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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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findet, gestaltungsfähig und gestaltungsbedürftig sein, unbewußt muß sie die
Mettmale des Schönen an sich tragen und ebenso nach seinem Anblick sich
sehnen, um endlich mit naivem Entzücken am Spiegelbild der eigenen Gestalt
bewundernd sich freuen zu können. Durch diese Empfänglichkeit des Volkes,
die im Genuß einen Theil deS Schaffens mit übernimmt, sind die griechische
und die italienische Kunst zu unvergänglichen Mustern, durch die gegenseitig
sich tragende Theilnahme von Kunst und Volk die eine in Athen, die andere
in Florenz heimisch und groß geworden. Nicht so glücklich lagen die Dinge
in den beiden römischen Epochen: in die Stadt der Kaiser wie der Päpste war
beide Male die Kunst eingewandert und das Interesse für dieselbe der Be¬
völkerung mehr angewohnt und angelernt, als angeboren. Aber die heidnischen
wie die christlichen Regenten verstanden durch ihre monumentalen Schöpfungen
die Theilnahme des Volkes zu erwecken, indem sie zugleich der Kunst des Zeit¬
alters zu ihrer Weiterbildung Verhalten.

Auch für unsere Zeit noch ist die->Art und Weise lehrreich, wie sie dieses
Ziel erreichten. Sie, hatten Sinn und Verständniß für den eigenthümlichen
Entwicklungsgang der bildenden Kunst. Achtung vor der Selbständigkeit und
der Natur des Künstlers; sie gaben der Production^rast desselben freien Spiel¬
raum, und indem sie ihm seine Aufgabe nur in ihren allgemeinsten Zügen und
im Einklang mit seinem Talente stellten, überließen sie ihm alles Weitere, die
Auffassung sowohl wie die Darstellung. Seine Phantasie empfing daher durch
sie nur die wohlthätige Schranke eines bestimmten Ideenkreises. behielt aber
innerhalb desselben die volle Freiheit der Bewegung und blieb in dem beleben¬
den Zusamtncnhang mit dem Kunstcharakter des ganzen Zeitalters. Auf diese
Weise konnte unter Trajan ein Apollodor die antike Architektur zu neuer Blüthe
erheben, unter dem Papst Julius ein Rafael und Michel Angelo der Kunst der
Renaissance die Krone aufsetzen. Zugleich ließen es sich diese fürstlichen Besteller
angelegen sein, die großen Werke vergangener Kunstperioden zu sammeln und
c>is unvergängliche Vorbilder auf öffentlichen Plätzen aufzustellen. So sorgten,
sie für die Bildung des Künstlers, daß er. auf den Schultern der Vorgänger
fußend, ihre Art, die Natur veredelt und verklärt wiederzugeben, ihre schon
ausgebildete Formenanschauung sich aneigne, um desto freier den Inhalt
seiner eigenen Phantasie gestalten zu können. So weckten sie zugleich die
Liebe zur Kunst im Beschauer und bildeten seinen Geschmack. Sie- selber
hatten eine heilige Scheu vor den ewigen Gesetzen des Schönen und wagten
nicht leicht, selbst wenn sie, Tyrannen waren, diese zu verletzen. Nur da, wo von
oben herab die Kunst mit dieser Ehrfurcht-vor ihrer Selbständigkeit und dem
'hr eigenthümlichen Leben geschützt wird, gelaugt sie zu einer fruchtbaren und
unverkümmertcn Ausbildung; nur da wird sie ein gesundes Glied sowohl in
dem ganzen Körper der Kunstgeschichte, als in dem Organismus des allgemeinen


findet, gestaltungsfähig und gestaltungsbedürftig sein, unbewußt muß sie die
Mettmale des Schönen an sich tragen und ebenso nach seinem Anblick sich
sehnen, um endlich mit naivem Entzücken am Spiegelbild der eigenen Gestalt
bewundernd sich freuen zu können. Durch diese Empfänglichkeit des Volkes,
die im Genuß einen Theil deS Schaffens mit übernimmt, sind die griechische
und die italienische Kunst zu unvergänglichen Mustern, durch die gegenseitig
sich tragende Theilnahme von Kunst und Volk die eine in Athen, die andere
in Florenz heimisch und groß geworden. Nicht so glücklich lagen die Dinge
in den beiden römischen Epochen: in die Stadt der Kaiser wie der Päpste war
beide Male die Kunst eingewandert und das Interesse für dieselbe der Be¬
völkerung mehr angewohnt und angelernt, als angeboren. Aber die heidnischen
wie die christlichen Regenten verstanden durch ihre monumentalen Schöpfungen
die Theilnahme des Volkes zu erwecken, indem sie zugleich der Kunst des Zeit¬
alters zu ihrer Weiterbildung Verhalten.

Auch für unsere Zeit noch ist die->Art und Weise lehrreich, wie sie dieses
Ziel erreichten. Sie, hatten Sinn und Verständniß für den eigenthümlichen
Entwicklungsgang der bildenden Kunst. Achtung vor der Selbständigkeit und
der Natur des Künstlers; sie gaben der Production^rast desselben freien Spiel¬
raum, und indem sie ihm seine Aufgabe nur in ihren allgemeinsten Zügen und
im Einklang mit seinem Talente stellten, überließen sie ihm alles Weitere, die
Auffassung sowohl wie die Darstellung. Seine Phantasie empfing daher durch
sie nur die wohlthätige Schranke eines bestimmten Ideenkreises. behielt aber
innerhalb desselben die volle Freiheit der Bewegung und blieb in dem beleben¬
den Zusamtncnhang mit dem Kunstcharakter des ganzen Zeitalters. Auf diese
Weise konnte unter Trajan ein Apollodor die antike Architektur zu neuer Blüthe
erheben, unter dem Papst Julius ein Rafael und Michel Angelo der Kunst der
Renaissance die Krone aufsetzen. Zugleich ließen es sich diese fürstlichen Besteller
angelegen sein, die großen Werke vergangener Kunstperioden zu sammeln und
c>is unvergängliche Vorbilder auf öffentlichen Plätzen aufzustellen. So sorgten,
sie für die Bildung des Künstlers, daß er. auf den Schultern der Vorgänger
fußend, ihre Art, die Natur veredelt und verklärt wiederzugeben, ihre schon
ausgebildete Formenanschauung sich aneigne, um desto freier den Inhalt
seiner eigenen Phantasie gestalten zu können. So weckten sie zugleich die
Liebe zur Kunst im Beschauer und bildeten seinen Geschmack. Sie- selber
hatten eine heilige Scheu vor den ewigen Gesetzen des Schönen und wagten
nicht leicht, selbst wenn sie, Tyrannen waren, diese zu verletzen. Nur da, wo von
oben herab die Kunst mit dieser Ehrfurcht-vor ihrer Selbständigkeit und dem
'hr eigenthümlichen Leben geschützt wird, gelaugt sie zu einer fruchtbaren und
unverkümmertcn Ausbildung; nur da wird sie ein gesundes Glied sowohl in
dem ganzen Körper der Kunstgeschichte, als in dem Organismus des allgemeinen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/21>, abgerufen am 18.06.2024.