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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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Es war die Zeit gekommen, wie sie bei jedem erbitterten politischen Kampfe
eintritt, wo die Mitglieder der Opposition im Nothfall sich opfern mußten.
Sie haben das nicht gethan, d.as Ministerium hat sich befestigt, sie selbst
ringen seitdem mit dem Uebelstand, welcher für jede Partei schädlich ist. daß sie
ohne Erfolg streiten. Dieser Uebelstand würde ihnen den Wählern gegen¬
über noch empfindlicher gewesen sein, wenn nicht das herrschende System in
seinem Parteieifer vieles thäte, die Unzufriedenheit in den kleinen Kreisen des
Volkes zu nähren. Jede Nichtbestätigung eines Stadtraths, jede Strafversetzung
eines Kreisrichters, die Preßprocesse, tedenziöse Erlasse der Landräthe, arbeiten
für die Opposition und hindern die Regierung unter den Wählern populär zu
werden. So darf man sagen, daß die Regierung seit dem Sommer des
Jahres 1863 der beste Helfer der Opposition geworden ist.

Demungeachtet war auch im Volke das Bedürfniß nach Versöhnung sehr
lebendig geworden; wie verlautet haben viele Abgeordnete den Wunsch der
Wähler zur Hauptstadt genommen, daß sie zu einem erträglichen Frieden die
Hand bieten möchten. Nirgend aber kann dieser Wunsch lebhafter sein, als
bei der preußischen Partei außerhalb des Landes. Denn wir empfinden weniger
die Bitterkeit der innern Zustände und vorzugsweise die Einbuße, welche das
Ansehn des Staates durch den ungesühnten Zwiespalt erfährt. Aber man hat
den Abgeordneten keine Wahl gelassen als Unterwerfung unter die Gcsetzinter-
Pretationen der Regierung oder Fortsetzung des Streites. Die erste Woche des
Landtages läßt bereits erkennen, daß er in der" alten Weise fortgeführt werden
wird. Beide Theile haben verzichtet, ihn in dieser Session zu beenden. Die
Opposition hat demnach keine nähere Aufgabe als die Sympathien der Wähler
für eine neue Wahl sich zu erhalten, die Regierung muß dagegen den Wunsch
hegen, das Ansehn der Opposition herabzudrücken.

Von diesem Standpunkte ist das Thun der Kämpfenden zu beurtheilen.
Ob die Rede des Präsidenten Grabow. ob die Ablehnung der Adresse zu loben
war oder nicht, das hängt ganz von dem Erfolg ab, den diese Maßnahmen
zunächst auf die Wähler in Preußen haben. Darüber steht den Abgeordneten
besseres Urtheil zu als uns.

Das Haus war in seinem Rechte, als es die Wahl des Abgeordneten
H. V. Tettau für ungiltig erklärte und den nach der Wahlvcrhandlung unzweifel¬
haft durch die Majorität der Wähler ernannten Herrn v. Säulen-Julicnfelde
durch den Präsidenten des Hauses auffordern ließ, seinen Sitz einzunehmen.
Das Haus hat nicht nur das Recht zu entscheiden, ob eine Wahl ungiltig sei,
sondern auch ob die durch den Wahlcommisssar einem Candidaten abgesprochene
Mehrheit der Stimmen diesem zukomme. Wenn die königliche Staatsregierung
gegen das Recht des Hauses, Herrn von Säulen einzuberufen, zunächst deshalb
protestirte, weil nur der Wahlcommissar das Recht habe, den Gewählten, von der


Es war die Zeit gekommen, wie sie bei jedem erbitterten politischen Kampfe
eintritt, wo die Mitglieder der Opposition im Nothfall sich opfern mußten.
Sie haben das nicht gethan, d.as Ministerium hat sich befestigt, sie selbst
ringen seitdem mit dem Uebelstand, welcher für jede Partei schädlich ist. daß sie
ohne Erfolg streiten. Dieser Uebelstand würde ihnen den Wählern gegen¬
über noch empfindlicher gewesen sein, wenn nicht das herrschende System in
seinem Parteieifer vieles thäte, die Unzufriedenheit in den kleinen Kreisen des
Volkes zu nähren. Jede Nichtbestätigung eines Stadtraths, jede Strafversetzung
eines Kreisrichters, die Preßprocesse, tedenziöse Erlasse der Landräthe, arbeiten
für die Opposition und hindern die Regierung unter den Wählern populär zu
werden. So darf man sagen, daß die Regierung seit dem Sommer des
Jahres 1863 der beste Helfer der Opposition geworden ist.

Demungeachtet war auch im Volke das Bedürfniß nach Versöhnung sehr
lebendig geworden; wie verlautet haben viele Abgeordnete den Wunsch der
Wähler zur Hauptstadt genommen, daß sie zu einem erträglichen Frieden die
Hand bieten möchten. Nirgend aber kann dieser Wunsch lebhafter sein, als
bei der preußischen Partei außerhalb des Landes. Denn wir empfinden weniger
die Bitterkeit der innern Zustände und vorzugsweise die Einbuße, welche das
Ansehn des Staates durch den ungesühnten Zwiespalt erfährt. Aber man hat
den Abgeordneten keine Wahl gelassen als Unterwerfung unter die Gcsetzinter-
Pretationen der Regierung oder Fortsetzung des Streites. Die erste Woche des
Landtages läßt bereits erkennen, daß er in der» alten Weise fortgeführt werden
wird. Beide Theile haben verzichtet, ihn in dieser Session zu beenden. Die
Opposition hat demnach keine nähere Aufgabe als die Sympathien der Wähler
für eine neue Wahl sich zu erhalten, die Regierung muß dagegen den Wunsch
hegen, das Ansehn der Opposition herabzudrücken.

