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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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hat sich ein Verfassungscvnflict angeschlossen, in dem ein Wanken und Schwan¬
ken nicht erlaubt ist, der aber nach unserer Ueberzeugung sich hätte vermeiden
lassen und im Interesse der constitutionellen Freiheit besser vermieden worden wäre.

Ehe die Krisis, in der wir augenblicklich stehen, beseitigt ist, ist an den Ausbau
der Verfassung, wie ihn Nonne versteht, oder vielmehr wie die Verfassung selbst ihn
fordert, nicht zu denken, womit wir nicht behaupten wollen, daß nicht in man¬
chen Punkten eine correctere Praxis auch während des Conflictes zur Geltung
kommen kann. So ist in der Praxis des Finanzwesens im Einzelnen Man¬
ches gebessert, das dringend nothwendige Gesetz über die Oberrechnungskammer
in Aussicht gestellt. Aber mit Verbesserungen im Einzelnen ist nicht viel ge¬
wonnen.

Die wesentlichste Lücke bleibt immer der Mangel einer befriedigenden Kreis-
und Gemeindeordnung. In Kreis und Gemeinde wird in Preußen der Kampf
zwischen der Verfassung und den der Verfassung principiell feindlichen Elementen,
den feudalen sowohl wie den büreaukratischen, zur schließlichen Entscheidung
kommen; an diesen Punkten wird aber auch die Versöhnung der wider einander
streitenden Kräfte erzwungen werden müssen. Jede politische Betrachtung der
Verfassung d. h. jede Betrachtung, die nicht ausschließlich vom Nechtsstand-
puntte ausgeht, sondern in der Ueberzeugung, daß auch das beste Recht zu sei¬
ner Verwirklichung der thatsächlichen Macht bedarf, sich mit dem Studium der
Kräfte beschäftigt, die dem constitutionellen Princip wenn auch mit Widerstreben
dienstbar zu machen sind, wird zu dem Ergebniß gelangen, daß in den unteren
und engeren Kreisen des Staates sich die allerbedenklichsten Lücken des Staats¬
wesens befinden, und daß jede Negierung, welche die Verfassung zum wahren Le¬
bensprincip des Staates machen will, ihre reformatorischen Bestrebungen mit
der äußersten Energie auf diesen Punkt zu richten hat. Selbst das freisinnigste
Ministerverantwortlichkeitsgesetz wirb statt das schützende Dach über dem Bau
des Staates zu bilden nur ein leerer Schmuck bleiben, so lange die Grund¬
lagen und Säulen des Baues schwanken.

Mit Recht sieht man eine große Gefahr für Preußen in der Schroffheit
der politischen Parteigegensätze. Aber an sich sind diese Gegensätze so wenig
eine abnorme Erscheinung, daß vielmehr überall, wo freie politische Verhältnisse
die Betheiligung am Staatsleben durch alle Kreise des Volkes verbreitet haben,
der Zwiespalt der Meinungen zu einem Kampfe wohl organisirter, bestimmte
Ziele verfolgender Parteien wird. Auch darin, daß jede Partei, die sich ge¬
rade am Ruder befindet, ihre Grundsätze in Gesetzgebung und Verwaltung zur
Geltung zu bringen sucht, liegt nichts Bedenkliches. Die Ursache, weshalb un¬
ser Parteiwesen auf jeden Beobachter einen entschieden unheimlichen und besorg-
nißerregcndcn Eindruck macht, liegt darin, daß in Preußen zwei ganz heterogene
politische Systeme unvermittelt neben einander bestehen: eine konstitutionelle


hat sich ein Verfassungscvnflict angeschlossen, in dem ein Wanken und Schwan¬
ken nicht erlaubt ist, der aber nach unserer Ueberzeugung sich hätte vermeiden
lassen und im Interesse der constitutionellen Freiheit besser vermieden worden wäre.

Ehe die Krisis, in der wir augenblicklich stehen, beseitigt ist, ist an den Ausbau
der Verfassung, wie ihn Nonne versteht, oder vielmehr wie die Verfassung selbst ihn
fordert, nicht zu denken, womit wir nicht behaupten wollen, daß nicht in man¬
chen Punkten eine correctere Praxis auch während des Conflictes zur Geltung
kommen kann. So ist in der Praxis des Finanzwesens im Einzelnen Man¬
ches gebessert, das dringend nothwendige Gesetz über die Oberrechnungskammer
in Aussicht gestellt. Aber mit Verbesserungen im Einzelnen ist nicht viel ge¬
wonnen.

Die wesentlichste Lücke bleibt immer der Mangel einer befriedigenden Kreis-
und Gemeindeordnung. In Kreis und Gemeinde wird in Preußen der Kampf
zwischen der Verfassung und den der Verfassung principiell feindlichen Elementen,
den feudalen sowohl wie den büreaukratischen, zur schließlichen Entscheidung
kommen; an diesen Punkten wird aber auch die Versöhnung der wider einander
streitenden Kräfte erzwungen werden müssen. Jede politische Betrachtung der
Verfassung d. h. jede Betrachtung, die nicht ausschließlich vom Nechtsstand-
puntte ausgeht, sondern in der Ueberzeugung, daß auch das beste Recht zu sei¬
ner Verwirklichung der thatsächlichen Macht bedarf, sich mit dem Studium der
Kräfte beschäftigt, die dem constitutionellen Princip wenn auch mit Widerstreben
dienstbar zu machen sind, wird zu dem Ergebniß gelangen, daß in den unteren
und engeren Kreisen des Staates sich die allerbedenklichsten Lücken des Staats¬
wesens befinden, und daß jede Negierung, welche die Verfassung zum wahren Le¬
bensprincip des Staates machen will, ihre reformatorischen Bestrebungen mit
der äußersten Energie auf diesen Punkt zu richten hat. Selbst das freisinnigste
Ministerverantwortlichkeitsgesetz wirb statt das schützende Dach über dem Bau
des Staates zu bilden nur ein leerer Schmuck bleiben, so lange die Grund¬
lagen und Säulen des Baues schwanken.

