfernt starb. Eine richtige Beurtheilung der Leonardo zugeschriebenen Werke ist eine der schwersten Aufgaben, an die auch ein technisch tief durchbildeter Kunstkenner nach jahrelangem Studium noch vorsichtig heranzutreten Ursache hat. Herr Grimm zögert nicht, seine Ansicht zu geben. Was nun die für das berliner Museum neu erworbene Madonna mit dem Kinde betrifft, so muß hier das Urtheil suspendirt bleiben, da Schreiber dieser Zeilen .das genannte Bild nicht gesehen hat. Aber wir halten uns zu der Erklärung verbunden, daß wir durchaus von seiner Ansicht da abweichen, wo es sich um den Maler des be¬ sprochenen Bildes „Schweißtuch der heiligen Veronika" handelt. Grimm will das Bild dem Leonarde vindiciren. Allein dies Bild rührt zwar nicht von der -Hand Correggios her, aber es gehört ganz unzweifelhaft'seiner Schule an. Die Gründe, auf welche die Autorschaft Leonardos sich stützen soll, be¬ ruhen offenbar mehr auf einer Eingebung des Gefühls als auf einem gründ¬ lichen Studium der Technik des großen florentinischen Meisters. Ja Grimm scheint uns überhaupt unter einem Irrthum zu leiden in Bezug auf toscanische Kunst zur Zeit des da Vinci und der unmittelbar vorhergehenden Periode; er wird, unserer Ansicht nach, keinen Kunstkenner von der Wahrheit seiner Behauptung überzeugen, daß florentinische Malerei bis zur Zeit Verrochios'von miniatur¬ artiger Auffassung und Färbung beeinflußt gewesen. Im Gegentheil hielt sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/288>, abgerufen am 23.07.2024.