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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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darauf angewiesen, die Schöpfungen der Vergangenheit aus ihrem orga¬
nischen Zusammenhange, dem lebendigen Rahmen der Wirklichkeit, in dem sie
allein ihre volle Wirkung, ihre naturgemäße Stelle haben, herauszunehmen
und in todter abstracter Häufung, in einem verwirrenden, den Eindruck ab¬
schwächenden und den Beschauer betäubenden Nebeneinander zu vereinigen. Wie
im Staate die gesetzliche und polizeiliche Ordnung jede Individualität abstumpft,
ihrem thatkräftigen Heraustreten Schranke auf Schranke entgegensetzt und sie
mit allen übrigen in eine gleiche verwaschene Linie stellt: ganz so ist im Mu¬
seum das Kunstwerk behandelt und ihm sein Platz gegeben, wie wenn es über¬
haupt keine Geltung für sich, kein eigenes Leben hätte. So ist es dem Be¬
schauer überlassen, in der ermüdenden zerstreuenden Menge sich zurechtzufinden,
sich das Einzelne mit angestrengter Aufmerksamkeit herauszuholen und Auge,
Phantasie und Seele in seinen Anblick zusammenschließend, es zum Leben, zur
unverkümmerten Wirkung wieder zu erwärmen. Ihrerseits muß die Sammlung
wenigstens so viel als möglich dieser Arbeit entgegenkommen, die betrachtende,
genießende Stimmung anregen und steigern. Sie hat einmal die Kunstwerke
nach Schulen und Perioden zu ordnen, um den leitenden geschichtlichen Faden
an die Hand zu geben; dann aber vor allem -- und dies muß der vor¬
nehmste Gesichtspunkt der Aufstellung sein -- die Meisterwerke in das gün¬
stigste Licht, an die besten Plätze zu bringen, ihnen die Producte von geringe¬
rer Vollendung nachzusetzen und so dem Blick die Unterscheidung zu erleichtern
Zwischen dem, was ihn mit ewiger Schönheit zu fesseln vermag und dem. was
ihn mehr durch seinen historischen Werth anzieht, als durch seinen rein künst¬
lerischen. Das Zweite, was jeder Sammlung vorab anliegen muß, versteht
sich eigentlich von selber: es ist die sorgfältige Erhaltung und Pflege der in
ihre stillen Räume geretteten Kunstdenkmäler. Die Vortheile der Museen
bestehen darin, daß sie, was sonst zerstreut und weit auseinanderliegt, für
die geschichtliche Betrachtung zusammenfassen, und das erhalten, was sonst
vielleicht unter der Gewalt der Umstände und dem zerstörenden Spiel des
Zufalls zu Grunde gegangen wäre. Natürlich also, daß ihre Schätze mit
der größten Sorgfalt so viel als möglich auch vor dem allmählichen Ver¬
gehen, dem vernichtenden Einflüsse der Zeit geschützt und, wenn sie schon ge¬
litten, so weit wieder hergestellt werden, als sich das thun läßt, ohne das
Erhaltene und den Charakter des Kunstwerks auch nur im Geringsten zu beein¬
trächtigen.

So selbstverständlich sind diese einfachen Grundsätze, daß es ganz überflüssig
scheint, sie zu wiederholen. Und dennoch müssen wir hier, wo auf die Samm¬
lungen die Rede kam. derselben wohl gedenken, da sie in München eine Zeit lang
fast vergessen schienen. Es handelt sich -- wie der Leser vielleicht schon weiß,
ha die Sache zum Streitobject in öffentlichen Blättern geworden -- um die
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darauf angewiesen, die Schöpfungen der Vergangenheit aus ihrem orga¬
nischen Zusammenhange, dem lebendigen Rahmen der Wirklichkeit, in dem sie
allein ihre volle Wirkung, ihre naturgemäße Stelle haben, herauszunehmen
und in todter abstracter Häufung, in einem verwirrenden, den Eindruck ab¬
schwächenden und den Beschauer betäubenden Nebeneinander zu vereinigen. Wie
im Staate die gesetzliche und polizeiliche Ordnung jede Individualität abstumpft,
ihrem thatkräftigen Heraustreten Schranke auf Schranke entgegensetzt und sie
mit allen übrigen in eine gleiche verwaschene Linie stellt: ganz so ist im Mu¬
seum das Kunstwerk behandelt und ihm sein Platz gegeben, wie wenn es über¬
haupt keine Geltung für sich, kein eigenes Leben hätte. So ist es dem Be¬
schauer überlassen, in der ermüdenden zerstreuenden Menge sich zurechtzufinden,
sich das Einzelne mit angestrengter Aufmerksamkeit herauszuholen und Auge,
Phantasie und Seele in seinen Anblick zusammenschließend, es zum Leben, zur
unverkümmerten Wirkung wieder zu erwärmen. Ihrerseits muß die Sammlung
wenigstens so viel als möglich dieser Arbeit entgegenkommen, die betrachtende,
genießende Stimmung anregen und steigern. Sie hat einmal die Kunstwerke
nach Schulen und Perioden zu ordnen, um den leitenden geschichtlichen Faden
an die Hand zu geben; dann aber vor allem — und dies muß der vor¬
nehmste Gesichtspunkt der Aufstellung sein — die Meisterwerke in das gün¬
stigste Licht, an die besten Plätze zu bringen, ihnen die Producte von geringe¬
rer Vollendung nachzusetzen und so dem Blick die Unterscheidung zu erleichtern
Zwischen dem, was ihn mit ewiger Schönheit zu fesseln vermag und dem. was
ihn mehr durch seinen historischen Werth anzieht, als durch seinen rein künst¬
lerischen. Das Zweite, was jeder Sammlung vorab anliegen muß, versteht
sich eigentlich von selber: es ist die sorgfältige Erhaltung und Pflege der in
ihre stillen Räume geretteten Kunstdenkmäler. Die Vortheile der Museen
bestehen darin, daß sie, was sonst zerstreut und weit auseinanderliegt, für
die geschichtliche Betrachtung zusammenfassen, und das erhalten, was sonst
vielleicht unter der Gewalt der Umstände und dem zerstörenden Spiel des
Zufalls zu Grunde gegangen wäre. Natürlich also, daß ihre Schätze mit
der größten Sorgfalt so viel als möglich auch vor dem allmählichen Ver¬
gehen, dem vernichtenden Einflüsse der Zeit geschützt und, wenn sie schon ge¬
litten, so weit wieder hergestellt werden, als sich das thun läßt, ohne das
Erhaltene und den Charakter des Kunstwerks auch nur im Geringsten zu beein¬
trächtigen.

