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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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Geiste derselben hinlänglich berührt, um nicht de>. wo die Quellen unzureichend
sind, zu phantastischen Combinationen die Zuflucht zu nehmen. Andrerseits
aber hat es nicht nur jene Formvollendung, jenen glatten Fluß der Rede, der
dem Franzosen ebenso natürlich ist, als er uns noch immer schwer erreichbar
zu sein scheint, sondern es geht zugleich mit einer Energie auf bestimmte ab¬
schließende Resultate aus, welche nicht wenig contrastirt mit der bedächtigen Art,
wie Strauß zu Werke gegangen ist, der sich lieber mit einem non liMst be¬
scheidet, als ein vorschnelles Urtheil aussprechen will. Diese Tendenz zu ent.
scheidenden Resultaten giebt der ganzen Schrift etwas anziehend Bewegtes, et¬
was logisch Consequentes. hat aber freilich auch ihre bedenkliche Seite, sofern
leider nun einmal die Beschaffenheit der Quellen eine solche ist, welche weit
weniger logische Consequenz als vielmehr eben jenes bedächtige Abwägen er¬
fordert, um zu denjenigen Resultaten verarbeitet zu werden, welche sich über¬
haupt noch gewinnen lassen.

Colani greift einen ganz bestimmten Punkt im Leben Jesu für seine Un¬
tersuchung heraus, aber es ist derjenige, der für das Ganze centrale Bedeutung
hat. Er stellt sich die Frage: in welcher Beziehung steht die Mission, welche
sich Jesus selbst beigelegt hat, zu jener mysteriösen Person der jüdischen Glau-
bensvorstellungen, welche man Messias nannte, -- mit anderen Worten: bis
zu welchem Grade ist Jesus Jude gewesen? Um diese Frage zu beantworten,
erzählt er zuerst die Entwicklung des messianischen Glaubens der Juden und sucht
besonders festzustellen, was die Gestalt und der Sinn dieser Vorstellung zur
Zeit Jesu war. Im zweiten Theil untersucht er, ob Jesus diesen Erwartungen
entsprochen und sich für denjenigen Messias ausgegeben habe, auf den die Ju
den hofften.

Wenige Ideen, sagt Colani, zeigen eine so regelmäßige und natürliche Ent¬
wicklung, wie diese. Anfangs ist es nur der poetische, bildliche Ausdruck, wel¬
chen einige Propheten den Hoffnungen des jüdischen Volks auf einen endlichen
Sieg über die heidnischen Völker verleihen. Ihre Vorstellung ist, daß Gott
durch die Vermittlung des auserwählten Stammes Davids, durch einen großen
Helden, ähnlich dem Gründer der Dynastie, das neue theokratische Reich be¬
herrschen werde. Als indessen die Familie Davids verschwand und die Juden
sich an die Herrschaft einer Priesteraristvlratie unter fremder Oberhoheit ge¬
wöhnten, schwebte die Persönlichkeit des Messias, von der übrigens im alten
Testament überhaupt nur selten die Rede ist, nur noch wie ein flüchtiger Schat¬
ten durch die Träume von der Zukunft, und so blieb es auch als dieselben
unter dem Eindruck der Leiden und Verfolgungen der Makkabäerzeit größere
Lebhaftigkeit und Bestimmtheit annahmen. Man träumte den Sieg der Häup¬
ter, unter welchen man litt und kämpfte, den Sieg Gottes, nicht den eines
Davidsohns. Erst als die nationale Aristokratie der verworfenen Dynastie des


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Geiste derselben hinlänglich berührt, um nicht de>. wo die Quellen unzureichend
sind, zu phantastischen Combinationen die Zuflucht zu nehmen. Andrerseits
aber hat es nicht nur jene Formvollendung, jenen glatten Fluß der Rede, der
dem Franzosen ebenso natürlich ist, als er uns noch immer schwer erreichbar
zu sein scheint, sondern es geht zugleich mit einer Energie auf bestimmte ab¬
schließende Resultate aus, welche nicht wenig contrastirt mit der bedächtigen Art,
wie Strauß zu Werke gegangen ist, der sich lieber mit einem non liMst be¬
scheidet, als ein vorschnelles Urtheil aussprechen will. Diese Tendenz zu ent.
scheidenden Resultaten giebt der ganzen Schrift etwas anziehend Bewegtes, et¬
was logisch Consequentes. hat aber freilich auch ihre bedenkliche Seite, sofern
leider nun einmal die Beschaffenheit der Quellen eine solche ist, welche weit
weniger logische Consequenz als vielmehr eben jenes bedächtige Abwägen er¬
fordert, um zu denjenigen Resultaten verarbeitet zu werden, welche sich über¬
haupt noch gewinnen lassen.

Colani greift einen ganz bestimmten Punkt im Leben Jesu für seine Un¬
tersuchung heraus, aber es ist derjenige, der für das Ganze centrale Bedeutung
hat. Er stellt sich die Frage: in welcher Beziehung steht die Mission, welche
sich Jesus selbst beigelegt hat, zu jener mysteriösen Person der jüdischen Glau-
bensvorstellungen, welche man Messias nannte, — mit anderen Worten: bis
zu welchem Grade ist Jesus Jude gewesen? Um diese Frage zu beantworten,
erzählt er zuerst die Entwicklung des messianischen Glaubens der Juden und sucht
besonders festzustellen, was die Gestalt und der Sinn dieser Vorstellung zur
Zeit Jesu war. Im zweiten Theil untersucht er, ob Jesus diesen Erwartungen
entsprochen und sich für denjenigen Messias ausgegeben habe, auf den die Ju
den hofften.

