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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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sie den Raum für das öffentliche Leben und die Stätte für die Werke der Pla¬
stik und Malerei künstlerisch gestaltet, durch die große unmittelbare Wirkung
ihrer monumentalen Formen doch noch am ehesten geeignet, die Phantasie des
Volkes anzuregen und zu beleben.

Freilich, wenn es den Königen ernstlich angelegen hätte, durch ihre
Schöpfungen den Sinn des Bote'es für die interesselose Welt des Schönen zu
wecken und zu veredeln, so hätten sie neben der Förderung der Kunst selber
vor allem um das andere sich bemühen müssen: um die Hebung und tue gründ¬
liche Pflege der Volksbildung Wie wenig dafür in Bayern auch nener-
dings grschchen, und bei dem Spielraum, der den katholischen und kirchlichen
Hinflügen noch immer geöffnet ist, bat geschehen können, ist zu bekannt, als
daß man davon zu reden brauchte. Was hilft es nun. daß in öffentlichen
Hallen, unter freiem Himmel, vor den Augen des Volkes sich Kunstgebilve er¬
hoben haben, wenn man das Volk in die alltäglichsten Interessen versinken, mit
gebundenem Sinn und Verstand in der Noth und Sorge des Bedürfnisses sich
abquälen, in gewöhnlicher Lust sich berauschen läßt, ohne dafür zu sorgen, daß
sein Geist, indem man ihn zu höheren Dingen und zu selbständiger Thätigkeit
"hebt, zugleich für die reinen Genüsse des Daseins empfänglich werde? Wenn
man es so zu erziehen versäumt, daß es dem großen Leben, welches der Vor¬
wurf der monumentalen Kunst ist. nicht klein und todt, sondern mit dem stolzen
und vertrauten Gefühle gegenüberstehe, in seinem Bilde einen Theil des eigenen
Wesens ausgesprochen zu finden?

Weit entfernt also, daß dem Kunstsinn seiner Könige das Volk entgegen¬
gekommen wäre, hat es -- aus was immer für Gründen -- ihm nicht einmal
nachfolgen können. Was auch die bildende Kunst seit fünfzig Jahren in Mün¬
chen geleistet hat-, nicht blos für die Menge, auch für einen großen Theil der
Gebildeten hat es ungefähr dasselbe Interesse, wie ein in fremdländischer
Sprache geschriebenes Buch, das in der Auslage des Buchhändlers vergebens
auf einen Käufer wartet. Vor längerer Zeit hat sich hier ein Verein zur Aus¬
bildung der Gewerke im künstlerischen Sinne aufgethan. und an seiner Spitze
stehen tüchtige Männer, die sich alle Mühe geben, die Kunstindustrie zu fördern
und eine künstlerische Behandlung der Formen in das Handwerk einzuführen.
Aber die Anstalt fristet ein kümmerliches Dasein und die Arbeit des hiesigen
Gewcrbmannes unterscheidet sich in nichts von dem gewöhnlichen Fabrikerzeugniß;
höchstens daß sich hie und da eine einsame und mißverstandene Erinnerung an
gothisches Maßwerk in Stühlen und Bänken zeigt, die ihre altvaterische Un¬
bequemlichkeit mit sauertöpfischer Miene in einen Winkel verstecken. Noch immer
ist das Geräth, welches der Münchener mit Vorliebe und Emsigkeit gebraucht,
der irdene Maßkrug, und diesem eine künstlerische Form zu geben, daran wür¬
den selbst ein Thcrikles und ein Benvenuto Cellini verzweifeln. Wie groß ist


sie den Raum für das öffentliche Leben und die Stätte für die Werke der Pla¬
stik und Malerei künstlerisch gestaltet, durch die große unmittelbare Wirkung
ihrer monumentalen Formen doch noch am ehesten geeignet, die Phantasie des
Volkes anzuregen und zu beleben.

Freilich, wenn es den Königen ernstlich angelegen hätte, durch ihre
Schöpfungen den Sinn des Bote'es für die interesselose Welt des Schönen zu
wecken und zu veredeln, so hätten sie neben der Förderung der Kunst selber
vor allem um das andere sich bemühen müssen: um die Hebung und tue gründ¬
liche Pflege der Volksbildung Wie wenig dafür in Bayern auch nener-
dings grschchen, und bei dem Spielraum, der den katholischen und kirchlichen
Hinflügen noch immer geöffnet ist, bat geschehen können, ist zu bekannt, als
daß man davon zu reden brauchte. Was hilft es nun. daß in öffentlichen
Hallen, unter freiem Himmel, vor den Augen des Volkes sich Kunstgebilve er¬
hoben haben, wenn man das Volk in die alltäglichsten Interessen versinken, mit
gebundenem Sinn und Verstand in der Noth und Sorge des Bedürfnisses sich
abquälen, in gewöhnlicher Lust sich berauschen läßt, ohne dafür zu sorgen, daß
sein Geist, indem man ihn zu höheren Dingen und zu selbständiger Thätigkeit
"hebt, zugleich für die reinen Genüsse des Daseins empfänglich werde? Wenn
man es so zu erziehen versäumt, daß es dem großen Leben, welches der Vor¬
wurf der monumentalen Kunst ist. nicht klein und todt, sondern mit dem stolzen
und vertrauten Gefühle gegenüberstehe, in seinem Bilde einen Theil des eigenen
Wesens ausgesprochen zu finden?

Weit entfernt also, daß dem Kunstsinn seiner Könige das Volk entgegen¬
gekommen wäre, hat es — aus was immer für Gründen — ihm nicht einmal
nachfolgen können. Was auch die bildende Kunst seit fünfzig Jahren in Mün¬
chen geleistet hat-, nicht blos für die Menge, auch für einen großen Theil der
Gebildeten hat es ungefähr dasselbe Interesse, wie ein in fremdländischer
Sprache geschriebenes Buch, das in der Auslage des Buchhändlers vergebens
auf einen Käufer wartet. Vor längerer Zeit hat sich hier ein Verein zur Aus¬
bildung der Gewerke im künstlerischen Sinne aufgethan. und an seiner Spitze
stehen tüchtige Männer, die sich alle Mühe geben, die Kunstindustrie zu fördern
und eine künstlerische Behandlung der Formen in das Handwerk einzuführen.
Aber die Anstalt fristet ein kümmerliches Dasein und die Arbeit des hiesigen
Gewcrbmannes unterscheidet sich in nichts von dem gewöhnlichen Fabrikerzeugniß;
höchstens daß sich hie und da eine einsame und mißverstandene Erinnerung an
gothisches Maßwerk in Stühlen und Bänken zeigt, die ihre altvaterische Un¬
bequemlichkeit mit sauertöpfischer Miene in einen Winkel verstecken. Noch immer
ist das Geräth, welches der Münchener mit Vorliebe und Emsigkeit gebraucht,
der irdene Maßkrug, und diesem eine künstlerische Form zu geben, daran wür¬
den selbst ein Thcrikles und ein Benvenuto Cellini verzweifeln. Wie groß ist


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/19>, abgerufen am 18.06.2024.