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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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selten in Preußen höheres Urtheil erweisen, als einzelne Stimmen der preu¬
ßischen Presse, welche vorschnell die Knöchlein des Vogels vertheilen, den man
leider noch gar nicht in der Hand hat. Wenn der Ministerpräsident auf dem
eingeschlagenen Wege die Einverleibung nicht durchzusetzen vermag, so wird er
das künftige Bundesverhältniß der Herzogthümer zu Preußen doch so fassen,
daß Land und Volk sich nicht in neue Bande eingeschnürt und nicht als Va-
salienprovinz empfinden. Kanal, Marine und Vertretung der realen Interessen
im Auslande, das ist für Preußen und die Herzogthümer bei weitem die Haupt¬
sache, Sogar auf die Bundesfestung Rendsburg ist kein großer Werth zu legen,
denn in der neuen Kriegführung haben Festungen überhaupt ihre alte Bedeu¬
tung verloren, auch für das Heer der Herzogthümer wird Anlehnung an die
preußischen Heereseinrichtungen genügen. In den inneren Angelegenheiten soll
man die Herzogthümer vorläufig sich selbst überlassen, die Kämpfe der Parteien,
welche dort bevorstehen, und die Schwierigkeiten einer neuen Organisation, die
dem Lande höchst nöthig ist. mögen sich zunächst ohne preußische Einwirkung
herausarbeiten. Die Schleswig-Holsteiner sollen Preußen als ihren Bundesge¬
nossen und Beschützer ehren, nicht als Tyrannen fürchten.

Freilich wenn Herrn von Bismarck gelungen wäre, mit Unterstützung der
liberalen Partei die Schleswig-holsteinische Sache zu Ende zu führen, könnte das
Ziel ein höheres, das Resultat für Preußen und Deutschland förderlicher ge¬
wesen sein. Der Geist dieses Staatsmannes ist elastisch und fruchtbar an Plä¬
nen, aber auch ihm wird Schicksal das System, mit dem er herausgekommen
und die Bundesgenossenschaft, welche er nicht entbehren kann. Man frohlockt
in Preußen noch über die Erfolge, welche das gegenwärtige Ministerium er¬
rungen hat, wir wünschen sie dem Staate, aber wir sehen sie nicht.

Auch in den innern Kämpfen ist kein Fortschritt sichtbar noch nahe Be¬
endigung zu hoffen. Wir sind als Liberale verpflichtet zu der Opposition zu
halten, welche jetzt allein die großen Grundsätze unserer Partei in den preu¬
ßischen Kammern vertritt, und wir halten ein abfälliges Beurtheilen ihrer
Taktik nach jeder Hinsicht für schädlich. Aber es ist unmöglich die Betrachtung
fern zu halten, daß auch der Opposition die Aussichten auf einen Sieg ver¬
ringert sind. Nicht vorzugsweise durch die Thatkraft der Gegner. Der Ver¬
fassungskampf, welcher in Preußen seit Auflösung der altliberalen Partei ent¬
brannte, bedürfte nach der Art und Weise, wie er einmal begonnen wurde, schneller
Erfolge, vielleicht ein großes Wagen. Bis zu den Juniordonnanzen des Jahres
1863 war die Opposition in der That, was sie nach ihrem Ursprung sein
mußte, der angreifende Theil; seitdem ist sie in die Defensive herabgedrückt.
Damals war der Conflict zu einer Höhe getrieben, welcher nicht mehr in den
Wänden des Abgeordnetenhauses ausgefochten werden konnte und die höchsten
Anforderungen an den politischen Charakter der einzelnen Abgeordneten machte.


selten in Preußen höheres Urtheil erweisen, als einzelne Stimmen der preu¬
ßischen Presse, welche vorschnell die Knöchlein des Vogels vertheilen, den man
leider noch gar nicht in der Hand hat. Wenn der Ministerpräsident auf dem
eingeschlagenen Wege die Einverleibung nicht durchzusetzen vermag, so wird er
das künftige Bundesverhältniß der Herzogthümer zu Preußen doch so fassen,
daß Land und Volk sich nicht in neue Bande eingeschnürt und nicht als Va-
salienprovinz empfinden. Kanal, Marine und Vertretung der realen Interessen
im Auslande, das ist für Preußen und die Herzogthümer bei weitem die Haupt¬
sache, Sogar auf die Bundesfestung Rendsburg ist kein großer Werth zu legen,
denn in der neuen Kriegführung haben Festungen überhaupt ihre alte Bedeu¬
tung verloren, auch für das Heer der Herzogthümer wird Anlehnung an die
preußischen Heereseinrichtungen genügen. In den inneren Angelegenheiten soll
man die Herzogthümer vorläufig sich selbst überlassen, die Kämpfe der Parteien,
welche dort bevorstehen, und die Schwierigkeiten einer neuen Organisation, die
dem Lande höchst nöthig ist. mögen sich zunächst ohne preußische Einwirkung
herausarbeiten. Die Schleswig-Holsteiner sollen Preußen als ihren Bundesge¬
nossen und Beschützer ehren, nicht als Tyrannen fürchten.

Freilich wenn Herrn von Bismarck gelungen wäre, mit Unterstützung der
liberalen Partei die Schleswig-holsteinische Sache zu Ende zu führen, könnte das
Ziel ein höheres, das Resultat für Preußen und Deutschland förderlicher ge¬
wesen sein. Der Geist dieses Staatsmannes ist elastisch und fruchtbar an Plä¬
nen, aber auch ihm wird Schicksal das System, mit dem er herausgekommen
und die Bundesgenossenschaft, welche er nicht entbehren kann. Man frohlockt
in Preußen noch über die Erfolge, welche das gegenwärtige Ministerium er¬
rungen hat, wir wünschen sie dem Staate, aber wir sehen sie nicht.

Auch in den innern Kämpfen ist kein Fortschritt sichtbar noch nahe Be¬
endigung zu hoffen. Wir sind als Liberale verpflichtet zu der Opposition zu
halten, welche jetzt allein die großen Grundsätze unserer Partei in den preu¬
ßischen Kammern vertritt, und wir halten ein abfälliges Beurtheilen ihrer
Taktik nach jeder Hinsicht für schädlich. Aber es ist unmöglich die Betrachtung
fern zu halten, daß auch der Opposition die Aussichten auf einen Sieg ver¬
ringert sind. Nicht vorzugsweise durch die Thatkraft der Gegner. Der Ver¬
fassungskampf, welcher in Preußen seit Auflösung der altliberalen Partei ent¬
brannte, bedürfte nach der Art und Weise, wie er einmal begonnen wurde, schneller
Erfolge, vielleicht ein großes Wagen. Bis zu den Juniordonnanzen des Jahres
1863 war die Opposition in der That, was sie nach ihrem Ursprung sein
mußte, der angreifende Theil; seitdem ist sie in die Defensive herabgedrückt.
Damals war der Conflict zu einer Höhe getrieben, welcher nicht mehr in den
Wänden des Abgeordnetenhauses ausgefochten werden konnte und die höchsten
Anforderungen an den politischen Charakter der einzelnen Abgeordneten machte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/212>, abgerufen am 23.07.2024.