Von diesem Standpunkte ist das Thun der Kämpfenden zu beurtheilen.
Ob die Rede des Präsidenten Grabow. ob die Ablehnung der Adresse zu loben
war oder nicht, das hängt ganz von dem Erfolg ab, den diese Maßnahmen
zunächst auf die Wähler in Preußen haben. Darüber steht den Abgeordneten
besseres Urtheil zu als uns.

Das Haus war in seinem Rechte, als es die Wahl des Abgeordneten
H. V. Tettau für ungiltig erklärte und den nach der Wahlvcrhandlung unzweifel¬
haft durch die Majorität der Wähler ernannten Herrn v. Säulen-Julicnfelde
durch den Präsidenten des Hauses auffordern ließ, seinen Sitz einzunehmen.
Das Haus hat nicht nur das Recht zu entscheiden, ob eine Wahl ungiltig sei,
sondern auch ob die durch den Wahlcommisssar einem Candidaten abgesprochene
Mehrheit der Stimmen diesem zukomme. Wenn die königliche Staatsregierung
gegen das Recht des Hauses, Herrn von Säulen einzuberufen, zunächst deshalb
protestirte, weil nur der Wahlcommissar das Recht habe, den Gewählten, von der


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[0213] Es war die Zeit gekommen, wie sie bei jedem erbitterten politischen Kampfe eintritt, wo die Mitglieder der Opposition im Nothfall sich opfern mußten. Sie haben das nicht gethan, d.as Ministerium hat sich befestigt, sie selbst ringen seitdem mit dem Uebelstand, welcher für jede Partei schädlich ist. daß sie ohne Erfolg streiten. Dieser Uebelstand würde ihnen den Wählern gegen¬ über noch empfindlicher gewesen sein, wenn nicht das herrschende System in seinem Parteieifer vieles thäte, die Unzufriedenheit in den kleinen Kreisen des Volkes zu nähren. Jede Nichtbestätigung eines Stadtraths, jede Strafversetzung eines Kreisrichters, die Preßprocesse, tedenziöse Erlasse der Landräthe, arbeiten für die Opposition und hindern die Regierung unter den Wählern populär zu werden. So darf man sagen, daß die Regierung seit dem Sommer des Jahres 1863 der beste Helfer der Opposition geworden ist. Demungeachtet war auch im Volke das Bedürfniß nach Versöhnung sehr lebendig geworden; wie verlautet haben viele Abgeordnete den Wunsch der Wähler zur Hauptstadt genommen, daß sie zu einem erträglichen Frieden die Hand bieten möchten. Nirgend aber kann dieser Wunsch lebhafter sein, als bei der preußischen Partei außerhalb des Landes. Denn wir empfinden weniger die Bitterkeit der innern Zustände und vorzugsweise die Einbuße, welche das Ansehn des Staates durch den ungesühnten Zwiespalt erfährt. Aber man hat den Abgeordneten keine Wahl gelassen als Unterwerfung unter die Gcsetzinter- Pretationen der Regierung oder Fortsetzung des Streites. Die erste Woche des Landtages läßt bereits erkennen, daß er in der» alten Weise fortgeführt werden wird. Beide Theile haben verzichtet, ihn in dieser Session zu beenden. Die Opposition hat demnach keine nähere Aufgabe als die Sympathien der Wähler für eine neue Wahl sich zu erhalten, die Regierung muß dagegen den Wunsch hegen, das Ansehn der Opposition herabzudrücken. Von diesem Standpunkte ist das Thun der Kämpfenden zu beurtheilen. Ob die Rede des Präsidenten Grabow. ob die Ablehnung der Adresse zu loben war oder nicht, das hängt ganz von dem Erfolg ab, den diese Maßnahmen zunächst auf die Wähler in Preußen haben. Darüber steht den Abgeordneten besseres Urtheil zu als uns. Das Haus war in seinem Rechte, als es die Wahl des Abgeordneten H. V. Tettau für ungiltig erklärte und den nach der Wahlvcrhandlung unzweifel¬ haft durch die Majorität der Wähler ernannten Herrn v. Säulen-Julicnfelde durch den Präsidenten des Hauses auffordern ließ, seinen Sitz einzunehmen. Das Haus hat nicht nur das Recht zu entscheiden, ob eine Wahl ungiltig sei, sondern auch ob die durch den Wahlcommisssar einem Candidaten abgesprochene Mehrheit der Stimmen diesem zukomme. Wenn die königliche Staatsregierung gegen das Recht des Hauses, Herrn von Säulen einzuberufen, zunächst deshalb protestirte, weil nur der Wahlcommissar das Recht habe, den Gewählten, von der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/213>, abgerufen am 23.07.2024.