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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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nichts! Der Verkehr ließ sich in seiner einzig möglichen Bahn nicht fesseln, nicht
hemmen, nicht zertreten. Die Gesetzgeber wußten nicht mehr, wie zu helfen.

"Dos Mittel freilich, welches zweifellos half und von Grund aus. wußte
man nicht anzuwenden, weil es unmöglich schien; die Verträge zwischen Juden
und Christen mußte man für ungiltig erklären, die Wucherer durch Ueberredung
und Hilfe zum Ackerbau und anderen Beschäftigungen^ gewöhnen oder -- das
kirchliche Zinsverbot beseitigen. That man das nicht, so mochte man die Fol¬
gen tragen aus den selbst verschuldeten Mißständen, man mußte dann die Ver¬
folger mit ganzem Nachdrucke niederwerfen und den Juden endlich die Hilfe
vergelten, die man so oft von ihnen empfing. Der Zorn der Verfolger und
das Blut der Verfolgten schrien auf gegen das Gesetz der Kirche."

Diese Judenverfolgungen aber, von denen jeder der obigen Sätze mit
Quellen belegt werden kann, sprechen eben, weil sie neben dem Wucher der
Judenwechsler noch den religiösen Haß und dessen Steigerung durch die Post
zur Ursache hatten, nicht gegen die frühere Behauptung, daß die hohen Zins¬
forderungen der Wechsler beim Volke Nutzen brachten. Daher zeigten sich auch
nirgend in Deutschland allgemeine Verfolgungen der Wechsler, außer der Juden¬
wechsler, wie in den oben genannten Ländern. Die deutschen Fürsten aber
suchten, wenn sie auch nicht selten die Zinsen der Wechsler beschränken mußten,
und von den Rücksichten der eigenen Kasse zu leicht zu Bedrückungen derselben
sich bewegen ließen, doch vornehmlich die Wechsler zu Gunsten des Verkehres
in ihrem Lande und eben auch zu Nutzen ihrer Privatkassen heranzuziehen. In
Frankreich genossen bekanntlich gerade die Wechsler trotz ihrer häufigen Ver¬
folgungen bereits seit dem dreizehnten Jahrhundert eine Reibe erheblicher Vor¬
rechte; ihre Erbschaften sollten ihnen hier unbeschränkt durch die todte Hand
bleiben, von Militärdienst Einquartierung waren sie frei, behielten ihre eigenen
Vorsteher und Consul", entrichteten nicht den Zins des Königs von Schiffbrü¬
chigen u. s. f.

Daher zürnten auch auf das heftigste gegen diese Schirmherren der Wechsler,
wie gegen die Wechsler selbst, die kirchcn, ecbtlichen Schriftsteller jener Zeit. Sogar
gegen den Wucher der Juden, der doch, wie gezeigt, das Volk zu Aufständen reizte,
wandten die Gesetzgeber selten die härteste" der ihnen zu Gebote stehenden Mittel
an; und gerade die Reichsgesetze zeigten sich hier auffallend milde, da sie wohl
seit Anfang des sechzehnten Jahrhunderts die Zinc-cvntracte der Juden für nich¬
tig erklärten, doch den Territorialfürstcn aufgaben, ihre Juden zum ehrenhafte"
Gewerbe überzuleiten. Und schon im.Reichs.ibschiede von 1548 gestatteten sie
den Juden ausdrücklich, wieder fünf Procent bei ihren Darlehn zu fordern und
suchten nur weiteren betrügerischen Umgehungen dieser Zinsgrenze durch Ju¬
den und Judenwechsler vorzubeugen.

Und eben Kaiser Karl der Fünfte, welcher in den Niederlanden durch eine


nichts! Der Verkehr ließ sich in seiner einzig möglichen Bahn nicht fesseln, nicht
hemmen, nicht zertreten. Die Gesetzgeber wußten nicht mehr, wie zu helfen.

„Dos Mittel freilich, welches zweifellos half und von Grund aus. wußte
man nicht anzuwenden, weil es unmöglich schien; die Verträge zwischen Juden
und Christen mußte man für ungiltig erklären, die Wucherer durch Ueberredung
und Hilfe zum Ackerbau und anderen Beschäftigungen^ gewöhnen oder — das
kirchliche Zinsverbot beseitigen. That man das nicht, so mochte man die Fol¬
gen tragen aus den selbst verschuldeten Mißständen, man mußte dann die Ver¬
folger mit ganzem Nachdrucke niederwerfen und den Juden endlich die Hilfe
vergelten, die man so oft von ihnen empfing. Der Zorn der Verfolger und
das Blut der Verfolgten schrien auf gegen das Gesetz der Kirche."

Diese Judenverfolgungen aber, von denen jeder der obigen Sätze mit
Quellen belegt werden kann, sprechen eben, weil sie neben dem Wucher der
Judenwechsler noch den religiösen Haß und dessen Steigerung durch die Post
zur Ursache hatten, nicht gegen die frühere Behauptung, daß die hohen Zins¬
forderungen der Wechsler beim Volke Nutzen brachten. Daher zeigten sich auch
nirgend in Deutschland allgemeine Verfolgungen der Wechsler, außer der Juden¬
wechsler, wie in den oben genannten Ländern. Die deutschen Fürsten aber
suchten, wenn sie auch nicht selten die Zinsen der Wechsler beschränken mußten,
und von den Rücksichten der eigenen Kasse zu leicht zu Bedrückungen derselben
sich bewegen ließen, doch vornehmlich die Wechsler zu Gunsten des Verkehres
in ihrem Lande und eben auch zu Nutzen ihrer Privatkassen heranzuziehen. In
Frankreich genossen bekanntlich gerade die Wechsler trotz ihrer häufigen Ver¬
folgungen bereits seit dem dreizehnten Jahrhundert eine Reibe erheblicher Vor¬
rechte; ihre Erbschaften sollten ihnen hier unbeschränkt durch die todte Hand
bleiben, von Militärdienst Einquartierung waren sie frei, behielten ihre eigenen
Vorsteher und Consul», entrichteten nicht den Zins des Königs von Schiffbrü¬
chigen u. s. f.

Daher zürnten auch auf das heftigste gegen diese Schirmherren der Wechsler,
wie gegen die Wechsler selbst, die kirchcn, ecbtlichen Schriftsteller jener Zeit. Sogar
gegen den Wucher der Juden, der doch, wie gezeigt, das Volk zu Aufständen reizte,
wandten die Gesetzgeber selten die härteste» der ihnen zu Gebote stehenden Mittel
an; und gerade die Reichsgesetze zeigten sich hier auffallend milde, da sie wohl
seit Anfang des sechzehnten Jahrhunderts die Zinc-cvntracte der Juden für nich¬
tig erklärten, doch den Territorialfürstcn aufgaben, ihre Juden zum ehrenhafte»
Gewerbe überzuleiten. Und schon im.Reichs.ibschiede von 1548 gestatteten sie
den Juden ausdrücklich, wieder fünf Procent bei ihren Darlehn zu fordern und
suchten nur weiteren betrügerischen Umgehungen dieser Zinsgrenze durch Ju¬
den und Judenwechsler vorzubeugen.

Und eben Kaiser Karl der Fünfte, welcher in den Niederlanden durch eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/192>, abgerufen am 23.07.2024.