Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

selben in allen seinen Untersuchungen unausgesetzt leiten. Ein Motto aus
Keplers KarmomA, muiuli kündigt gleich auf dem Titelblatt der "Principien
der Socialwissenschaft" den aus Einheit und Uebereinstimmung der natürlichen
und socialen Welt gerichteten Sinn unverkennbar an. Man erwartet eine
großartige Auffassung der menschlichen Dinge, und man täuscht sich in der
That nicht. Die besondere Bekanntschaft mit den Einzelheiten des careyschen
Werkes vergewissert uns, daß wir es mit einem hochfliegenden Denker zu thun
haben, der die Verhältnisse des Sonnensystems mit den Beziehungen des mensch¬
lichen Verkehrs und den Gestaltungsformen der socialen Welt in Zusammenhang
zu setzen weiß. Er findet das Gesetz der ebenmäßigen Decentralisation d. h.
des Zusammenwirkens localer und neutraler Kräfte im Sonnensystem wieder;
ja er betrachtet diese relative Selbständigkeit, welche den einzelnen Sphären
von der Natur eingeräumt wird, als eine allgemeine, die Natur wie die sociale
Welt umschließende Nothwendigkeit des Bestehens. Es ist wahr, daß die natur¬
wissenschaftlichen Bilder Carcys nicht überall wirklichen Aehnlichkeiten entsprechen
oder auf ein gemeinsames Gesetz deuten. Bei solchen Verallgemeinerungen
liegt die Verirrung in vage bedeutungslose Beziehungen allzu nahe, als daß
ihr irgendein Denker leicht entginge. Die Vorstellungen von einem Antagonis¬
mus zweier Grundkräfte sind alt und laufen schließlich auf die Nachweisung
von Gegensätzlichkeiten in allem Dasein und in allen Lebensäußerungen hinaus;
sie passen daher auch eben ihrer Allgemeinheit wegen auf die entlegensten For¬
mationen; sie gelten allerdings für die Verhältnisse des Sonnensystems wie für
die harmonischen Formen der Gliederung des großen socialen Körpers. Allein
der nüchterne Sinn fordert einen Verzicht auf dergleichen Annäherungen; wenig¬
stens räumt er nicht ein, daß der Leitfaden dieser unbestimmten Analogien die
allgemeine Methode sei es der Aufsindung sei es der Darstellung der Wahr¬
heiten specieller Fächer zu werden verdiene. Wenn also Carey so glücklich
gewesen ist, auf jenem Wege bedeutungsvolle Aufschlüsse zu gewinnen, so sind
die Erfolge als subjective Eigenthümlichkeiten zu betrachten. Er befindet sich
in dieser Hinsicht in demselben Fall mit einigen großen Forschern, in denen
das wilde Gähren der Ideen die schließliche Absetzung reiner und vollgiltiger
Wahrheiten einleitete. Er erinnert an den großen Mann seines Motto, an den
bekanntlich zuerst ausschweifend phantastischen Kepler.

Das Gesetz der festen chemischen Mischungsverhältnisse hat sicherlich sehr
wenig mit den Größenverhältnissen der socialen Gruppen, aus denen sich die
Gesellschaft zusammensetzt, zu-schaffen. Dennoch hat Carey an diese Analogie
eine seiner schönsten und fruchtbarsten Anschauungen geknüpft. Seine Lehre
von der natürlichen Form der Gesellschaft ist in der That eine Art Uebertragung
des allgemeinen Gedankens der Nothwendigkeit fester Mischungsverhältnisse.
Die Bestandtheile der Gesellschaft sollen gewisse Größen und Verhältnisse nicht


