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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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größer, als für den Einzelnen der den- gleichmäßigen oder gesteigerten Gehaltes.
Aber ist letzterer nicht bei Vielen der Kernpunkt des ganzen Eiferns gegen die
Reform der Zwangscollegia? schützte denn das Zwangscolleg irgendwie gegen
Unwissenschaftlichkeit, Trägheit oder Unbilligkeit der Studenten, gegen Con-
currenz der Lehrenden?

Bei Aufzählung der Gegenstände des Examens ist leider nicht die aus¬
führlichere Reihenfolge des alten Studienplanes, sondern das kurze Verzeich¬
nis) aus der Verfügung vom 16. November 1844 zu Grunde gelegt. So
nimmt das rechtshistorisch sehr wichtige, rechtspraktisch aber fast unwichtige
Lehnrecht einen eigenen Platz ein, während es kaum irgendwo als Separat-
colleg, meist in der deutschen Rechtsgeschichte und im deutschen Privatrechte
behandelt wird; dagegen ist das Wechsel-, See-und Handelsrecht, rechtsgeschicht¬
lich und rechtspraktisch von gleichgroßer Bedeutung, nur als selbstverständlich
in dem deutschen Privatrecht einbegriffen angesehn, daher selbständig gar nicht
genannt, während es fast überall als gesonderte Vorlesung behandelt wird und
werden muß. Ganz fortgelassen, sind aus der frühern Zahl 1) die Logik; wir
hätten statt dessen die Zufügung der Psychologie zur Logik gewünscht, damit
die Studenten durch das Examen gezwungen auf eine gründlichere philo¬
sophische Vorbildung hingewiesen wären und nicht in ihrem jetzt naheliegenden
unphilosophischen Betriebe der Wissenschaft noch bestärkt würden, ferner 2) die
juristische Encyklopädie und Methodologie; ein Examinationsgegenstand konnte
diese Disciplin selbstverständlich nicht sein, hoffentlich werden die Studenten
bei den jetzt gesteigerten Anforderungen um so mehr veranlaßt sein, sich in
diesem Colleg den dringend nöthigen allgemeinen Ueber- und Einblick in ihre
Wissenschaft zu gewinnen und zu erhalten, endlich 3) die gerichtliche Medicin;
ihr Platz im Studienplane war sehr begründet, sie gab den Criminalisten treff¬
liche Anleitung, das für sie besonders wichtige und interessante Gebiet in der
Praxis sich theoretisch und praktisch zugleich anzueignen. Leider scheint die Re¬
gierung das Aussterben der allseitig durchgebildeten namhaften Crimina¬
listen begünstigen zu wollen. Im Uebrigen verblieben die alten Prüfungs¬
gegenstände, sie tragen ihre Nothwendigkeit in sich, das staatswissenschaftliche
(volkswirthschaftliche) nicht ausgenommen. -- Die schriftliche, selbständige Ar¬
beit ist gewiß ein ganz besonderer Vorzug der neuen Ordnung; bei richtiger,
angemessen strenger Handhabung derselben werden gerade in ihr die Candidaten
eine Probe des Eindringens in ein specielles Rechtsinstitut und der juristischen
Urtheilskraft geben.

Die Bestimmungen über den Ort des Examens sind geboten durch die
Zusammensetzung der Prüfenden. Nur Bonn und Halle senden ihre Universitäts-


größer, als für den Einzelnen der den- gleichmäßigen oder gesteigerten Gehaltes.
Aber ist letzterer nicht bei Vielen der Kernpunkt des ganzen Eiferns gegen die
Reform der Zwangscollegia? schützte denn das Zwangscolleg irgendwie gegen
Unwissenschaftlichkeit, Trägheit oder Unbilligkeit der Studenten, gegen Con-
currenz der Lehrenden?

Bei Aufzählung der Gegenstände des Examens ist leider nicht die aus¬
führlichere Reihenfolge des alten Studienplanes, sondern das kurze Verzeich¬
nis) aus der Verfügung vom 16. November 1844 zu Grunde gelegt. So
nimmt das rechtshistorisch sehr wichtige, rechtspraktisch aber fast unwichtige
Lehnrecht einen eigenen Platz ein, während es kaum irgendwo als Separat-
colleg, meist in der deutschen Rechtsgeschichte und im deutschen Privatrechte
behandelt wird; dagegen ist das Wechsel-, See-und Handelsrecht, rechtsgeschicht¬
lich und rechtspraktisch von gleichgroßer Bedeutung, nur als selbstverständlich
in dem deutschen Privatrecht einbegriffen angesehn, daher selbständig gar nicht
genannt, während es fast überall als gesonderte Vorlesung behandelt wird und
werden muß. Ganz fortgelassen, sind aus der frühern Zahl 1) die Logik; wir
hätten statt dessen die Zufügung der Psychologie zur Logik gewünscht, damit
die Studenten durch das Examen gezwungen auf eine gründlichere philo¬
sophische Vorbildung hingewiesen wären und nicht in ihrem jetzt naheliegenden
unphilosophischen Betriebe der Wissenschaft noch bestärkt würden, ferner 2) die
juristische Encyklopädie und Methodologie; ein Examinationsgegenstand konnte
diese Disciplin selbstverständlich nicht sein, hoffentlich werden die Studenten
bei den jetzt gesteigerten Anforderungen um so mehr veranlaßt sein, sich in
diesem Colleg den dringend nöthigen allgemeinen Ueber- und Einblick in ihre
Wissenschaft zu gewinnen und zu erhalten, endlich 3) die gerichtliche Medicin;
ihr Platz im Studienplane war sehr begründet, sie gab den Criminalisten treff¬
liche Anleitung, das für sie besonders wichtige und interessante Gebiet in der
Praxis sich theoretisch und praktisch zugleich anzueignen. Leider scheint die Re¬
gierung das Aussterben der allseitig durchgebildeten namhaften Crimina¬
listen begünstigen zu wollen. Im Uebrigen verblieben die alten Prüfungs¬
gegenstände, sie tragen ihre Nothwendigkeit in sich, das staatswissenschaftliche
(volkswirthschaftliche) nicht ausgenommen. — Die schriftliche, selbständige Ar¬
beit ist gewiß ein ganz besonderer Vorzug der neuen Ordnung; bei richtiger,
angemessen strenger Handhabung derselben werden gerade in ihr die Candidaten
eine Probe des Eindringens in ein specielles Rechtsinstitut und der juristischen
Urtheilskraft geben.

Die Bestimmungen über den Ort des Examens sind geboten durch die
Zusammensetzung der Prüfenden. Nur Bonn und Halle senden ihre Universitäts-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/223>, abgerufen am 23.07.2024.