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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Als nun durch den wieder zurückkehrenden Geschützführer die Meldung ein¬
ging, daß die Munitionswagen von ihrem Aufstellungspunkt verschwunden seie",
schickte sich die Batterie zum Rückzug aus der Feuerlinie an. Die Sonne war
bereits im Untergehen -- es mochte etwa 6 Uhr Abends sein -- da, noch zur
rechten Zeit, gewahrten wir die Annäherung feindlicher Kavallerie. Es war
die französische Reiterei unter dem General Nansouti, darunter zwei Regimen¬
ter Garde d'honneur.

Die Batterie setzte sich sogleich in Verfassung, sie zu empfangen; die Ge¬
schütze wurden mit Kartätschen geladen und es genügten zwei Salven, folglich
16 Kartätschenschüsse nebst einer Anzahl congreveschcr Raketen, den beabsichtigten
Cavallerieangriff total zu vereiteln.

Wie nahe die feindliche Cavallerie der Batterie aber bereits gewesen, möge
daraus erhellen, daß ein Garde d'honneur, dessen Pferd wahrscheinlich durch¬
gegangen war, so dicht vor der Batterie zusammenstürzte, daß es dem Er¬
zähler möglich wurde, über die Gcschützlinic hervorzulaufen, dem schwer ver¬
wundeten Reiter, welcher unter seinem getödteten Pferde lag, den Säbel und
auch dessen Scheide zu entreißen, und ohne Versäumnis; wieder in der Batterie
zu sein.

Gern hätten wir der feindlichen Artillerie, die noch in voller Thätigkeit
war, länger Antwort gegeben. Aber ohne Munition konnte die Batterie
nicht in der Feuerlinie bleiben; sie trat daher ihren Rückzug, übrigens ber schon
eingetretener Dunkelheit, nach dem "Heitern Blick" an. Bei unserem Rückzüge
stießen wir wiederum nur auf russische Truppen, namentlich Cavallerie, konnten
die Brigade Krafft aber erst nach langem Umhersuchen bei Paunsdorf auffinden.

Am "Heitern Blick", dessen noch fortwährend brennende Gebäude uns als
Leuchte dienten, bog die Batterie rechts nach Paunsdorf ein. Mir aber wurde
der Austrag ertheilt, die abhanden gekommenen Munitionswagen zu suchen.

Ais ich mich auf den Weg machte, wurde es völlig finster. Mein ermü¬
detes und ebenso verhungertes und verdürstetes Pferd war nur noch mit Ge¬
walt vorwärts zu treiben; ich selbst verlor, geblendet wie ich war durch die
zahlreich aufflammenden Lagerfeuer und durch die in der Umgegend brennenden
Ortschaften, sehr bald jede Orientirung, so daß ich durchaus nicht mehr wußte,
wo und in welcher Himmelsgegend ich mich befand. Ueberall stieß ich auf russische
Truppen, welche, ohne Feuer angezündet zu haben, mit dem Gewehr in der
Hand am Boden lagen.

Meine Fragen nach Preußischen Truppen wurden entweder gar nicht ver¬
standen, oder verneinend beantwortet.

Nach langer Irrfahrt, die ich bis an die diesseitige Vorpostenkette fort¬
setzte, von der ich zurückgewiesen wurde, traf ich auf einen Unteroffizier vom
Regiment Königin-Dragoner. Durch diesen und einen sich zu uns gesellenden


Als nun durch den wieder zurückkehrenden Geschützführer die Meldung ein¬
ging, daß die Munitionswagen von ihrem Aufstellungspunkt verschwunden seie»,
schickte sich die Batterie zum Rückzug aus der Feuerlinie an. Die Sonne war
bereits im Untergehen — es mochte etwa 6 Uhr Abends sein — da, noch zur
rechten Zeit, gewahrten wir die Annäherung feindlicher Kavallerie. Es war
die französische Reiterei unter dem General Nansouti, darunter zwei Regimen¬
ter Garde d'honneur.

Die Batterie setzte sich sogleich in Verfassung, sie zu empfangen; die Ge¬
schütze wurden mit Kartätschen geladen und es genügten zwei Salven, folglich
16 Kartätschenschüsse nebst einer Anzahl congreveschcr Raketen, den beabsichtigten
Cavallerieangriff total zu vereiteln.

Wie nahe die feindliche Cavallerie der Batterie aber bereits gewesen, möge
daraus erhellen, daß ein Garde d'honneur, dessen Pferd wahrscheinlich durch¬
gegangen war, so dicht vor der Batterie zusammenstürzte, daß es dem Er¬
zähler möglich wurde, über die Gcschützlinic hervorzulaufen, dem schwer ver¬
wundeten Reiter, welcher unter seinem getödteten Pferde lag, den Säbel und
auch dessen Scheide zu entreißen, und ohne Versäumnis; wieder in der Batterie
zu sein.

