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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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Selbst die Blüthe der griechischen Kunst wäre in Athen nicht so voll aufge¬
gangen ohne die belebende Macht des Perikles, und was zu der günstigen Ent¬
wicklung der Renaissance in Florenz die Herrschaft der Medici beigetragen, das
hat ja spätere Fürsten zur Nacheiferung angespornt. Zweimal hat Rom
die Kunst ganzer Zeitalter in sich aufgenommen, und ihre besten Werke, ihre
größten Talente an sich gezogen: das eine Mal unter den jütischen und slavischen
Kaisern, das andere Mal unter den Päpsten Julius dem Zweiten und Leo dem
Zehnten. Weder mit Athen und Florenz noch mit R^in wird das moderne
München sich messen wollen; aber die letzten bayrischen Regenten haben wenig¬
stens, so scheint es, das Ihrige gethan, um die deutsche Kunst so weit vorwärts
zu bringen, als sie sich unter den gegebenen Verhältrissen bringen läszt.

Eines freilich war ihnen von vornherein im Wege und hing sich bleischwer
an alle ihre Unternehmungen: die Gleichgültigkeit, um nicht zu sagen Stumpf¬
heit des Volkes in Kunstdingen. Mit dem Kunstinteresse verhält es sich von
Haus aus im lieben deutschen Vaterlands nirgends zum Besten, und so hat die
gegenwärtige Kunst zu anderen noch die Aufgabe, dasselbe wenn nicht zu wecken,
doch fortwährend anzuregen und wach zu halten.

Mag man es nun in München nicht richtig angefangen haben, oder der
Kunstsinn im Altbayer noch tiefer versteckt liegen als in andern Stämmen: die
hier mit allen Ehren und reichen Mitteln eingebürgerte Kunst ist für die Be¬
wohner ein Fremdling geblieben. König Ludwig hat in seinen Bauten die
ganze Geschichte der Architektur wie in einem steinernen Compendium wieder¬
gegeben; aber an der neuen Duodezausgabe der Gothik in der Auer Kirche,
den nüchternen verständnißlvsen Experimenten in den Uebergangsformen unkla¬
rer Bauperioden, wie an den edlen Werken Klenzes im Stil der Antike und
der Renaissance geht nach wie vor der Einheimische gleichgiltig und theilnahm-
los vorüber. Sie sind wie zugewanderte Gäste, die man wohl an feierlichen
Gesellschaftstagen mit empfängt, aber als unbequem und fremdartig in den
vertraulichen Freundeskreis nicht zuläßt, wie überhaupt der Münchener gegen
alles Ausländische eine stille oder offene Abneigung hat. Wie die Gebäude
in die Sandflächen vom Verkehr abgesperrter Gegenden zufällig hinausge¬
worfen find, so haben sie auch in der Anschauung des Volkes nur einen dürren
und ungewissen Boden gefunden. Darauf hat es König Maximilian mit "einem
neuen Baustil" versucht. Das Neue, namentlich wenn es wie hier mit aller¬
lei seltsamem Schmuck und Zierrath behängt ist, zieht die gewöhnliche Schau¬
lust an; so hat denn auch diese "moderne Architektur" eine Weile Glück gemacht,
indessen jetzt, nachdem die Zeit des ersten Staunens vorüber, ihren Reiz voll¬
ständig verloren. Durch den neuen Stil hat sich im Volk eine Kunstbegeiste¬
rung ebenso wenig erwecken lassen, als durch die musecnhafte Aufstellung aller
vergangenen Bauformen unter Ludwig. Und doch ist die Architektur, indem


Selbst die Blüthe der griechischen Kunst wäre in Athen nicht so voll aufge¬
gangen ohne die belebende Macht des Perikles, und was zu der günstigen Ent¬
wicklung der Renaissance in Florenz die Herrschaft der Medici beigetragen, das
hat ja spätere Fürsten zur Nacheiferung angespornt. Zweimal hat Rom
die Kunst ganzer Zeitalter in sich aufgenommen, und ihre besten Werke, ihre
größten Talente an sich gezogen: das eine Mal unter den jütischen und slavischen
Kaisern, das andere Mal unter den Päpsten Julius dem Zweiten und Leo dem
Zehnten. Weder mit Athen und Florenz noch mit R^in wird das moderne
München sich messen wollen; aber die letzten bayrischen Regenten haben wenig¬
stens, so scheint es, das Ihrige gethan, um die deutsche Kunst so weit vorwärts
zu bringen, als sie sich unter den gegebenen Verhältrissen bringen läszt.

Eines freilich war ihnen von vornherein im Wege und hing sich bleischwer
an alle ihre Unternehmungen: die Gleichgültigkeit, um nicht zu sagen Stumpf¬
heit des Volkes in Kunstdingen. Mit dem Kunstinteresse verhält es sich von
Haus aus im lieben deutschen Vaterlands nirgends zum Besten, und so hat die
gegenwärtige Kunst zu anderen noch die Aufgabe, dasselbe wenn nicht zu wecken,
doch fortwährend anzuregen und wach zu halten.

Mag man es nun in München nicht richtig angefangen haben, oder der
Kunstsinn im Altbayer noch tiefer versteckt liegen als in andern Stämmen: die
hier mit allen Ehren und reichen Mitteln eingebürgerte Kunst ist für die Be¬
wohner ein Fremdling geblieben. König Ludwig hat in seinen Bauten die
ganze Geschichte der Architektur wie in einem steinernen Compendium wieder¬
gegeben; aber an der neuen Duodezausgabe der Gothik in der Auer Kirche,
den nüchternen verständnißlvsen Experimenten in den Uebergangsformen unkla¬
rer Bauperioden, wie an den edlen Werken Klenzes im Stil der Antike und
der Renaissance geht nach wie vor der Einheimische gleichgiltig und theilnahm-
los vorüber. Sie sind wie zugewanderte Gäste, die man wohl an feierlichen
Gesellschaftstagen mit empfängt, aber als unbequem und fremdartig in den
vertraulichen Freundeskreis nicht zuläßt, wie überhaupt der Münchener gegen
alles Ausländische eine stille oder offene Abneigung hat. Wie die Gebäude
in die Sandflächen vom Verkehr abgesperrter Gegenden zufällig hinausge¬
worfen find, so haben sie auch in der Anschauung des Volkes nur einen dürren
und ungewissen Boden gefunden. Darauf hat es König Maximilian mit „einem
neuen Baustil" versucht. Das Neue, namentlich wenn es wie hier mit aller¬
lei seltsamem Schmuck und Zierrath behängt ist, zieht die gewöhnliche Schau¬
lust an; so hat denn auch diese „moderne Architektur" eine Weile Glück gemacht,
indessen jetzt, nachdem die Zeit des ersten Staunens vorüber, ihren Reiz voll¬
ständig verloren. Durch den neuen Stil hat sich im Volk eine Kunstbegeiste¬
rung ebenso wenig erwecken lassen, als durch die musecnhafte Aufstellung aller
vergangenen Bauformen unter Ludwig. Und doch ist die Architektur, indem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/18>, abgerufen am 26.06.2024.