Wenige Ideen, sagt Colani, zeigen eine so regelmäßige und natürliche Ent¬
wicklung, wie diese. Anfangs ist es nur der poetische, bildliche Ausdruck, wel¬
chen einige Propheten den Hoffnungen des jüdischen Volks auf einen endlichen
Sieg über die heidnischen Völker verleihen. Ihre Vorstellung ist, daß Gott
durch die Vermittlung des auserwählten Stammes Davids, durch einen großen
Helden, ähnlich dem Gründer der Dynastie, das neue theokratische Reich be¬
herrschen werde. Als indessen die Familie Davids verschwand und die Juden
sich an die Herrschaft einer Priesteraristvlratie unter fremder Oberhoheit ge¬
wöhnten, schwebte die Persönlichkeit des Messias, von der übrigens im alten
Testament überhaupt nur selten die Rede ist, nur noch wie ein flüchtiger Schat¬
ten durch die Träume von der Zukunft, und so blieb es auch als dieselben
unter dem Eindruck der Leiden und Verfolgungen der Makkabäerzeit größere
Lebhaftigkeit und Bestimmtheit annahmen. Man träumte den Sieg der Häup¬
ter, unter welchen man litt und kämpfte, den Sieg Gottes, nicht den eines
Davidsohns. Erst als die nationale Aristokratie der verworfenen Dynastie des


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[0135] Geiste derselben hinlänglich berührt, um nicht de>. wo die Quellen unzureichend sind, zu phantastischen Combinationen die Zuflucht zu nehmen. Andrerseits aber hat es nicht nur jene Formvollendung, jenen glatten Fluß der Rede, der dem Franzosen ebenso natürlich ist, als er uns noch immer schwer erreichbar zu sein scheint, sondern es geht zugleich mit einer Energie auf bestimmte ab¬ schließende Resultate aus, welche nicht wenig contrastirt mit der bedächtigen Art, wie Strauß zu Werke gegangen ist, der sich lieber mit einem non liMst be¬ scheidet, als ein vorschnelles Urtheil aussprechen will. Diese Tendenz zu ent. scheidenden Resultaten giebt der ganzen Schrift etwas anziehend Bewegtes, et¬ was logisch Consequentes. hat aber freilich auch ihre bedenkliche Seite, sofern leider nun einmal die Beschaffenheit der Quellen eine solche ist, welche weit weniger logische Consequenz als vielmehr eben jenes bedächtige Abwägen er¬ fordert, um zu denjenigen Resultaten verarbeitet zu werden, welche sich über¬ haupt noch gewinnen lassen. Colani greift einen ganz bestimmten Punkt im Leben Jesu für seine Un¬ tersuchung heraus, aber es ist derjenige, der für das Ganze centrale Bedeutung hat. Er stellt sich die Frage: in welcher Beziehung steht die Mission, welche sich Jesus selbst beigelegt hat, zu jener mysteriösen Person der jüdischen Glau- bensvorstellungen, welche man Messias nannte, — mit anderen Worten: bis zu welchem Grade ist Jesus Jude gewesen? Um diese Frage zu beantworten, erzählt er zuerst die Entwicklung des messianischen Glaubens der Juden und sucht besonders festzustellen, was die Gestalt und der Sinn dieser Vorstellung zur Zeit Jesu war. Im zweiten Theil untersucht er, ob Jesus diesen Erwartungen entsprochen und sich für denjenigen Messias ausgegeben habe, auf den die Ju den hofften. Wenige Ideen, sagt Colani, zeigen eine so regelmäßige und natürliche Ent¬ wicklung, wie diese. Anfangs ist es nur der poetische, bildliche Ausdruck, wel¬ chen einige Propheten den Hoffnungen des jüdischen Volks auf einen endlichen Sieg über die heidnischen Völker verleihen. Ihre Vorstellung ist, daß Gott durch die Vermittlung des auserwählten Stammes Davids, durch einen großen Helden, ähnlich dem Gründer der Dynastie, das neue theokratische Reich be¬ herrschen werde. Als indessen die Familie Davids verschwand und die Juden sich an die Herrschaft einer Priesteraristvlratie unter fremder Oberhoheit ge¬ wöhnten, schwebte die Persönlichkeit des Messias, von der übrigens im alten Testament überhaupt nur selten die Rede ist, nur noch wie ein flüchtiger Schat¬ ten durch die Träume von der Zukunft, und so blieb es auch als dieselben unter dem Eindruck der Leiden und Verfolgungen der Makkabäerzeit größere Lebhaftigkeit und Bestimmtheit annahmen. Man träumte den Sieg der Häup¬ ter, unter welchen man litt und kämpfte, den Sieg Gottes, nicht den eines Davidsohns. Erst als die nationale Aristokratie der verworfenen Dynastie des 16*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/135>, abgerufen am 23.07.2024.