Mit Recht sieht man eine große Gefahr für Preußen in der Schroffheit
der politischen Parteigegensätze. Aber an sich sind diese Gegensätze so wenig
eine abnorme Erscheinung, daß vielmehr überall, wo freie politische Verhältnisse
die Betheiligung am Staatsleben durch alle Kreise des Volkes verbreitet haben,
der Zwiespalt der Meinungen zu einem Kampfe wohl organisirter, bestimmte
Ziele verfolgender Parteien wird. Auch darin, daß jede Partei, die sich ge¬
rade am Ruder befindet, ihre Grundsätze in Gesetzgebung und Verwaltung zur
Geltung zu bringen sucht, liegt nichts Bedenkliches. Die Ursache, weshalb un¬
ser Parteiwesen auf jeden Beobachter einen entschieden unheimlichen und besorg-
nißerregcndcn Eindruck macht, liegt darin, daß in Preußen zwei ganz heterogene
politische Systeme unvermittelt neben einander bestehen: eine konstitutionelle


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[0094] hat sich ein Verfassungscvnflict angeschlossen, in dem ein Wanken und Schwan¬ ken nicht erlaubt ist, der aber nach unserer Ueberzeugung sich hätte vermeiden lassen und im Interesse der constitutionellen Freiheit besser vermieden worden wäre. Ehe die Krisis, in der wir augenblicklich stehen, beseitigt ist, ist an den Ausbau der Verfassung, wie ihn Nonne versteht, oder vielmehr wie die Verfassung selbst ihn fordert, nicht zu denken, womit wir nicht behaupten wollen, daß nicht in man¬ chen Punkten eine correctere Praxis auch während des Conflictes zur Geltung kommen kann. So ist in der Praxis des Finanzwesens im Einzelnen Man¬ ches gebessert, das dringend nothwendige Gesetz über die Oberrechnungskammer in Aussicht gestellt. Aber mit Verbesserungen im Einzelnen ist nicht viel ge¬ wonnen. Die wesentlichste Lücke bleibt immer der Mangel einer befriedigenden Kreis- und Gemeindeordnung. In Kreis und Gemeinde wird in Preußen der Kampf zwischen der Verfassung und den der Verfassung principiell feindlichen Elementen, den feudalen sowohl wie den büreaukratischen, zur schließlichen Entscheidung kommen; an diesen Punkten wird aber auch die Versöhnung der wider einander streitenden Kräfte erzwungen werden müssen. Jede politische Betrachtung der Verfassung d. h. jede Betrachtung, die nicht ausschließlich vom Nechtsstand- puntte ausgeht, sondern in der Ueberzeugung, daß auch das beste Recht zu sei¬ ner Verwirklichung der thatsächlichen Macht bedarf, sich mit dem Studium der Kräfte beschäftigt, die dem constitutionellen Princip wenn auch mit Widerstreben dienstbar zu machen sind, wird zu dem Ergebniß gelangen, daß in den unteren und engeren Kreisen des Staates sich die allerbedenklichsten Lücken des Staats¬ wesens befinden, und daß jede Negierung, welche die Verfassung zum wahren Le¬ bensprincip des Staates machen will, ihre reformatorischen Bestrebungen mit der äußersten Energie auf diesen Punkt zu richten hat. Selbst das freisinnigste Ministerverantwortlichkeitsgesetz wirb statt das schützende Dach über dem Bau des Staates zu bilden nur ein leerer Schmuck bleiben, so lange die Grund¬ lagen und Säulen des Baues schwanken. Mit Recht sieht man eine große Gefahr für Preußen in der Schroffheit der politischen Parteigegensätze. Aber an sich sind diese Gegensätze so wenig eine abnorme Erscheinung, daß vielmehr überall, wo freie politische Verhältnisse die Betheiligung am Staatsleben durch alle Kreise des Volkes verbreitet haben, der Zwiespalt der Meinungen zu einem Kampfe wohl organisirter, bestimmte Ziele verfolgender Parteien wird. Auch darin, daß jede Partei, die sich ge¬ rade am Ruder befindet, ihre Grundsätze in Gesetzgebung und Verwaltung zur Geltung zu bringen sucht, liegt nichts Bedenkliches. Die Ursache, weshalb un¬ ser Parteiwesen auf jeden Beobachter einen entschieden unheimlichen und besorg- nißerregcndcn Eindruck macht, liegt darin, daß in Preußen zwei ganz heterogene politische Systeme unvermittelt neben einander bestehen: eine konstitutionelle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/94>, abgerufen am 03.07.2024.