selben in allen seinen Untersuchungen unausgesetzt leiten. Ein Motto aus
Keplers KarmomA, muiuli kündigt gleich auf dem Titelblatt der „Principien
der Socialwissenschaft" den aus Einheit und Uebereinstimmung der natürlichen
und socialen Welt gerichteten Sinn unverkennbar an. Man erwartet eine
großartige Auffassung der menschlichen Dinge, und man täuscht sich in der
That nicht. Die besondere Bekanntschaft mit den Einzelheiten des careyschen
Werkes vergewissert uns, daß wir es mit einem hochfliegenden Denker zu thun
haben, der die Verhältnisse des Sonnensystems mit den Beziehungen des mensch¬
lichen Verkehrs und den Gestaltungsformen der socialen Welt in Zusammenhang
zu setzen weiß. Er findet das Gesetz der ebenmäßigen Decentralisation d. h.
des Zusammenwirkens localer und neutraler Kräfte im Sonnensystem wieder;
ja er betrachtet diese relative Selbständigkeit, welche den einzelnen Sphären
von der Natur eingeräumt wird, als eine allgemeine, die Natur wie die sociale
Welt umschließende Nothwendigkeit des Bestehens. Es ist wahr, daß die natur¬
wissenschaftlichen Bilder Carcys nicht überall wirklichen Aehnlichkeiten entsprechen
oder auf ein gemeinsames Gesetz deuten. Bei solchen Verallgemeinerungen
liegt die Verirrung in vage bedeutungslose Beziehungen allzu nahe, als daß
ihr irgendein Denker leicht entginge. Die Vorstellungen von einem Antagonis¬
mus zweier Grundkräfte sind alt und laufen schließlich auf die Nachweisung
von Gegensätzlichkeiten in allem Dasein und in allen Lebensäußerungen hinaus;
sie passen daher auch eben ihrer Allgemeinheit wegen auf die entlegensten For¬
mationen; sie gelten allerdings für die Verhältnisse des Sonnensystems wie für
die harmonischen Formen der Gliederung des großen socialen Körpers. Allein
der nüchterne Sinn fordert einen Verzicht auf dergleichen Annäherungen; wenig¬
stens räumt er nicht ein, daß der Leitfaden dieser unbestimmten Analogien die
allgemeine Methode sei es der Aufsindung sei es der Darstellung der Wahr¬
heiten specieller Fächer zu werden verdiene. Wenn also Carey so glücklich
gewesen ist, auf jenem Wege bedeutungsvolle Aufschlüsse zu gewinnen, so sind
die Erfolge als subjective Eigenthümlichkeiten zu betrachten. Er befindet sich
in dieser Hinsicht in demselben Fall mit einigen großen Forschern, in denen
das wilde Gähren der Ideen die schließliche Absetzung reiner und vollgiltiger
Wahrheiten einleitete. Er erinnert an den großen Mann seines Motto, an den
bekanntlich zuerst ausschweifend phantastischen Kepler.

Das Gesetz der festen chemischen Mischungsverhältnisse hat sicherlich sehr
wenig mit den Größenverhältnissen der socialen Gruppen, aus denen sich die
Gesellschaft zusammensetzt, zu-schaffen. Dennoch hat Carey an diese Analogie
eine seiner schönsten und fruchtbarsten Anschauungen geknüpft. Seine Lehre
von der natürlichen Form der Gesellschaft ist in der That eine Art Uebertragung
des allgemeinen Gedankens der Nothwendigkeit fester Mischungsverhältnisse.
Die Bestandtheile der Gesellschaft sollen gewisse Größen und Verhältnisse nicht


