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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Verfassung neben einer büreaukratischen Verwaltung Unter der absoluten Mon¬
archie erfüllte diese Form der Verwaltung ihre Functionen nicht nur in genü¬
gender, oft musterhafter Weise, sondern sie war im preußischen Staate, einige
Perioden der Erschlaffung oder Verknöcherung ausgenommen, auch die Macht,
bei der die Ideen des Fortschritts und der Reform die sorgsamste Pflege fan¬
den. Mit dem Eintritt Preußens in die Reihe der constitutionellen Staaten
mußte sich dies Verhältniß sofort ändern. Die Negierung konnte ihre alte
Stellung über den Parteien nicht behaupten. Sie mußte sich auf eine Partei
stützen und folglich sich auch von derselben beeinflussen lassen: die Verwaltung,
ganz abhängig von den Fachministern, trat also in den Dienst einer Partei.
Dies ist ein Gesetz der Nothwendigkeit, gegen das es vergeblich wäre anzu¬
kämpfen. Das politische System, dessen Grundsätze in irgendeinem Augen¬
blick im Centrum des Staates zur Herrschaft gelangt sind, muß danach stre¬
ben, seine 'Anschauungen durch das ganze ungeheure Gewebe des Verwaltungs-
organismus zur Geltung zu bringen: die Beamten werden fast unter der Hand
zu politischen Organen, d. h. wie die Sachen einmal liegen, zu Parteiorganen,
so vor allem die höheren Lokalbeamten, die Landräthe. Des Grafen Schwe¬
rin Von einer klaren Einsicht in den Grunvschadcn unserer Verhältnisse zeugen¬
des Bestreben war es, gerade die Landräthe des Charakters als Parteiorgane
möglichst zu entkleiden. Erreicht werden kann dies Ziel aber nur durch eine
völlige Umgestaltung der Verwaltung im Großen und Ganzen.

Von allen Seiten wird der französische Constitutionalismus getadelt, von
allen Seiten aber wird er dessenungeachtet zum Vorbilde genommen. Das Un¬
glück Frankreichs war, daß jede Partei, die zur Herrschaft gelangte, vermöge
der imperialistischen Bureaukratie sofort in absoluter Weise über den Gesammt-
organismus des Staates disponiren: die Allmacht der Regierung war die
eigentliche Ursache ihrer Schwäche, die eigentliche Ursache der unaufhörlichen
Erschütterungen, denen das Land ausgesetzt war. Der Despotismus der Ver¬
waltung, der auf die Wahlen ausgeübte Druck war nicht immer das Product
einer tyrannischen Willkür, er war oft nur die unvermeidliche Consequenz der
übermäßigen Machtfülle, die der Regierung zu Gebote stand und die sie im
vollsten Maße anwenden mußte, um sie nicht selbst ihren Gegnern in die Hände
zu liefern.

Preußen dagegen befindet sich in der glücklichen Lage, den Widerspruch
zwischen Verfassung und Verwaltung heben zu können: es hat, wie auch Gneist
in seiner Geschichte des englischen Selfgoverncments hervorhebt, alle Elemente
zu einer gedeihlichen Selbstverwaltung.

Die Regierung kann die Centralisation der Verwaltung vermindern und
damit den Kreis ihrer unmittelbaren Wirksamkeit verengen ohne eine Schwä¬
chung der Autorität, deren sie bedarf, fürchten zu müssen. Aufhebung der guts-


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Verfassung neben einer büreaukratischen Verwaltung Unter der absoluten Mon¬
archie erfüllte diese Form der Verwaltung ihre Functionen nicht nur in genü¬
gender, oft musterhafter Weise, sondern sie war im preußischen Staate, einige
Perioden der Erschlaffung oder Verknöcherung ausgenommen, auch die Macht,
bei der die Ideen des Fortschritts und der Reform die sorgsamste Pflege fan¬
den. Mit dem Eintritt Preußens in die Reihe der constitutionellen Staaten
mußte sich dies Verhältniß sofort ändern. Die Negierung konnte ihre alte
Stellung über den Parteien nicht behaupten. Sie mußte sich auf eine Partei
stützen und folglich sich auch von derselben beeinflussen lassen: die Verwaltung,
ganz abhängig von den Fachministern, trat also in den Dienst einer Partei.
Dies ist ein Gesetz der Nothwendigkeit, gegen das es vergeblich wäre anzu¬
kämpfen. Das politische System, dessen Grundsätze in irgendeinem Augen¬
blick im Centrum des Staates zur Herrschaft gelangt sind, muß danach stre¬
ben, seine 'Anschauungen durch das ganze ungeheure Gewebe des Verwaltungs-
organismus zur Geltung zu bringen: die Beamten werden fast unter der Hand
zu politischen Organen, d. h. wie die Sachen einmal liegen, zu Parteiorganen,
so vor allem die höheren Lokalbeamten, die Landräthe. Des Grafen Schwe¬
rin Von einer klaren Einsicht in den Grunvschadcn unserer Verhältnisse zeugen¬
des Bestreben war es, gerade die Landräthe des Charakters als Parteiorgane
möglichst zu entkleiden. Erreicht werden kann dies Ziel aber nur durch eine
völlige Umgestaltung der Verwaltung im Großen und Ganzen.