Gern hätten wir der feindlichen Artillerie, die noch in voller Thätigkeit
war, länger Antwort gegeben. Aber ohne Munition konnte die Batterie
nicht in der Feuerlinie bleiben; sie trat daher ihren Rückzug, übrigens ber schon
eingetretener Dunkelheit, nach dem „Heitern Blick" an. Bei unserem Rückzüge
stießen wir wiederum nur auf russische Truppen, namentlich Cavallerie, konnten
die Brigade Krafft aber erst nach langem Umhersuchen bei Paunsdorf auffinden.

Am „Heitern Blick", dessen noch fortwährend brennende Gebäude uns als
Leuchte dienten, bog die Batterie rechts nach Paunsdorf ein. Mir aber wurde
der Austrag ertheilt, die abhanden gekommenen Munitionswagen zu suchen.

Ais ich mich auf den Weg machte, wurde es völlig finster. Mein ermü¬
detes und ebenso verhungertes und verdürstetes Pferd war nur noch mit Ge¬
walt vorwärts zu treiben; ich selbst verlor, geblendet wie ich war durch die
zahlreich aufflammenden Lagerfeuer und durch die in der Umgegend brennenden
Ortschaften, sehr bald jede Orientirung, so daß ich durchaus nicht mehr wußte,
wo und in welcher Himmelsgegend ich mich befand. Ueberall stieß ich auf russische
Truppen, welche, ohne Feuer angezündet zu haben, mit dem Gewehr in der
Hand am Boden lagen.

Meine Fragen nach Preußischen Truppen wurden entweder gar nicht ver¬
standen, oder verneinend beantwortet.

Nach langer Irrfahrt, die ich bis an die diesseitige Vorpostenkette fort¬
setzte, von der ich zurückgewiesen wurde, traf ich auf einen Unteroffizier vom
Regiment Königin-Dragoner. Durch diesen und einen sich zu uns gesellenden


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[0067] Als nun durch den wieder zurückkehrenden Geschützführer die Meldung ein¬ ging, daß die Munitionswagen von ihrem Aufstellungspunkt verschwunden seie», schickte sich die Batterie zum Rückzug aus der Feuerlinie an. Die Sonne war bereits im Untergehen — es mochte etwa 6 Uhr Abends sein — da, noch zur rechten Zeit, gewahrten wir die Annäherung feindlicher Kavallerie. Es war die französische Reiterei unter dem General Nansouti, darunter zwei Regimen¬ ter Garde d'honneur. Die Batterie setzte sich sogleich in Verfassung, sie zu empfangen; die Ge¬ schütze wurden mit Kartätschen geladen und es genügten zwei Salven, folglich 16 Kartätschenschüsse nebst einer Anzahl congreveschcr Raketen, den beabsichtigten Cavallerieangriff total zu vereiteln. Wie nahe die feindliche Cavallerie der Batterie aber bereits gewesen, möge daraus erhellen, daß ein Garde d'honneur, dessen Pferd wahrscheinlich durch¬ gegangen war, so dicht vor der Batterie zusammenstürzte, daß es dem Er¬ zähler möglich wurde, über die Gcschützlinic hervorzulaufen, dem schwer ver¬ wundeten Reiter, welcher unter seinem getödteten Pferde lag, den Säbel und auch dessen Scheide zu entreißen, und ohne Versäumnis; wieder in der Batterie zu sein. Gern hätten wir der feindlichen Artillerie, die noch in voller Thätigkeit war, länger Antwort gegeben. Aber ohne Munition konnte die Batterie nicht in der Feuerlinie bleiben; sie trat daher ihren Rückzug, übrigens ber schon eingetretener Dunkelheit, nach dem „Heitern Blick" an. Bei unserem Rückzüge stießen wir wiederum nur auf russische Truppen, namentlich Cavallerie, konnten die Brigade Krafft aber erst nach langem Umhersuchen bei Paunsdorf auffinden. Am „Heitern Blick", dessen noch fortwährend brennende Gebäude uns als Leuchte dienten, bog die Batterie rechts nach Paunsdorf ein. Mir aber wurde der Austrag ertheilt, die abhanden gekommenen Munitionswagen zu suchen. Ais ich mich auf den Weg machte, wurde es völlig finster. Mein ermü¬ detes und ebenso verhungertes und verdürstetes Pferd war nur noch mit Ge¬ walt vorwärts zu treiben; ich selbst verlor, geblendet wie ich war durch die zahlreich aufflammenden Lagerfeuer und durch die in der Umgegend brennenden Ortschaften, sehr bald jede Orientirung, so daß ich durchaus nicht mehr wußte, wo und in welcher Himmelsgegend ich mich befand. Ueberall stieß ich auf russische Truppen, welche, ohne Feuer angezündet zu haben, mit dem Gewehr in der Hand am Boden lagen. Meine Fragen nach Preußischen Truppen wurden entweder gar nicht ver¬ standen, oder verneinend beantwortet. Nach langer Irrfahrt, die ich bis an die diesseitige Vorpostenkette fort¬ setzte, von der ich zurückgewiesen wurde, traf ich auf einen Unteroffizier vom Regiment Königin-Dragoner. Durch diesen und einen sich zu uns gesellenden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/67>, abgerufen am 03.07.2024.