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0057" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/189681"/>
          <p xml:id="ID_179" prev="#ID_178"> selben in allen seinen Untersuchungen unausgesetzt leiten. Ein Motto aus<lb/>
Keplers KarmomA, muiuli kündigt gleich auf dem Titelblatt der &#x201E;Principien<lb/>
der Socialwissenschaft" den aus Einheit und Uebereinstimmung der natürlichen<lb/>
und socialen Welt gerichteten Sinn unverkennbar an. Man erwartet eine<lb/>
großartige Auffassung der menschlichen Dinge, und man täuscht sich in der<lb/>
That nicht. Die besondere Bekanntschaft mit den Einzelheiten des careyschen<lb/>
Werkes vergewissert uns, daß wir es mit einem hochfliegenden Denker zu thun<lb/>
haben, der die Verhältnisse des Sonnensystems mit den Beziehungen des mensch¬<lb/>
lichen Verkehrs und den Gestaltungsformen der socialen Welt in Zusammenhang<lb/>
zu setzen weiß. Er findet das Gesetz der ebenmäßigen Decentralisation d. h.<lb/>
des Zusammenwirkens localer und neutraler Kräfte im Sonnensystem wieder;<lb/>
ja er betrachtet diese relative Selbständigkeit, welche den einzelnen Sphären<lb/>
von der Natur eingeräumt wird, als eine allgemeine, die Natur wie die sociale<lb/>
Welt umschließende Nothwendigkeit des Bestehens. Es ist wahr, daß die natur¬<lb/>
wissenschaftlichen Bilder Carcys nicht überall wirklichen Aehnlichkeiten entsprechen<lb/>
oder auf ein gemeinsames Gesetz deuten. Bei solchen Verallgemeinerungen<lb/>
liegt die Verirrung in vage bedeutungslose Beziehungen allzu nahe, als daß<lb/>
ihr irgendein Denker leicht entginge. Die Vorstellungen von einem Antagonis¬<lb/>
mus zweier Grundkräfte sind alt und laufen schließlich auf die Nachweisung<lb/>
von Gegensätzlichkeiten in allem Dasein und in allen Lebensäußerungen hinaus;<lb/>
sie passen daher auch eben ihrer Allgemeinheit wegen auf die entlegensten For¬<lb/>
mationen; sie gelten allerdings für die Verhältnisse des Sonnensystems wie für<lb/>
die harmonischen Formen der Gliederung des großen socialen Körpers. Allein<lb/>
der nüchterne Sinn fordert einen Verzicht auf dergleichen Annäherungen; wenig¬<lb/>
stens räumt er nicht ein, daß der Leitfaden dieser unbestimmten Analogien die<lb/>
allgemeine Methode sei es der Aufsindung sei es der Darstellung der Wahr¬<lb/>
heiten specieller Fächer zu werden verdiene. Wenn also Carey so glücklich<lb/>
gewesen ist, auf jenem Wege bedeutungsvolle Aufschlüsse zu gewinnen, so sind<lb/>
die Erfolge als subjective Eigenthümlichkeiten zu betrachten. Er befindet sich<lb/>
in dieser Hinsicht in demselben Fall mit einigen großen Forschern, in denen<lb/>
das wilde Gähren der Ideen die schließliche Absetzung reiner und vollgiltiger<lb/>
Wahrheiten einleitete. Er erinnert an den großen Mann seines Motto, an den<lb/>
bekanntlich zuerst ausschweifend phantastischen Kepler.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_180" next="#ID_181"> Das Gesetz der festen chemischen Mischungsverhältnisse hat sicherlich sehr<lb/>
wenig mit den Größenverhältnissen der socialen Gruppen, aus denen sich die<lb/>
Gesellschaft zusammensetzt, zu-schaffen. Dennoch hat Carey an diese Analogie<lb/>
eine seiner schönsten und fruchtbarsten Anschauungen geknüpft. Seine Lehre<lb/>
von der natürlichen Form der Gesellschaft ist in der That eine Art Uebertragung<lb/>
des allgemeinen Gedankens der Nothwendigkeit fester Mischungsverhältnisse.<lb/>
Die Bestandtheile der Gesellschaft sollen gewisse Größen und Verhältnisse nicht</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0057] selben in allen seinen Untersuchungen unausgesetzt leiten. Ein Motto aus Keplers KarmomA, muiuli kündigt gleich auf dem Titelblatt der „Principien der Socialwissenschaft" den aus Einheit und Uebereinstimmung der natürlichen und socialen Welt gerichteten Sinn unverkennbar an. Man erwartet eine großartige Auffassung der menschlichen Dinge, und man täuscht sich in der That nicht. Die besondere Bekanntschaft mit den Einzelheiten des careyschen Werkes vergewissert uns, daß wir es mit einem hochfliegenden Denker zu thun haben, der die Verhältnisse des Sonnensystems mit den Beziehungen des mensch¬ lichen Verkehrs und den Gestaltungsformen der socialen Welt in Zusammenhang zu setzen weiß. Er findet das Gesetz der ebenmäßigen Decentralisation d. h. des Zusammenwirkens localer und neutraler Kräfte im Sonnensystem wieder; ja er betrachtet diese relative Selbständigkeit, welche den einzelnen Sphären von der Natur eingeräumt wird, als eine allgemeine, die Natur wie die sociale Welt umschließende Nothwendigkeit des Bestehens. Es ist wahr, daß die natur¬ wissenschaftlichen Bilder Carcys nicht überall wirklichen Aehnlichkeiten entsprechen oder auf ein gemeinsames Gesetz deuten. Bei solchen Verallgemeinerungen liegt die Verirrung in vage bedeutungslose Beziehungen allzu nahe, als daß ihr irgendein Denker leicht entginge. Die Vorstellungen von einem Antagonis¬ mus zweier Grundkräfte sind alt und laufen schließlich auf die Nachweisung von Gegensätzlichkeiten in allem Dasein und in allen Lebensäußerungen hinaus; sie passen daher auch eben ihrer Allgemeinheit wegen auf die entlegensten For¬ mationen; sie gelten allerdings für die Verhältnisse des Sonnensystems wie für die harmonischen Formen der Gliederung des großen socialen Körpers. Allein der nüchterne Sinn fordert einen Verzicht auf dergleichen Annäherungen; wenig¬ stens räumt er nicht ein, daß der Leitfaden dieser unbestimmten Analogien die allgemeine Methode sei es der Aufsindung sei es der Darstellung der Wahr¬ heiten specieller Fächer zu werden verdiene. Wenn also Carey so glücklich gewesen ist, auf jenem Wege bedeutungsvolle Aufschlüsse zu gewinnen, so sind die Erfolge als subjective Eigenthümlichkeiten zu betrachten. Er befindet sich in dieser Hinsicht in demselben Fall mit einigen großen Forschern, in denen das wilde Gähren der Ideen die schließliche Absetzung reiner und vollgiltiger Wahrheiten einleitete. Er erinnert an den großen Mann seines Motto, an den bekanntlich zuerst ausschweifend phantastischen Kepler. Das Gesetz der festen chemischen Mischungsverhältnisse hat sicherlich sehr wenig mit den Größenverhältnissen der socialen Gruppen, aus denen sich die Gesellschaft zusammensetzt, zu-schaffen. Dennoch hat Carey an diese Analogie eine seiner schönsten und fruchtbarsten Anschauungen geknüpft. Seine Lehre von der natürlichen Form der Gesellschaft ist in der That eine Art Uebertragung des allgemeinen Gedankens der Nothwendigkeit fester Mischungsverhältnisse. Die Bestandtheile der Gesellschaft sollen gewisse Größen und Verhältnisse nicht

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/57
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/57>, abgerufen am 01.07.2024.