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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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anwenden wollte? Es ist hier nicht der Ort. socialpolitische Perspektiven aus¬
zumalen; jedoch mochte die Andeutung der Tragweite des Schutzprincips ein
Fingerzeig zur praktischen Würdigung von Careys anscheinend entlegenen
Theorien sein.

Wenn sich der Gedanke einer auf dein Grunde der Gerechtigkeit ruhenden
wirtschaftlichen Freiheit, ja wenn sich nur überhaupt der Begriff des volks¬
wirtschaftlichen Rechtes durch den Einfluß Careys Bahn bricht, so müssen die
herrschenden Ansichten über Freiheit und Unfreiheit eine nicht unerhebliche Modi-
fication erfahren. Im Kleinen wie im Großen, im innern Rechtsverkehr wie
im auswärtigen Handel, in der Gestaltung und Abmessung der Rechte der Cor-
porationen wie in den Verhältnissen der Nationen muß jenes Princip von
praktisch eingreifender Bedeutung werden. Die innere wie die äußere Social¬
politik würden sich, falls jenes Princip Boden gewänne, entschließen müssen,
neben der gewöhnlichen Rücksicht auf die allgemeine formale Gleichstellung und
Freiheit auch die materielle Ausgleichung der allzu verschiedenen Chancen ins
Auge zu fassen. An die Stelle einer bloßen Formalpolitik würde eine materielle,
die wirthschaftliche Gerechtigkeit nicht hintansetzende Staatskunst treten. Vor
allem würde der Grundsatz des Gehenlassens und der Nichteinmischung des
Staats in die Angelegenheiten der Gesellschaft eine praktische Kritik zu bestehen
haben. Mit der theoretischen Prüfung dieses jetzt von der englischen Schule
überall gepredigten Grundsatzes hat Carey bereits einen ernstlichen Anfang ge¬
macht. Er widmet eines seiner interessanteste" Capitel ausschließlich der Be¬
sprechung der Theorie des I-kussos lÄr-c;.

Nachdem wir die im engern Sinn volkswirtschaftliche Bedeutung Careys
aus seinen zwei epochemachenden Sätzen über den Gang der Bodencultur
und über den Grund der wirthschaftlichen Werthschätzungen kennen gelernt und
uns hierauf durch die Betrachtung seines Princips der natürlichen Decentrali-
sation und des unter Umständen nothwendigen Schutzes einen Begriff von der
socialpolitischen Bedeutung unsres Autors verschafft haben, möchte es auch
noch lohnen, seiner wissenschaftlichen Methode einige Aufmerksamkeit zuzuwenden.
Carey liebt es, von naturwissenschaftlichen Vergleichungen auszugehen. Er
scheint sogar seine Hauptsätze zum Theil am Leitfaden solcher Vergleichungen
aufgefunden oder wenigstens die erste unbestimmte Idee zu ihnen auf diese
Weise erfaßt zu haben. Auch hat er dessen kein Hehl, daß er von vornherein
annehme, die Naturgesetze und die Gesetze der sittlichen und wirthschaftlichen
Welt müßten nicht nur in völliger Uebereinstimmung befindlich sein, sondern
dem tieferen Blick sogar eine gemeinsame Form und ein gleichartiges Gepräge
verrathen. Die Identität der Moral- und Naturgesetze ist erst jüngst in Deutsch¬
land zum Gegenstand eines ganzen Buches gemacht worden; Carey widmet
ihr zwar nur ein einziges Capitel, läßt sich aber von der Voraussetzung der-


anwenden wollte? Es ist hier nicht der Ort. socialpolitische Perspektiven aus¬
zumalen; jedoch mochte die Andeutung der Tragweite des Schutzprincips ein
Fingerzeig zur praktischen Würdigung von Careys anscheinend entlegenen
Theorien sein.

Wenn sich der Gedanke einer auf dein Grunde der Gerechtigkeit ruhenden
wirtschaftlichen Freiheit, ja wenn sich nur überhaupt der Begriff des volks¬
wirtschaftlichen Rechtes durch den Einfluß Careys Bahn bricht, so müssen die
herrschenden Ansichten über Freiheit und Unfreiheit eine nicht unerhebliche Modi-
fication erfahren. Im Kleinen wie im Großen, im innern Rechtsverkehr wie
im auswärtigen Handel, in der Gestaltung und Abmessung der Rechte der Cor-
porationen wie in den Verhältnissen der Nationen muß jenes Princip von
praktisch eingreifender Bedeutung werden. Die innere wie die äußere Social¬
politik würden sich, falls jenes Princip Boden gewänne, entschließen müssen,
neben der gewöhnlichen Rücksicht auf die allgemeine formale Gleichstellung und
Freiheit auch die materielle Ausgleichung der allzu verschiedenen Chancen ins
Auge zu fassen. An die Stelle einer bloßen Formalpolitik würde eine materielle,
die wirthschaftliche Gerechtigkeit nicht hintansetzende Staatskunst treten. Vor
allem würde der Grundsatz des Gehenlassens und der Nichteinmischung des
Staats in die Angelegenheiten der Gesellschaft eine praktische Kritik zu bestehen
haben. Mit der theoretischen Prüfung dieses jetzt von der englischen Schule
überall gepredigten Grundsatzes hat Carey bereits einen ernstlichen Anfang ge¬
macht. Er widmet eines seiner interessanteste» Capitel ausschließlich der Be¬
sprechung der Theorie des I-kussos lÄr-c;.