So selbstverständlich sind diese einfachen Grundsätze, daß es ganz überflüssig
scheint, sie zu wiederholen. Und dennoch müssen wir hier, wo auf die Samm¬
lungen die Rede kam. derselben wohl gedenken, da sie in München eine Zeit lang
fast vergessen schienen. Es handelt sich — wie der Leser vielleicht schon weiß,
ha die Sache zum Streitobject in öffentlichen Blättern geworden — um die
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[0235] darauf angewiesen, die Schöpfungen der Vergangenheit aus ihrem orga¬ nischen Zusammenhange, dem lebendigen Rahmen der Wirklichkeit, in dem sie allein ihre volle Wirkung, ihre naturgemäße Stelle haben, herauszunehmen und in todter abstracter Häufung, in einem verwirrenden, den Eindruck ab¬ schwächenden und den Beschauer betäubenden Nebeneinander zu vereinigen. Wie im Staate die gesetzliche und polizeiliche Ordnung jede Individualität abstumpft, ihrem thatkräftigen Heraustreten Schranke auf Schranke entgegensetzt und sie mit allen übrigen in eine gleiche verwaschene Linie stellt: ganz so ist im Mu¬ seum das Kunstwerk behandelt und ihm sein Platz gegeben, wie wenn es über¬ haupt keine Geltung für sich, kein eigenes Leben hätte. So ist es dem Be¬ schauer überlassen, in der ermüdenden zerstreuenden Menge sich zurechtzufinden, sich das Einzelne mit angestrengter Aufmerksamkeit herauszuholen und Auge, Phantasie und Seele in seinen Anblick zusammenschließend, es zum Leben, zur unverkümmerten Wirkung wieder zu erwärmen. Ihrerseits muß die Sammlung wenigstens so viel als möglich dieser Arbeit entgegenkommen, die betrachtende, genießende Stimmung anregen und steigern. Sie hat einmal die Kunstwerke nach Schulen und Perioden zu ordnen, um den leitenden geschichtlichen Faden an die Hand zu geben; dann aber vor allem — und dies muß der vor¬ nehmste Gesichtspunkt der Aufstellung sein — die Meisterwerke in das gün¬ stigste Licht, an die besten Plätze zu bringen, ihnen die Producte von geringe¬ rer Vollendung nachzusetzen und so dem Blick die Unterscheidung zu erleichtern Zwischen dem, was ihn mit ewiger Schönheit zu fesseln vermag und dem. was ihn mehr durch seinen historischen Werth anzieht, als durch seinen rein künst¬ lerischen. Das Zweite, was jeder Sammlung vorab anliegen muß, versteht sich eigentlich von selber: es ist die sorgfältige Erhaltung und Pflege der in ihre stillen Räume geretteten Kunstdenkmäler. Die Vortheile der Museen bestehen darin, daß sie, was sonst zerstreut und weit auseinanderliegt, für die geschichtliche Betrachtung zusammenfassen, und das erhalten, was sonst vielleicht unter der Gewalt der Umstände und dem zerstörenden Spiel des Zufalls zu Grunde gegangen wäre. Natürlich also, daß ihre Schätze mit der größten Sorgfalt so viel als möglich auch vor dem allmählichen Ver¬ gehen, dem vernichtenden Einflüsse der Zeit geschützt und, wenn sie schon ge¬ litten, so weit wieder hergestellt werden, als sich das thun läßt, ohne das Erhaltene und den Charakter des Kunstwerks auch nur im Geringsten zu beein¬ trächtigen. So selbstverständlich sind diese einfachen Grundsätze, daß es ganz überflüssig scheint, sie zu wiederholen. Und dennoch müssen wir hier, wo auf die Samm¬ lungen die Rede kam. derselben wohl gedenken, da sie in München eine Zeit lang fast vergessen schienen. Es handelt sich — wie der Leser vielleicht schon weiß, ha die Sache zum Streitobject in öffentlichen Blättern geworden — um die * 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/235>, abgerufen am 23.07.2024.