Von allen Seiten wird der französische Constitutionalismus getadelt, von
allen Seiten aber wird er dessenungeachtet zum Vorbilde genommen. Das Un¬
glück Frankreichs war, daß jede Partei, die zur Herrschaft gelangte, vermöge
der imperialistischen Bureaukratie sofort in absoluter Weise über den Gesammt-
organismus des Staates disponiren: die Allmacht der Regierung war die
eigentliche Ursache ihrer Schwäche, die eigentliche Ursache der unaufhörlichen
Erschütterungen, denen das Land ausgesetzt war. Der Despotismus der Ver¬
waltung, der auf die Wahlen ausgeübte Druck war nicht immer das Product
einer tyrannischen Willkür, er war oft nur die unvermeidliche Consequenz der
übermäßigen Machtfülle, die der Regierung zu Gebote stand und die sie im
vollsten Maße anwenden mußte, um sie nicht selbst ihren Gegnern in die Hände
zu liefern.

Preußen dagegen befindet sich in der glücklichen Lage, den Widerspruch
zwischen Verfassung und Verwaltung heben zu können: es hat, wie auch Gneist
in seiner Geschichte des englischen Selfgoverncments hervorhebt, alle Elemente
zu einer gedeihlichen Selbstverwaltung.

Die Regierung kann die Centralisation der Verwaltung vermindern und
damit den Kreis ihrer unmittelbaren Wirksamkeit verengen ohne eine Schwä¬
chung der Autorität, deren sie bedarf, fürchten zu müssen. Aufhebung der guts-


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[0095] Verfassung neben einer büreaukratischen Verwaltung Unter der absoluten Mon¬ archie erfüllte diese Form der Verwaltung ihre Functionen nicht nur in genü¬ gender, oft musterhafter Weise, sondern sie war im preußischen Staate, einige Perioden der Erschlaffung oder Verknöcherung ausgenommen, auch die Macht, bei der die Ideen des Fortschritts und der Reform die sorgsamste Pflege fan¬ den. Mit dem Eintritt Preußens in die Reihe der constitutionellen Staaten mußte sich dies Verhältniß sofort ändern. Die Negierung konnte ihre alte Stellung über den Parteien nicht behaupten. Sie mußte sich auf eine Partei stützen und folglich sich auch von derselben beeinflussen lassen: die Verwaltung, ganz abhängig von den Fachministern, trat also in den Dienst einer Partei. Dies ist ein Gesetz der Nothwendigkeit, gegen das es vergeblich wäre anzu¬ kämpfen. Das politische System, dessen Grundsätze in irgendeinem Augen¬ blick im Centrum des Staates zur Herrschaft gelangt sind, muß danach stre¬ ben, seine 'Anschauungen durch das ganze ungeheure Gewebe des Verwaltungs- organismus zur Geltung zu bringen: die Beamten werden fast unter der Hand zu politischen Organen, d. h. wie die Sachen einmal liegen, zu Parteiorganen, so vor allem die höheren Lokalbeamten, die Landräthe. Des Grafen Schwe¬ rin Von einer klaren Einsicht in den Grunvschadcn unserer Verhältnisse zeugen¬ des Bestreben war es, gerade die Landräthe des Charakters als Parteiorgane möglichst zu entkleiden. Erreicht werden kann dies Ziel aber nur durch eine völlige Umgestaltung der Verwaltung im Großen und Ganzen. Von allen Seiten wird der französische Constitutionalismus getadelt, von allen Seiten aber wird er dessenungeachtet zum Vorbilde genommen. Das Un¬ glück Frankreichs war, daß jede Partei, die zur Herrschaft gelangte, vermöge der imperialistischen Bureaukratie sofort in absoluter Weise über den Gesammt- organismus des Staates disponiren: die Allmacht der Regierung war die eigentliche Ursache ihrer Schwäche, die eigentliche Ursache der unaufhörlichen Erschütterungen, denen das Land ausgesetzt war. Der Despotismus der Ver¬ waltung, der auf die Wahlen ausgeübte Druck war nicht immer das Product einer tyrannischen Willkür, er war oft nur die unvermeidliche Consequenz der übermäßigen Machtfülle, die der Regierung zu Gebote stand und die sie im vollsten Maße anwenden mußte, um sie nicht selbst ihren Gegnern in die Hände zu liefern. Preußen dagegen befindet sich in der glücklichen Lage, den Widerspruch zwischen Verfassung und Verwaltung heben zu können: es hat, wie auch Gneist in seiner Geschichte des englischen Selfgoverncments hervorhebt, alle Elemente zu einer gedeihlichen Selbstverwaltung. Die Regierung kann die Centralisation der Verwaltung vermindern und damit den Kreis ihrer unmittelbaren Wirksamkeit verengen ohne eine Schwä¬ chung der Autorität, deren sie bedarf, fürchten zu müssen. Aufhebung der guts- 12*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/95>, abgerufen am 22.07.2024.