Nachdem wir die im engern Sinn volkswirtschaftliche Bedeutung Careys
aus seinen zwei epochemachenden Sätzen über den Gang der Bodencultur
und über den Grund der wirthschaftlichen Werthschätzungen kennen gelernt und
uns hierauf durch die Betrachtung seines Princips der natürlichen Decentrali-
sation und des unter Umständen nothwendigen Schutzes einen Begriff von der
socialpolitischen Bedeutung unsres Autors verschafft haben, möchte es auch
noch lohnen, seiner wissenschaftlichen Methode einige Aufmerksamkeit zuzuwenden.
Carey liebt es, von naturwissenschaftlichen Vergleichungen auszugehen. Er
scheint sogar seine Hauptsätze zum Theil am Leitfaden solcher Vergleichungen
aufgefunden oder wenigstens die erste unbestimmte Idee zu ihnen auf diese
Weise erfaßt zu haben. Auch hat er dessen kein Hehl, daß er von vornherein
annehme, die Naturgesetze und die Gesetze der sittlichen und wirthschaftlichen
Welt müßten nicht nur in völliger Uebereinstimmung befindlich sein, sondern
dem tieferen Blick sogar eine gemeinsame Form und ein gleichartiges Gepräge
verrathen. Die Identität der Moral- und Naturgesetze ist erst jüngst in Deutsch¬
land zum Gegenstand eines ganzen Buches gemacht worden; Carey widmet
ihr zwar nur ein einziges Capitel, läßt sich aber von der Voraussetzung der-


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[0056] anwenden wollte? Es ist hier nicht der Ort. socialpolitische Perspektiven aus¬ zumalen; jedoch mochte die Andeutung der Tragweite des Schutzprincips ein Fingerzeig zur praktischen Würdigung von Careys anscheinend entlegenen Theorien sein. Wenn sich der Gedanke einer auf dein Grunde der Gerechtigkeit ruhenden wirtschaftlichen Freiheit, ja wenn sich nur überhaupt der Begriff des volks¬ wirtschaftlichen Rechtes durch den Einfluß Careys Bahn bricht, so müssen die herrschenden Ansichten über Freiheit und Unfreiheit eine nicht unerhebliche Modi- fication erfahren. Im Kleinen wie im Großen, im innern Rechtsverkehr wie im auswärtigen Handel, in der Gestaltung und Abmessung der Rechte der Cor- porationen wie in den Verhältnissen der Nationen muß jenes Princip von praktisch eingreifender Bedeutung werden. Die innere wie die äußere Social¬ politik würden sich, falls jenes Princip Boden gewänne, entschließen müssen, neben der gewöhnlichen Rücksicht auf die allgemeine formale Gleichstellung und Freiheit auch die materielle Ausgleichung der allzu verschiedenen Chancen ins Auge zu fassen. An die Stelle einer bloßen Formalpolitik würde eine materielle, die wirthschaftliche Gerechtigkeit nicht hintansetzende Staatskunst treten. Vor allem würde der Grundsatz des Gehenlassens und der Nichteinmischung des Staats in die Angelegenheiten der Gesellschaft eine praktische Kritik zu bestehen haben. Mit der theoretischen Prüfung dieses jetzt von der englischen Schule überall gepredigten Grundsatzes hat Carey bereits einen ernstlichen Anfang ge¬ macht. Er widmet eines seiner interessanteste» Capitel ausschließlich der Be¬ sprechung der Theorie des I-kussos lÄr-c;. Nachdem wir die im engern Sinn volkswirtschaftliche Bedeutung Careys aus seinen zwei epochemachenden Sätzen über den Gang der Bodencultur und über den Grund der wirthschaftlichen Werthschätzungen kennen gelernt und uns hierauf durch die Betrachtung seines Princips der natürlichen Decentrali- sation und des unter Umständen nothwendigen Schutzes einen Begriff von der socialpolitischen Bedeutung unsres Autors verschafft haben, möchte es auch noch lohnen, seiner wissenschaftlichen Methode einige Aufmerksamkeit zuzuwenden. Carey liebt es, von naturwissenschaftlichen Vergleichungen auszugehen. Er scheint sogar seine Hauptsätze zum Theil am Leitfaden solcher Vergleichungen aufgefunden oder wenigstens die erste unbestimmte Idee zu ihnen auf diese Weise erfaßt zu haben. Auch hat er dessen kein Hehl, daß er von vornherein annehme, die Naturgesetze und die Gesetze der sittlichen und wirthschaftlichen Welt müßten nicht nur in völliger Uebereinstimmung befindlich sein, sondern dem tieferen Blick sogar eine gemeinsame Form und ein gleichartiges Gepräge verrathen. Die Identität der Moral- und Naturgesetze ist erst jüngst in Deutsch¬ land zum Gegenstand eines ganzen Buches gemacht worden; Carey widmet ihr zwar nur ein einziges Capitel, läßt sich aber von der Voraussetzung der-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/56>, abgerufen am 03.07.2024.