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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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abgehalten. Dies und was daraus folgt, wissen viele, aber wer gesteht gern
die eigene Schwäche sich oder Andern,

Und doch haben die letzten Monate das auffallende Resultat gehabt, daß
trotz der großen und lauten Unzufriedenheit mit der Politik Preußens in einer
deutschen Cardinalfrage die Zahl derer gewachsen ist. welche für deutsche Pro¬
vinzen Annexion durch Preußen fordern. Ein Jahr kriegerischer Verwickelungen
hat die Ohnmacht des Bundes, die Hoffnungslosigkeit der Triasversuche, die
Schwäche der Mittelstaaten mit so grellen Farben auf unsere Zeitungsbogen
gemalt, daß selbst vielen Gegnern des Herrn v. Bismarck seine Methode der
Politik besser schien, als eine Lage, in welcher man gar keine Politik zu treiben
vermag. In Zeiten tiefen Friedens schallen auch die Worte aus schwachem
Munde laut durch das Land, in Zeiten stärkerer Bewegung schärft sich schnell
der Blick für die wirklichen Machtverhältnisse.

Die gegenwärtige Regierung Preußens ist in der That höchst unpopulär,
und doch wird auch außerhalb PreußenZ überall für und gegen die Einverleibung
von Schleswig-Holstein gesprochen und man kann bemerken, daß die Zahl derer,
welche allerdings nicht sich selbst, sondern zunächst andere von Preußen erobert
wünschen, in starker Zunahme ist. An sich ist auf diese Bewegung der öffent¬
lichen Meinung nicht viel zu geben, es ist die Fluthwelle, welche jeden politischen
Erfolg begleitet, aber die befremdliche Stimmung beweist doch, wie stark auch
bei Gegnern Preußens schon jetzt das Gefühl geworden, daß ihn>,'N nichts übrig
bleibt, als sich der Existenz dieses Staates zu fügen.

Daß dies Bedürfniß der Vereinigung in Preußen sowohl, als im übrige"
Deutschland weit größer und zwingender werde, ist, was wir zu erstreben haben.
Noch sind wir weit vom Ziele. Alle Ideen, welche dazu helfen, dem Volk
diese Vereinigung in die Seele, zu schlagen sind uns willkommen. Die Idee
des Bundesstaats hat von diesem Standpunkt zwei praktische Vorzüge. Sie
trägt zuerst der Liebe zum Heimischen, dem alten Selbständigkeitstrieb der ein¬
zelnen Stämme behaglich Rechnung. Vieles ist in Preußen nicht so gut und
so entwickelt, daß man sich freuen könnte, daran Theil zu haben, man will
auch das Gefühl bewahren, als Freund, nicht als Unterworfener in die
Societät zu treten. Ferner aber ist die Agitation für einen Bundesstaat durch
kein Staatsgesetz zu verbieten, sie ermöglicht ein offenes, großes Werben in
Presse, Versammlungen und Vereinen; die Agitation für den Einheitsstaat
verfällt, sobald sie den Boden wissenschaftlicher Erörterung verläßt, höchst
wahrscheinlich den Gesetzen, denn ihre Voraussetzungen sind dem Bestehenden
allzufeindlich, ihre Operationen werden revolutionär. So war es in Italien.

In Preußen selbst aber steht die Frage so, daß die Parteien dieselbe ver-


abgehalten. Dies und was daraus folgt, wissen viele, aber wer gesteht gern
die eigene Schwäche sich oder Andern,

Und doch haben die letzten Monate das auffallende Resultat gehabt, daß
trotz der großen und lauten Unzufriedenheit mit der Politik Preußens in einer
deutschen Cardinalfrage die Zahl derer gewachsen ist. welche für deutsche Pro¬
vinzen Annexion durch Preußen fordern. Ein Jahr kriegerischer Verwickelungen
hat die Ohnmacht des Bundes, die Hoffnungslosigkeit der Triasversuche, die
Schwäche der Mittelstaaten mit so grellen Farben auf unsere Zeitungsbogen
gemalt, daß selbst vielen Gegnern des Herrn v. Bismarck seine Methode der
Politik besser schien, als eine Lage, in welcher man gar keine Politik zu treiben
vermag. In Zeiten tiefen Friedens schallen auch die Worte aus schwachem
Munde laut durch das Land, in Zeiten stärkerer Bewegung schärft sich schnell
der Blick für die wirklichen Machtverhältnisse.

Die gegenwärtige Regierung Preußens ist in der That höchst unpopulär,
und doch wird auch außerhalb PreußenZ überall für und gegen die Einverleibung
von Schleswig-Holstein gesprochen und man kann bemerken, daß die Zahl derer,
welche allerdings nicht sich selbst, sondern zunächst andere von Preußen erobert
wünschen, in starker Zunahme ist. An sich ist auf diese Bewegung der öffent¬
lichen Meinung nicht viel zu geben, es ist die Fluthwelle, welche jeden politischen
Erfolg begleitet, aber die befremdliche Stimmung beweist doch, wie stark auch
bei Gegnern Preußens schon jetzt das Gefühl geworden, daß ihn>,'N nichts übrig
bleibt, als sich der Existenz dieses Staates zu fügen.

Daß dies Bedürfniß der Vereinigung in Preußen sowohl, als im übrige»
Deutschland weit größer und zwingender werde, ist, was wir zu erstreben haben.
Noch sind wir weit vom Ziele. Alle Ideen, welche dazu helfen, dem Volk
diese Vereinigung in die Seele, zu schlagen sind uns willkommen. Die Idee
des Bundesstaats hat von diesem Standpunkt zwei praktische Vorzüge. Sie
trägt zuerst der Liebe zum Heimischen, dem alten Selbständigkeitstrieb der ein¬
zelnen Stämme behaglich Rechnung. Vieles ist in Preußen nicht so gut und
so entwickelt, daß man sich freuen könnte, daran Theil zu haben, man will
auch das Gefühl bewahren, als Freund, nicht als Unterworfener in die
Societät zu treten. Ferner aber ist die Agitation für einen Bundesstaat durch
kein Staatsgesetz zu verbieten, sie ermöglicht ein offenes, großes Werben in
Presse, Versammlungen und Vereinen; die Agitation für den Einheitsstaat
verfällt, sobald sie den Boden wissenschaftlicher Erörterung verläßt, höchst
wahrscheinlich den Gesetzen, denn ihre Voraussetzungen sind dem Bestehenden
allzufeindlich, ihre Operationen werden revolutionär. So war es in Italien.

In Preußen selbst aber steht die Frage so, daß die Parteien dieselbe ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/13>, abgerufen am 23.07.2024.